Marian Liebknecht - Anele - Der Winter ist kalt in Afrika

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309 Seiten.
Philipp, Ende dreißig und «Single in Beziehung», steckt tief in der Midlife crisis, doch im Grunde ist es mehr als das. Rationalisierungen in seiner Firma zwingen ihn dazu, den ganzen Tag nur noch mit Däumchen-drehen zu verbringen. Zusätzlich zeigt seine Freundin Babsi, der ihre Karriere mehr bedeutet als alles andere, absolut kein Verständnis für die Probleme, die ihn beschäftigen. In dieser Situation bringt ihn der zufällige Kontakt mit einer Entwicklungshilfe-Organisation auf die Idee, eine Entscheidung zu treffen, die ihn alle Brücken hinter sich abbrechen und etwas völlig Neues beginnen lässt. Doch gerade da taucht jemand aus seiner Vergangenheit wieder auf …
Der Roman beschreibt Philipps Erlebnisse auf einer Reise, die in Wien, seiner Heimatstadt, ihren Ausgang nimmt und ihn in ein fernes Land im Süden Afrikas führt, wo er Leid und Tod, aber auch unzerstörbare Hoffnung und Lebensfreude kennen lernt. Es werden die Geschichten der Menschen erzählt, die ihm dabei begegnen und für sein eigenes Leben von entscheidender Bedeutung sind.

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Marian Liebknecht

Anele - Der Winter ist kalt in Afrika

Roman

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Inhaltsverzeichnis Titel Marian Liebknecht Anele Der Winter ist kalt in - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Marian Liebknecht Anele - Der Winter ist kalt in Afrika Roman Dieses ebook wurde erstellt bei

Teil 1 Teil 1 WIEN

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

Teil 2

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

26.

Impressum neobooks

Teil 1

WIEN

1.

Der Wecker läutete. Es war gerade halb sechs geworden. Mit einem ungelenken Griff, der das halbe Nachtkästchen leerräumte, brachte Philipp ihn zum Schweigen. Draußen war es noch dunkel. Halb im Schlaf suchte er mit seinen Fingern das Kabel, arbeitete sich langsam zum Schalter vor und schaffte es schließlich, die Nachttischlampe neben seinem Bett zum Leuchten zu bringen. Langsam setzte er sich auf. Seine Augen fühlten sich zugewachsen an wie bei einer dieser Amphibien, die in ihrem Leben noch kein Licht gesehen hatten.

Wie spät war es gestern wieder geworden? Seine Freundin Babsi hatte ihm in ihrer unverwechselbaren Art ohne Umschweife am Telefon die Tatsache hingeknallt, dass sie ihre Verabredung für den Abend wegen eines geschäftlichen Termins nicht einhalten könne und er sie heute Nachmittag anrufen solle. Es war eines jener Telefonate, bei denen sich ihm sämtliche Muskeln vom Bauchnabel abwärts verkrampften und er es doch nicht schaffte zu sagen, was er wollte, wohl weil er gar nicht wusste, was das war.

Wie immer an solchen frustrierenden Abenden hatte er sich daraufhin mit jeder Menge Chips und Bier vor den Fernseher gepflanzt, bis halb drei allen möglichen Schwachsinn angesehen und zwischendurch ziellos hin- und hergezappt. Und jetzt, nach dem Aufwachen, lag diese bleierne Schwere über seinem Schädel.

Langsam brachte er seine verklebten Augen soweit, das Zimmer ringsherum wahrzunehmen, wenngleich sein Körper die Tatsache, dass nun der Tag zu beginnen hatte, noch nicht akzeptieren wollte.

Schließlich zwang er sich, aufzustehen und setzte sich – zwischendurch lautstark gegen den Schrank krachend – Richtung Bad in Bewegung. Die lauwarme Dusche, die sich wie Lebenselexier über seinen Leib ergoss, tat ihm gut und half ihm, seine Gedanken einigermaßen zu ordnen.

In den hellen Momenten des gestrigen Abends war ihm Einiges durch den Kopf gegangen, das ihn schon länger beschäftigte. Es betraf nichts Bestimmtes, nur sein ganzes Leben. Im Moment hatte er das Gefühl, alles lief schräg, in seiner Beziehung ebenso wie in seiner Arbeit. Hier Spannungen und Frustrationen, dort Leerläufe, erstarrte Routine und das Gefühl, nur eine Nummer auf einer Liste, ein Blatt in einem Ordner zu sein.

Dem entsprechend tendierte er im Moment ganz allgemein zu ständig brodelnden Grübeleien, vor allem dann, wenn es ihm an geeigneter Ablenkung mangelte. Telefonate wie jenes mit Babsi bildeten in dieser Grundstimmung den geeigneten Katalysator, der das Fass zum Überlaufen brachte und Abende wie den gestrigen produzierte, an denen sich seine Gedanken so lange drehten, bis die nebenbei einverleibte Menge an Bier es ihm unmöglich machte, aus dem Kreisverkehr seiner krausen Überlegungen noch eine Ausfahrt zu finden.

