Sie füllen noch heute die Pipeline, sagte jemand zu ihm, und die P-Liste wird auf den neuesten Stand gebracht. Lassen Sie sich was einfallen. Morgen muss ich das alles präsentieren. Meinen Sie vielleicht, ich habe Lust mich zu blamieren. Oh, tut mir leid, wir hatten keine Zeit dafür, Herr Vorstand. Wirklich. So viel Arbeit. Wird er sicher einsehen. Wie stellen Sie sich das alles eigentlich vor? Werden Sie erwachsen. Hören Sie auf zu jammern. Es wird Zeit, dass Sie den Arsch hoch kriegen. Ich erwarte mehr von Ihnen. Haben wir uns verstanden?
Pat nickte und dachte dabei an eine Geflügelschere und an den Ringfinger seines Vorgesetzten. Als die Tür ins Schloss gefallen war, öffnete Pat die neueste Email. Betreff: Kommunikation. Fragestellung mit Strategie. Bestimmt ein total spannender Text. Nur ein einziger Satz schaffte es bis zu Pat.
Denken Sie daran, dass Sie viermal schneller denken können, als ihr Gesprächspartner reden kann.
Wahnsinn.
Pat schrieb Wörter in Excel-Listen.
Prüfung aller Effiziensteigerungsmöglichkeiten
Potentialanalyse intensivieren
Fokussierung auf Top-3-Projekte
Kommunikation verbessern
Hit-Rate steigern / optimierte Angebotsverfolgung
Dynamisierung der Logistik
Networking ausbauen und gezielt nutzen
Noch mehr mit Rosa Schälchen winken
Zu spät kommen
Fickt Euch doch alle ins Knie
Speichern.
Email senden.
Pat schaltete seinen Computer aus, kippte einen Rest kalten Kaffee in die Tastatur und verließ das Büro mit geradem Rücken.
Der nächste Tag kam. Und ging.
Sein Chef war relativ umgänglich.
Am Folgetag überprüfte Pat die Excel-Liste, die er seinem Chef gesendet hatte.
Networking ausbauen und gezielt nutzen
Noch mehr mit Rosa Schälchen winken
Zu spät kommen
Fickt Euch doch alle ins Knie
Kommen Sie bitte mal in mein Büro.
Na endlich.
Der Chef referierte gewohnt langatmig über heiße Luft. Dann räusperte er sich und sagte: das wär’s dann.
Pat ging zurück an seinen Arbeitsplatz und spielte Tetris.
Er konnte nicht mehr arbeiten. Wie verhext war es. Er saß vor dem Bildschirm und brachte es nicht fertig, Outlook anzuklicken. Es ging einfach nur noch Tetris. Tage vergingen so, ganze Arbeitstage.
Das Eichhörnchen war verschwunden, der Rauhaardackel ebenso. Im Gebüsch saß der Mann mit dem Fernglas. Vielleicht hat er Hunger, dachte Pat, oder es ist ihm langweilig.
Er überlegte, ob er mit Mehl eine kleine Linie auf dem Fensterbrett ziehen sollte. Aber er wusste nicht, wo das Mehl war.
Einen Einkaufszettel musste er noch abarbeiten, und Altglas wegbringen. Es war fast wie arbeiten. Immerhin konnte er rauchen und Musik hören. Und einen Jogginganzug anhaben. Und es gab keine Excel-Tabellen. Keiner beschimpfte ihn. Es ist fast eher wie krank sein, also nur leicht krank. An der Grenze zum Blaumachen. Grauzone Unwohlsein.
Wenn seine Freundin im Supermarkt dabei war, durfte er nicht im Jogginganzug gehen. Warum wusste er nicht. Sie hatte es ihm verboten. Er hatte es hingenommen, wie ein Kind, dass sich die Zähne putzen muss. Heute konnte er alleine einkaufen gehen. Den Jogginganzug hatte er schon an. Mittellaunig holte Pat den Einkaufszettel aus der Küche. Ein Herzchen war darauf gemalt. Schlüssel nicht vergessen, Geldbeutel mitnehmen, Schuhe richtig zubinden. Hochleistungsleben, dachte Pat. Er ging zu Fuß. Gute zehn Minuten. Auf halber Strecke bemerkte er, dass er den Rucksack vergessen hatte. Er ging weiter.
Als er einen Einkaufswagen holen wollte, kramte er vergeblich in der Hosentasche, um einen passenden Chip zu finden. Ein Eurostück geht auch, dachte er, und fand keines im Geldbeutel. Reine Schikane ist das, reine Schikane. In der Eingangshalle des Marktes gab es eine Bäckerei und einen Metzger. Geld wechseln schien im Bereich des Möglichen.
Die Metzgereifachverkäuferin war noch in der Ausbildung. Sie hatte es auf der Schürze stehen. Gekennzeichnet wie die Wurstwaren. Die Auszubildende war sehr dick und hatte eine Schweinenase. Pat freute sich.
