Der tiefe, grummelnde 6-Saitige E-Bass stimmt mit ein und bringt durch eine rhythmische Spieltechnik der Viertelnoten, nur eine Oktave höher, einen Groove in diesen Klangteppich. Ganz leise schiebt sich der hohe, stehende Ton einer rückkoppelnden Gitarre dazu. Er wird lauter und wird durch verschiedene Effektgeräte moduliert. Er pulsiert, schwillt über mehrere Oktaven an und ab, wird dumpf und hell und scheint sich ständig zu verändern. Nach ein paar Takten setzt der Schlagzeuger auf dem Hi-Hat ein und betont mit der Bassdrum die halben Noten immer auf dem zweiten und dem vierten Schlag und gibt damit den Rhythmus zum Mitklatschen vor.
Langsam werden ein paar blaue Scheinwerfer, die im gleichmäßigen Abstand am hinteren Bühnenrand aufgebaut sind, etwas hoch gedimmt und es steigen bläuliche Lichtsäulen bis an die Hallendecke und tauchen die ganze Bühne zusammen mit dem Rauch in eine bläuliche Eislandschaft. Weiße Spots leuchten die Musiker auf der Bühne von hinten an, wodurch sich ihre Silhouetten auf einen dünnen, weißen Vorhang zeichnen, der noch vor der Bühne hängt. In Übergröße schweben die Bilder der Musiker nun wie ein Scherenschnitt über der Bühne. Das Ganze wirkt unwirklich und surreal. Das blaue Licht scheint durch den weißen Nebel, der durch große Ventilatoren langsam und träge über die Bühne schwebt, während die riesigen Umrisse der Musiker unbeweglich und statisch wirken. Die Spannung vor und auf der Bühne hat etwas Greifbares. Es ist, als würde ein wilder Dämon rasselnd an seinen Ketten zerren. Aggressiv und angriffslustig schaut er mit rot glühenden Augen aus dem Schwarz seines Käfigs heraus. Er faucht und knurrt. Dieses Monster schaut nicht nur, nein, es beobachtet dich. Es beobachtet dich, was du da vor dem Käfig gerade machst und es denkt sich: „Wartet nur, wenn ich hier raus gelassen werde, dann.......“
Der Schlagzeuger zählt ein. „Eins, zwei, drei, vier“.
Auf die nächste Eins setzt die gesamte Band ein. Es ist, als würde ein zigtausend Tonnen schwerer Güterzug auf das Publikum zudonnern. Der dünne, weiße Vorhang fällt in ein oder zwei Sekunden von der Hallendecke herab und ein paar Stagehands ziehen ihn unbemerkt seitlich weg. Der Bass, zwei Gitarren, das Keyboard und das Schlagzeug, alle zusammen setzen gleichzeitig und mit brachialer Lautstärke, wie bei einer Explosion ein. Dieser Licht- und Sound-Dämon darf nun endlich aus seinem Käfig ausbrechen und fällt über die Halle und das Publikum, über dich her. Die Instrumente sind auf C runter gestimmt und die Musik erzeugt einen fast physisch spürbaren, mörderischen Druck. Wie starke Windböen, gegen die man sich stemmen muss, um vorwärtszukommen.
Die monströse Anlage schleudert wütend die Töne wie Lichtblitze in alle Ecken durch die Halle. Wie ein Tischtennisball, den man in einen Raum voller gespannter Mausefallen wirft. Immer wieder wird er von einer zuschnappenden Falle nach oben in eine andere, neue Richtung geschleudert und wie ein Klanggewitter fegt diese nicht mehr aufzuhaltende Kettenreaktion durch die Halle. Der Dämon jagt wie ein wild gewordenes Tier durch eine Schar auseinander flatternder Hühner und beißt mal hier, mal dort hin. Mit jedem Biss fasst er ein Tier im Nacken, schleudert es ein paar Mal hin und her und lässt es dann lustlos liegen, um das nächste zu ergreifen. Und dieses Tier hinterlässt dabei eine Spur der Verwüstung. Eine Spur, die aus grollenden und brillierenden Tönen, blitzenden und blinkenden Lichtern und Bildern besteht, die sich für immer in die Erinnerung der Konzertbesucher einbrennen werden.
Der Lichtmischer lässt mit dem ersten Ton alles aufflammen, was die Lichtanlage zu bieten hat. Stroboskope blitzen, Gobo-Spots drehen sich wie verrückt gewordene Roboter und projizieren Muster an die Hallendecke. Laser zeichnen Gitter und Netze über die Bühne und sonst leuchtet und scheint es aus allen Rohren. Der Soundmischer zieht sämtliche Regler auf, die Endstufen sind kurz vorm Clippen, fast alle LEDs der Kanäle leuchten kurz auf und sind fast vor dem Übersteuern, aber die PA steckt das locker weg. Sie ist kräftig und leistungsstark genug. Nicht umsonst benötigt man alleine für die gesamte Technik jeden Abend vier LKWs, um sie von Halle zu Halle zu fahren.
