„Was waren das für Sachen?“, fragte Viktor, diesmal nicht streng, sondern eher behutsam. Das versprach bei seinem jetzigen Gesprächspartner mehr Erfolg, der zwar äußerlich voluminös wirkte, innerlich aber eher ein Kind zu sein schien.
„Ich habe manchmal Maurerarbeiten gemacht.“ Er schien froh, dass ihm wenigstens etwas eingefallen war, das er sagen konnte.
„Das war alles, sonst haben Sie nichts gemacht?“, fragte Viktor.
„Äh, …..nein“, sagte er so stockend, dass sogar der Unsensibelste dahinter etwas vermutet hätte.
„Sie wissen, dass Sie hier im Zusammenhang mit einer Straftat vernommen werden und die volle Wahrheit sagen müssen, andernfalls werden Sie selbst bestraft.“ Viktor versuchte, zu dieser Aussage ein möglichst ernstes, unbarmherziges Gesicht zu machen. „Ich glaube aber, dass Sie mir bisher nicht die Wahrheit gesagt haben.“
Der Stämmige sagte eine Zeit lang nichts, dann versuchte er, sich herauszureden.
„Na ja, manchmal habe ich auch andere Dinge gemacht, aber es fällt mir nicht alles gleich ein“, erwiderte er fast entschuldigend.
„Was haben Sie sonst noch gemacht?“, fragte Viktor.
„Manchmal habe ich auch kleine Aufträge übernommen“, war die Antwort.
„Was waren das für Aufträge?“
„Meist sehr kurze Arbeiten, bei denen nur eine Sache zu erledigen war.“
„Sie werden sich doch sicher erinnern, worum genau es sich dabei gehandelt hat.“
„Ja, sicher, …… ich musste, meistens mit einem zweiten, Leute besuchen, die nicht zahlen wollten, und dafür sorgen, dass sie zahlen, aber nicht immer, nur gelegentlich.“ Der Ukrainer machte ein besorgtes Gesicht, so als hätte er jetzt etwas gesagt, das ihm schaden würde. Viktor konnte sich denken, bei wem.
„Für wen haben Sie in der Ukraine gearbeitet?“, fragte er weiter.
„Das hat sich oft geändert, einmal für den, dann wieder für einen anderen.“
„Sie haben auch Aufträge für Ihren Freund hier ausgeführt. Wie heißt er doch gleich?“ Da keine Antwort kam, sah Viktor auf die Notizen, die er sich gemacht hatte. „Constantin Lazarenko. Ist es so?“
„Ja, auch für ihn“, antwortete der Ukrainer, diesmal weniger zögernd, da er offenbar erkannt hatte, dass eine Lüge ohnehin zwecklos gewesen wäre.
„Das heißt, Ihr Freund hat irgendwelche Geschäfte gemacht, und sie haben dann dafür gesorgt, dass seine Geschäftspartner ihren Teil der Vereinbarung einhalten. Wenn jemand nicht gezahlt hat, haben Sie ihn dann umgebracht?“
„Umgebracht habe ich nie jemanden!“, war die reflexartige Antwort.
„Warum sind Sie aus der Ukraine ausgewandert, gab es irgendwelche Probleme?“, fragte Viktor weiter, nicht sicher, ob sein Gegenüber überhaupt die Antwort wusste.
„Äh, …… Constantin hat gesagt, wir müssten weg, ich bin mit ihm mitgegangen, er hat mir immer Arbeit gegeben und so dafür gesorgt, dass ich etwas zu essen hatte. Ohne ihn wäre ich wahrscheinlich gar nicht zurechtgekommen.“ Er machte ein fast ängstliches Gesicht, so als könne er jetzt jeden Moment verhaftet werden.
„Danke, Sie können gehen“, sagte Viktor schließlich, worauf der Ukrainer, anfangs etwas unsicher, das Zimmer verließ.
„Mit dem haben Sie Glück gehabt, normaler Weise bekommt man aus denen überhaupt nichts raus“, bemerkte Ludwig mit seinem sonnigen Lächeln, als der Ukrainer weg war, „etwas war allerdings seltsam, ihre Aussprache. Sie haben das Ukrainische, das ja ihre Muttersprache ist, eigentümlich ausgesprochen, wie ich es noch nie gehört habe.“
„Woran kann das liegen?“, fragte Viktor.
„Ich bin mir nicht sicher“, antwortete Ludwig, „es könnte ein Idiom sein, das selten gesprochen wird, Ich kenne nicht alle Dialekte der Ukraine.“
„Aber sie haben gesagt, sie kommen aus Odessa. Dort wird ja wohl keine unbekannte Mundart gesprochen werden“, wunderte sich Viktor.
