Nach einem irritierten Blick stotterte sie ihre Bedenken los.
„Du wirst doch nicht etwa …, nein, das wirst du nicht …, nicht dieses Ding in die Luft schießen wollen?“, japste sie aufgeregt.
Mellow nahm seinen Kopf hoch, versuchte mit einem Hundeblick so unschuldig wie nur irgend möglich drein zu schauen.
„Ich habe meinen Brief fertig und der muss irgendwie da hoch. Da gehört er schließlich hin.“
Mellow deutete mit seinem Finger nach oben in den Himmel.
„Ab in die Wolken. Glaube mir, dieses Mal gelingt es bestimmt.“, frohlockte er siegesgewiss.
Minja schüttelte ungläubig ihren Kopf.
„Hilf mir besser, bevor du dir unnötig deinen Verstand zermarterst. Es ist eine beschlossene Sache.“
Und so bastelten sie tagelang an der einen Meter hohen Rakete. Sie nutzten, wann immer es ging, die Zeiten, wenn Aurilia außer Haus war. Sie durfte auf keinen Fall von Mellows Plan erfahren. Sie hätte beide Hände entsetzt über den Kopf zusammengeschlagen und es ihm mit strengen Worten verboten.
Nachdem die metallenen Treibstofftanks luftdicht versiegelt und an der Rakete festgeschraubt waren, band Mellow den zweiten Brief mit einer Schnur um den Bauch des blauweißen Luftgeschosses.
Noch in derselben Nacht schlichen sie sich außer Haus, transportierten aufgeregt das vollgetankte Ungetüm auf dem Bollerwagen zu ihrem Versteck Wolke 7.
„Minja, ich habe das Gefühl, wir werden beobachtet.“, flüsterte Mellow. „Vielleicht sollten wir es besser lassen. Zu gefährlich.“
Doch Minja wischte seine Bedenken zur Seite.
„Wie kommst du darauf? Es ist mitten in der Nacht und das Dorf schläft. Mach dir keine unnötigen Sorgen!“
Mellow wurde das Gefühl trotzdem nicht los. Hastig rollte er die mit Schwarzpulver gefüllte Lunte von der Trommel, versuchte so viel Abstand wie nur möglich zwischen sich und dem explosiven Fluggerät zu bekommen. „Ratsch, Ratsch.“ Das Feuerzeug ratschte und Mellow zündete mit zittriger Hand die Zündschnur an. Gebannt verfolgten sie die glühende Spur, die zischend abbrannte, und ihren Weg zielstrebig zu der Rakete fand. Das Vorkammergas entzündete sich blitzartig und feuerte mit einem ohrenbetäubenden Lärm den entweichenden Treibstoff an. Die Schubkraft beschleunigte die Rakete, sie hob vom Boden ab und begab sich auf die Reise zu den Sternen. Sie stieg und stieg. Höher und höher. Mellow wähnte sich im siebten Himmel, ballte seine Fäuste vor Siegesfreude. Eine tonnenschwere Last fiel ihm von den Schultern. Endlich war es geschafft.
„Juhu, es klappt! Schau Minja, es klappt.“, rief er jauchzend aus, tanzte ausgelassen um sie herum.
„Buuuumm.“ Ein lauter Knall zerriss den atemberaubenden Moment. Die Rakete explodierte vor ihren Augen und ein riesiger Feuerball erhellte den dunklen Himmel. Schlagartig flüchteten sie vor den herab prasselnden Teilen, die rund um den Spielplatz einschlugen und verglühten. Sie sahen das Ergebnis ihrer Missetat und versteckten sich, wie zwei angeschossene Karnickel, in ihrem geheimen Quartier. Niedergeschlagen ließen Mellow und Minja abermals ihre Schultern hängen. Abermals scheiterte der Versuch.
„Arrggh, nein, verdammter Mist. Das ist doch wirklich wie verhext.“, polterte Mellow enttäuscht los und knallte das Feuerzeug wütend gegen den Boden. „Was ist dieses Mal schiefgelaufen? Nix klappt. Aber auch gar nix. Verdammt, verdammt, verdammt.“
Minja schwieg, setzte sich bedrückt in den Ohrensessel.
Als er zu Hause war, fiel es ihm schwer einzuschlafen, so entmutigt war er mittlerweile. Jedoch, in dieser Nacht fielen die Sternschnuppen reichlich vom Himmel, und er verstand es insgeheim als Botschaft, auf keinen Fall aufzugeben.
Also tüftelte er auf ein Neues los, Tag um Tag, doch es stellte sich keine brauchbare Idee ein. Der dritte Brief war jedenfalls schnell geschrieben, das war schließlich das geringste Problem für ihn.