Immer wieder verspürte Philipp in letzter Zeit die Sehnsucht, einfach auszusteigen, was immer unter diesem Begriff zu verstehen war, doch bisher hatte er noch nicht einmal den Mut gehabt, genauer darüber nachzudenken. Wohl deshalb, weil es bequemer war, einfach in seinen Gewohnheiten zu verharren, zwei- bis dreimal die Woche mit Babsi auszugehen, die Abende dazwischen vor dem Fernseher zu verbringen und sich über nichts den Kopf zerbrechen zu müssen.

Im Grunde war er nie ein Typ gewesen, der dazu tendiert, ernsthaft über sein Leben nachzudenken. Es war auch nicht seine Sache, Entscheidungen zu treffen, sie wurden üblicherweise für ihn getroffen und er nahm zähneknirschend zur Kenntnis, was das Leben für ihn bereit gehalten hatte. Anders ausgedrückt könnte man sagen, er ließ sich treiben.

Erst in den letzten Wochen gab es immer wieder diese Krisen, diese verwunschenen Stunden der einsamen Gedankenwirbel, denen letztlich nichts anderes zu Grunde lag als der Wunsch, sein Leben endlich selbst in die Hand zu nehmen.

An diesem Morgen blieb er länger als gewöhnlich unter der Dusche. Der behagliche Schwall heißen Wassers, der seinen die Wärme des Bettes noch vermissenden Körper hinunter lief, schien ihn nicht freigeben zu wollen. Schließlich überwand er aber den Widerstand und stieg heraus auf den kalten Fliesenboden des Badezimmers.

Zehn Minuten später verließ er in seiner Berufskleidung – Anzug, Krawatte und darüber ein Übergangsmantel – das Haus. Sobald er ins Freie trat, schlug ihm eine Kälte entgegen, mit der er zu dieser Jahreszeit noch nicht gerechnet hatte. Es war einer jener Herbsttage in Wien, an denen das Wetter einen starken Schub Richtung Winter macht und mit unerwartet frostigen Temperaturen aufwartet. Philipp atmete tief durch und genoss es, die Luft wie prickelndes Eis im Rachen und in der Lunge zu spüren, raffte aber im selben Augenblick seinen Mantel enger zusammen, da er am Körper fror.

Wie an jedem Arbeitstag schritt er zweihundert Meter die Straße entlang zur Frühbar an der Ecke. Beim Eintreten genoss er die behagliche Wärme, die ihm entgegen wallte und bestellte sich Kaffee und ein Sandwich. Während des Frühstücks ließ er seinen gestrigen Arbeitstag Revue passieren. Sein Chef hatte ihm angekündigt, heute früh mit ihm etwas besprechen zu wollen, was an sich nichts Ungewöhnliches war, allein die Art, wie er es gesagt hatte, hatte in Philipp Vorahnungen geweckt, von denen er nicht wusste, ob er sie ernst nehmen oder zum Teufel jagen sollte. In jedem Fall hätte er die Unterredung lieber schon hinter sich gehabt.

Philipp arbeitete in seinem Job als Kreditreferent einer Bank mitten in Wien schon mehr als fünfzehn Jahre. Er prüfte die Bonität der Kreditwerber und genehmigte Kredite entweder selbst oder holte sich in Zweifelsfällen die Genehmigung seines Chefs. Der hielt sich bei seiner Entscheidung praktisch immer an das, was Philipp ihm riet. Durch die vielen Jahre, die er nach anfänglichen kleinen Karrieresprüngen nun schon dieselbe Arbeit machte, war eine Routine in ihm gewachsen, die die Arbeit zwar erleichterte, aber auch dazu führte, dass er keinerlei Herausforderung mehr darin sah. Bei normalem Fortgang der Ereignisse hatte er auch punkto Karriere kaum mehr etwas zu erwarten.

Zu allem Überfluss kursierten in der Bank Gerüchte über bevorstehende Rationalisierungsmaßnahmen, der Hauptgrund für das Magendrücken, das die heutige Besprechung in ihm hervorrief, aber auch eine der Ursachen für seine allgemein gedämpfte Laune.

Er aß den letzten Bissen seines Sandwiches, zahlte und ging wieder hinaus auf die Straße. Es war noch immer ziemlich kalt, der Atem dampfte, aber durch den Hochnebel, der sich im Herbst oft tagelang wie eine Decke über der Stadt ausbreitete, lugte da und dort bereits ein Stück blauer Himmel, was zumindest für heute Einiges an Sonne erwarten ließ.

Im Tageslicht, das langsam die Dunkelheit der Nacht verdrängte, sah man die Häuser mit ihren historischen Fassaden, die der Straße, in der Philipp lebte, den so typischen altösterreichischen Charme verlieh. Von der etwa dreihundert Meter entfernten Haltestelle brachte ihn die Straßenbahn zu seiner Bank in der Innenstadt. Obwohl die U-Bahn schneller war, liebte er es, in diesen alten, polternden Waggons zu sitzen, die in Wien noch immer eingesetzt wurden.

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