Das passiert ganz oft, sagte sie, die Leute vergessen immer ihre Chips. Das ist ganz normal, das macht doch nichts.
Tröstende Worte von der Metzgereifachverkäuferin in Ausbildung.
Auch das noch.
Vor ihm erreichte eine junge Frau mit ihrer kleinen Tochter die Einkaufswagenschlange. Das kleine Mädchen versuchte gleich, von hinten auf den Wagen zu klettern. Missmutig zog die Mutter das Kind weg und sagte in reinem Hausmeisterfränkisch: „Geh hall von der Seitn‘ hie, da geht’s aah wie schee. Siggsders?“
Das Kind schien zu überlegen, leckte am Gestell des Einkaufswagens und nuschelte: „An die Seitn‘ hie? Hää?“
Pat teilte die Ratlosigkeit der Vierjährigen Chantal.
„Gehsdu etz her, Schandall, nochamool soch ichs fei ned!“
Die Mutter zündete sich eine Zigarette an.
Darf ich auch eine haben, fragte Pat.
„Fraahli, mier Rauchers meiyn zsamm halldn, ne. Da, schau her, a Feier gibbidier aa glei.“
Dankbar rauchte Pat und schenkte der kleinen Chantal ein Lächeln. Rotz lief aus ihrer Nase, und sie schielte ein bisschen. Eher vom Dorf, mutmaßte Pat.
Na, Du wirst bestimmt auch bald anfangen zu rauchen, hm?
Die Mutter schaute böse und zog das Kind mit sich fort.
Ich will bei dem Mann bleiben, schrie Chantal.
Pat freute sich, dass jemand ihn mochte.
Als der Filter erreicht war, trennte sich Pat von seiner Zigarette und betrat den Supermarkt. Dreierpack Paprika, keine Farbangaben. Der erste kleine Einkaufsfehler war vorprogrammiert. Pat entschied sich für ein Produkt, das mit einem BIO-Aufkleber aufzuwarten wusste. Das würde seiner Freundin gefallen. Fettreduzierte Milch. Keine Prozentangabe. H-Milch oder Frischmilch? Tetrapack oder Glasflasche? Markenprodukt oder Hausmarke? Auf einer Milchtüte entdeckte er das Logo eines Fußballvereins.
Aus den Lautsprechern sangen Reklamestimmen melodiösen Unfug. Frauenarztpraxis Dr. Katharina Schmelzer, für Männer leider zu gut!
Wer drei Käse kauft, bekommt noch einen vierten Käse gratis dazu!
Die neuen Sammelbilder sind da – jetzt fleißig einkaufen und Sticker abräumen!
Hey, Pat, Servus, hab‘ Dich ja ewig nicht gesehen. Was treibst Du denn hier? Musst Du nicht was arbeiten? Oder hat der Herr Doktor schon ausgesorgt?
( Pat ging in diesem Moment folgender Satz durch den Kopf:
Denken Sie daran, dass Sie viermal schneller denken können, als ihr Gesprächspartner reden kann.)
Pat hatte prinzipiell wenig Spaß an Gesprächen dieser Machart. Er war sehr schlecht im Smalltalk. Für ein Satiremagazin hatte er mal folgenden kleinen Text geschrieben:
Trésor d’expérience
Vorteil in der Smalltalk-Hölle: wer wenig weiß, muss seltener was sagen.
Ich geh nur schnell einkaufen, später hab ich noch Termine. Bin ein bisschen im Stress ehrlich gesagt, tut mir leid.
Ne, ne, soweit alles in Butter. Viel Arbeit halt.
Klar, Du auch. Also ade.
Pat sah, dass sein ehemaliger Klassenkamerad Richtung Kasse ging. Er versteckte sich noch eine Zeit lang bei den Teebeuteln und bei der Schokolade. Auf dem Weg zur Kasse entdeckte er dann einen Rucksack. Er hing mit lauter anderen Wandersachen in einem kleinen Mottobereich. Pat wusste, dass es Ärger geben würde. Aber er wusste auch, wie beschissen es war, schwere Plastiktüten zu tragen. Er kaufte den Rucksack. Das Geld reichte knapp. Er musste nur noch schnell die Bio-Paprika gegen Hollandware eintauschen, sich vom Edel-Nuss-Mix trennen und die Zigaretten weglassen. Die Einkäufe passten gut in den neuen Rucksack. Komforttragegurte. Wellness für die Schultern. Es begann zu regnen.
Ob der Mann im Gebüsch auch bei Regen ausharren würde?
Pat lief sehr langsam durch den faserigen Niederschlag. Mit Plastiktüten hätte ich das niemals ausgehalten, dachte er, und vergrub seine Hände noch tiefer in den Hosentaschen. Der Rucksack war eine notwendige Investition. So würde er es ihr sagen, heute Abend. Eine absolut notwendige, unumgängliche Investition.
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