„Vielleicht sind sie woanders geboren und erst später nach Odessa gekommen, das wäre ohne weiteres möglich. Ich habe jedenfalls keine andere Erklärung dafür“, erwiderte Ludwig.
„Na, ich muss jetzt jedenfalls gehen. Vielen Dank für Ihre Dienste“, bemerkte Viktor und gab Ludwig die Hand.
„Keine Ursache, ist mein Job“, antwortete dieser wieder mit seinem strahlenden Lächeln auf den Lippen.
Viktor machte sich auf den Weg. Als er durch das Lager zum Ausgang schritt, fragte er sich, ob Ludwigs Entdeckung, was die Aussprache der Ukrainer betraf, irgendeine Bedeutung haben konnte. Seine Überlegungen führten zu keinem Ergebnis, er beschloss aber, die Sache im Hinterkopf zu behalten.
„Was hat er gesagt?“, fragte Margreiter, nachdem der Chefinspektor den Hörer aufgelegt hatte.
„Er hat mit Rettenbacher gesprochen“, war die Antwort, „der will morgen eine Klarstellung im Dreistättner Tagblatt bringen.“
„Und?“, drängte Margreiter, als Weininger nicht weiter sprach.
„Seine ,Klarstellung‘ kann er sich allerdings sonst wo hinstecken. Ich wird’ die Sache selbst in die Hand nehmen. Die Speichellecker wird sich wundern.“
„Von wem redest du momentan?“, fragte Margreiter.
„Von Mattausch natürlich! Meinst du, ich kenn’ ihn nicht? Der laviert sich doch wie ein Eiertänzer durchs Leben. Nur niemandem auf die Zehen steigen. Es könnt’ mir ja schaden. So geht’s doch zu da oben. Da wird doch der ärgste Dreck noch schöngeredet.“
In so einer Stimmung hatte selbst Mattausch den Chefinspektor noch selten erlebt.
„Komm’ erst einmal wieder runter. Wenn du jetzt einen Herzinfarkt kriegst, freut sich nur Rettenbacher. Was willst du jetzt tun?“ Erwartungsvoll sah er den Chefinspektor an.
Weininger atmete ein paar Mal durch und blickte dann mit bereits etwas entspannterem Gesichtsausdruck zu Margreiter.
„Gegen Rettenbacher juristisch vorgehen“, sagte er schließlich in einem Tonfall, der mehr nach einer Frage als nach einer Feststellung klang.
„Ist sicher eine Möglichkeit“, erwiderte Margreiter, „und wenn du Glück hast, muss Rettenbacher dann in allen Zeitungen verbreiten, dass du kein unfähiger Beamter bist und auf deinem Posten nicht durch Beziehungen sitzt. Glaubst du wirklich, davon hast du was?“
Weininger dachte eine Zeit lang nach.
„Hast du einen besseren Vorschlag?“
„Auch wenn’s dir nicht schmeckt“, antwortete Margreiter, „ich würde zu Rettenbacher gehen und ihm sagen, was ich mir vorstelle. Jetzt hast du ihn in der Hand. Nächstes Jahr sind Wahlen, da wird er’s auf eine Verurteilung nicht ankommen lassen. Sein Anwalt hat ihm sicher gesagt, dass die ganze Aktion mit dem Artikel nicht besonders intelligent war, sonst hätt’ er sich bestimmt nicht auf die Klarstellung eingelassen.
„Wahrscheinlich hast du recht“, erwiderte der Chefinspektor, „aber wenn, dann machen wir’s richtig. Wir bestimmen, was er zu schreiben hat, den genauen Inhalt, und …….“, er zögerte einen Moment, „und eine Erklärung von mir muss ebenfalls morgen ins Dreistättner Tagblatt. Was hältst du davon?“
„Was soll in der Erklärung stehen?“, fragte Margreiter.
„Dass Wortmeldungen wie die von Rettenbacher für die Lösung eines Mordfalles kontraproduktiv sind und wir alles tun, um das Verbrechen schnellstens aufzuklären und so weiter. Du kannst mir dabei sicher helfen.“
Sie setzten sich an den Tisch und hatten nach etwa einer halben Stunde ein Elaborat vor sich liegen, das ihnen beiden zusagte. Unmittelbar darauf rief der Chefinspektor bei Rettenbacher an, um sich einen Termin geben zu lassen.
„Heute ist leider kein Termin mehr möglich, ich kann Sie auch nicht durchstellen, da sich der Bürgermeister gerade in einer Sitzung befindet“, sagte die Sekretärin, eine Erwiderung, mit der Weininger gerechnet hatte.
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