Die Menschen vor der Bühne werden in den ersten paar Sekunden fast erschlagen von den Eindrücken und den Tönen, die da im Sekundentakt auf sie einprasseln. Wie beim großen Showdown eines Actionfilms, im Multiplexkino, schauen sie von rechts nach links auf diese Leinwand und versuchen alles, was da gerade um sie herum und auf der Bühne passiert, zu verstehen, zu hören und zu genießen.
Wie aus dem Nichts schießt der Sänger auf einer in den Bühnenboden eingelassene Hebebühne nach oben und kommt direkt vor seinem Mikrophon zum Stehen. Breitbeinig, von einem Spot angestrahlt, steht er da. Bewegungslos. Vielleicht 20 oder 30 Sekunden lang, den Blick auf den Boden gesenkt. Er umfasst mit der rechten Hand das Mikro auf dem Mikroständer, die linke Hand zur Faust geballt und zornig, drohend nach oben Richtung Himmel gestreckt. Das Geschrei und der Applaus der Fans steigern sich nochmal und übertönen fast die Musik. Er hebt den Kopf und blickt auf seine Fans herab. Die viele tausend Watt starken Lichtbatterien blitzen auf, scheinen ihm direkt in die Augen und machen ihn für einige Sekunden lang blind. Er holt tief Luft, öffnet den Mund und singt ...
Was ist da eigentlich an der Musik oder was passiert da in der Welt der Musiker, dass uns dieses Leben so fasziniert? Was löst diese Bewunderung für diejenigen aus, die sich in der fabelhaften Welt des Show Business bewegen? Dass Menschen sogar bereit sind, ihr bisheriges Leben ohne zu zögern aufzugeben, um über eine Castingshow an dieser Welt teilhaben zu können? Über Nacht von einem Niemand zum Jemand werden?
Ist es dieser Mythos von Sex, Drugs und Rock & Roll, der Musiker und Künstler umgibt? Ist es unser laienhaftes Halbwissen über das Leben und Arbeiten all jener, die es geschafft haben, sich im Glamour dieser Gesellschaft zu bewegen? Ein kleiner Kreis, zu dem nur Promis und Stars Zugang haben? Da, wo Menschen nur noch in schwarzen Night-Linern, mit abgedunkelten Scheiben über Autobahnen schweben oder wo hunderte kreischende Fans vor den Hotels warten. Menschen, deren Leben so interessant scheint, dass es stets und ständig von Fotografen abgelichtet wird? Die vielen Geschichten, die man sich erzählt?
Ist es dieser Glanz, dieses Glühen, dieser Schein, der diese Welt umgibt? Über die eine Art Glocke der Verschwiegenheit liegt, aus der nur notdürftige und absolut notwendige Informationen raus gelassen werden? Und das, was wir nicht erfahren, reimen wir uns halt einfach selbst zusammen. Ist doch so einfach. Wie die Geschichten von dem König der Durchgeknallten, Michael Jackson, der sogar in einem Sauerstoffzelt geschlafen haben soll? Oder der zu seinem Affen mehr Kontakt gehabt haben soll, als zu jedem anderen menschlichen Wesen? War eh klar, dass der mal so endet. Was Besseres hätte dem doch gar nicht passieren können oder? Wer von uns hätte schon einen immer älter und dünner werdenden Michael Jackson sehen wollen, der es nicht rechtzeitig geschafft hat, sich mit Würde und Anstand von der Bühne zu verabschieden. Ein immer dünner und irgendwie auch immer weißer werdendes, 70-jähriges Männchen, ein irgendwie leicht verwirrt wirkender Großvater, der immer noch King of Pop genannt wird und der seinen ausgemergelten Körper wieder und wieder zum Moonwalk zwingt und irgendwann nur noch zu einer bedauernswerten Kopie seiner selbst wird. Anstatt mit 40 abzutreten, um fortan nur noch von seinem immer währenden Ruhm und seinen Tantiemen zu leben. Mal Hand aufs Herz: Hättet Ihr wirklich den King of Pop im Rentenalter sehen wollen, der in einer Homestory, wie Ozzy Osbourne mit Rollator durch sein Haus tapert, in dem vorne in einem Körbchen ein ebenso alter Schimpanse mit grauem Haar sitzt, und beide rattern im Elektrorollstuhl über die Neverland-Ranch. Klingt vielleicht jetzt sehr respektlos, aber sein plötzlicher und unerwarteter Tod und das Geheimnis darüber, war das Beste, was ihm passieren konnte. Michael Jackson ging, wie er kam. Mit großem Bohei.
Читать дальше