„Mellow, komm mit! Lass uns in die Stadt gehen, bevor du verzweifelst.“, forderte Minja ihn auf und grinste über beide Backen. „Wir sind viel zu jung um Trübsal zu blasen. Vielleicht kommst du dann auf andere Gedanken.“
Mit viel Mühe und Überredungskunst schaffte es Minja ihren betrübten Freund umzustimmen. Die Fahrt mit dem Bus nach Fow Fonk dauerte eine knappe Stunde, doch kaum waren sie angekommen, drängte es Mellow in das städtische Zoogeschäft, da es bei weitem größer war, als das in ihrem überschaubaren Dorf. Der Besuch bei den aufgeweckten Tieren hellte seine miese Laune schlagartig auf. Er streichelte die Hasen und die Hamster, bewunderte die exotischen Zierfische und verweilte bei den trägen Amphibien in ihren warmen Terrarien. Aber in der Abteilung der Vögel, da gab es für ihn kein Halten mehr. Mellow hegte von jeher eine tiefsitzende Leidenschaft für jegliche Gattung der gefiederten Tierchen. Hier gab es Arten, die kannte er nur von den bildlichen Zeichnungen aus dem Schulbuch. Er studierte begierig die knappen Beschreibungen auf den Tafeln, die vor den hohen Käfigen aufgestellt waren. Aus jeder Ecke zwitscherte es. Mellow steckte seinen Finger furchtlos durch die Gitterstäbe, streichelte die fedrigen Köpfe. Jedem anderen hätten sie vermutlich mit ihren harten Schnäbeln nervös in die Finger gehackt. Vor allem ein tschiepender Piepmatz tat es ihm an, aufgrund seiner himmelsgleichen Farbigkeit, die ihm das Aussehen eines fliegenden, strahlendblauen Saphirs verlieh. Er las die Beschreibung des faszinierenden Vogels genau durch. Mehr noch, Mellow verspürte eine innige Zuneigung zum dem putzigen Vögelchen.
„Schau mal Minja! Der blaue da. Das ist ein Eisvogel. Die Bezeichnung passt zu ihm.“, stellte Mellow begeistert fest.
Minja stellte sich an den Käfig und stimmte zu. „Ja, wunderschön.“
Mehrere Stunden waren mittlerweile vergangen. Sie beschlossen sich ein leckeres Eis zu besorgen.
„Minja, bleib stehen! Guck mal! Das glaubst du nicht.“
Auf dem Weg zur Eisdiele entdeckte Mellow ein weitflächiges Werbeplakat, das sofort seine gesamte Aufmerksamkeit auf sich zog. Sorgfältig las er den Text. Da stand es in großen Buchstaben.
„ 101 BALLON“
Abgebildet war eine ganze Flotte bunter Heißluftballons.
„Sonntag in ihrer Stadt. Ein einmaliges Spektakel. 101 Ballons streben der grenzenlosen Freiheit entgegen. Bewundern sie den Himmel über ihren Köpfen.“, stand einladend auf dem Plakat.
In Mellow begann es zu brodeln. Nachdem sie ihr leckeres Eis verputzt hatten, beschlossen sie mit dem Bus zurückzufahren.
Am nächsten Tag traf Minja erst am späten Nachmittag im Quartier Wolke 7 ein. Sie hörte ein aufgewecktes Tschiepen, das von unten aus dem Kellerraum zu ihr hochschallte. Neugierig folgte sie den Lauten, blickte geschwind um die Ecke, und sah Mellow, in seiner Hand befand sich der eisblaue Saphirvogel, der ihm in der Stadt am Finger geknappert hatte. Mellow sprach ganz ruhig mit ihm. Der Vogel, so schien es, hörte aufmerksam zu, ganz so als ob er ihn verstand.
„Mellow und sein neuer Freund.“, stellte Minja schnippisch fest, näherte sich, um den Vogel in Augenschein zu nehmen. Herrliches Kobaltblau und Türkisfarben strahlten aus seinem Gefieder und ein leuchtend blauer Streifen zierte seinen Rücken. Selbst sein spitz zulaufender Schnabel war mit einem wundervollen Blau ausgestattet.
„Ja, Minja! Der kleine Freund hier, wird nun mein Bote sein. Ich habe ihn BigBig getauft. Für ihn habe ich mein gesamtes Taschengeld ausgegeben. Aber er ist jede Münze wert. Mit meinem Teleskop werde ich wohl noch warten müssen.“
Mellow streichelte BigBig übers Gefieder.
„Ich werde mit seiner Hilfe den Brief in die Wolken befördern. Und ich weiß auch schon genau wann. Dieses Mal wird es sicher klappen.“
Mellow weihte Minja in seinen abenteuerlichen Plan ein.
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