In einem Bericht von Michèle Binswanger in der Zeitung „Die Zeit“ konnte man lesen:
Wir pathologisierenFremdgeher, dabei sind sie doch der Normalfall […]. Denn sexuelle Treue im umfassenden Sinn ist unmöglich. Wir können die Lust unterdrücken, wir können so tun, als gäbe es sie nicht. Aber es ist eine Täuschung. Als Liebende halten wir uns für die vornehmen Protagonisten einer Verfilmung von Romeo und Julia. Was die menschliche Sexualität angeht, wird aber Planet der Affen gespielt. Trotz ihrer romantischen Veranlagung, ist unsere Spezies reichlich sex-besessen. Weltweit fließen täglich Milliarden in den industriellen Komplex, der Sexualität, Pornografie und Prostitution, Partnerbörsen und Seitensprungportalen. Pharmaindustrie und Paartherapeuten verdienen daran, die Symptome unserer Krankheit zu lindern.“ (http://www.zeit.de/2012/13/CH-Monogamie)
Sexuelle Treue ist biologisch gesehen unmöglich, und um sie möglich zu machen, muss man so an sich schrauben und so vieles in sich abtöten, dass man am Ende für den Sex selbst kein Gefühl mehr hat.
Der Mensch funktioniert leider nicht wie eine Maschine. Bei einer Maschine kannst du einen Teil abstellen, verändern und die Maschine läuft weiter, sie gibt die gleiche Leistung. Bei Menschen ist es leider anders. Jede Veränderung – sei es nur eine ganz kleine – bringt weitere Konsequenzen mit sich.
Der Mensch ist von Natur aus nicht so eingestellt, dass er nur einen sexuellen Partner hat. Sex hat mit Empfindungen, Lust, Begierde zu tun. Sex ist nicht dazu da, um eine Liebe und eine Beziehung zu bestätigen. Sex ist auch nicht nur dazu da, um Kinder zu zeugen, wie die Dogmatiker es in allen Kulturen behaupten.
Zum Sex gehören auch wichtige natürliche Elemente, nämlich die Lust und der Genuss nicht nur auf den und mit dem anderen, sondern auch und vor allem an sich selbst. Wenn man von Lust und Genuss spricht, spricht man auch von Diversität.
Die Untreue war auch schon in den alten Gesellschaftsformen Thema, als moralisch verwerflicher Akt, als Unzucht und Sünde, besondersseit der Zeit nach Christus.
„Sex mit jemand anderem“ UNTREUE zu nennen, ist schon sehr bezeichnend. Das Wort alleine macht Angst und bringt einen in Gewissenskonflikte. Schon dieses Wort macht aus dir etwas Böses.
Die westliche Vorstellung von Sexualität ist sehr von der katholischen Kirche und ihrer kulturellen Entwicklungen geprägt. Die katholische Kirche ist ihrerseits sehr männerdominiert.
Sex mit verschiedenen Partnern ist aus Sicht der Bibel nicht vorgesehen.
Außerehelicher Verkehr ist nach der katholischen Kirche Unzucht.
So steht es in der Bibel:
„... so habe ein jeglicher seine eigene Frau und eine jegliche ihren eigenen Mann“ 1.Kor.7,2
Sex mit einem Partner hat seinen Platz nur im geschützten Rahmen der Ehe, oder im erweiterten Sinne nur in einer Beziehung, wie die modernen Menschen das Konzept übertragen haben.
Laut der Kirche wird beim Geschlechtsverkehr neben der körperlichen Vereinigung auch eine geistige Vereinigung vollzogen. Es entsteht – ob gewollt oder nicht – eine geistige Einheit und Bindung zwischen den beiden Beteiligten. Deswegen ist es unmöglich, dass man mit einem Mensch Sex hat, ohne sich mit ihm geistig zu vereinen.
Dies wird deutlich in folgenden Bibelzitaten:
„Darum wird der Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen, dass sie zu einem Fleische werden. Und sie waren beide nackt, der Mensch und sein Weib, und schämten sich nicht.“ 1.Mose 2,24-25 und noch deutlicher in: „Wisset ihr aber nicht, dass, wer einer Hure anhängt, ein Leib mit ihr ist?“ „Denn es werden“, spricht Jesus, „die zwei ein Fleisch sein.“
Weiter heißt es: „Wer aber dem Herrn anhängt, ist ein Geist mit ihm. Fliehet die Unzucht! Jede Sünde, die ein Mensch [sonst] begeht, ist außerhalb des Leibes; der Unzüchtige aber sündigt an seinem eigenen Leib. Oder wisset ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des in euch wohnenden heiligen Geistes ist, welchen ihr von Gott empfangen habt, und dass ihr nicht euch selbst angehöret? Denn ihr seid teuer erkauft; darum verherrlichet Gott mit eurem Leibe!“ 1.Kor 6,16-20.
Die Untreue als Schande und Sünde war/ist auch ein Instrument, das gegen die Sexualität der Frauen gerichtet wurde und noch wird. Früher hatten die Frauen kaum Recht auf Sexualität. Es war schmutzig, wenn eine Frau beim Sex Lust empfand. Sex wurde als etwas gesehen wie Essen, das die Frau dem Mann servieren muss. Frauenlust spielte dabei keine große Rolle. Alles war auf die Männerlust fixiert. Während Frauen zur monogamischen Lust gezwungen waren, durften Männer aber ungeniert mehrere Sexpartner haben. Ein Beweis dafür ist auch, dass es viele „Gottesvertreter“ gab und gibt, die trotz ihrer biblischen Regeln Sex mit anderen Frauen und Männern hatten (haben).
Die Frauen kämpften, um sich von dieser Unterdrückung und Bevormundung der Männer zu befreien. Die Männer konnten nicht standhalten, weil es auch natürlich gesehen keine Gründe gab, den Frauen bezüglich der Lust und Sexualität nicht die gleichen Rechte zu geben.
Mit der allgemeinen Emanzipation und Entwicklung hatte man sich nun zumindest öffentlich von der religiösen Begründung der Ablehnung der sexuellen Untreue entfernt. Die Ablehnung wurde nun moralisch erklärt, indem man den Menschen auf eine sehr subtile Art glaubhaft machte, dass Sex und Liebe zusammengehören und Sex nur in der Ehe bzw. in einer Partnerschaft zu genießen wäre. Dafür aber musste man auch die Grundidee der Ehe ändern und den Menschen wieder glaubhaft machen, dass man ausschließlich aus Liebe heiratet und die Ehe nun nicht mehr nur als eine gesellschaftlich notwendige Lebensgemeinschaft zu sehen ist.
Damit hat man das Verhalten der Menschen in Sachen Treue und Untreue in Schach gehalten, aber diesmal mit der Zustimmung der Frauen. Im Endeffekt hat sich nicht viel geändert. Die Männer können weiter mehrere Partner haben, mal öffentlich, mal geheim. Mit geschickten Worten und Theorien schafften es die Männer zu beweisen, dass eine sexuell aktive Frau eine „Hure“ und ein sexuell aktiver Mann ein „echter Kerl“ ist. Ist nicht jeder Mann ein bisschen stolz, wenn man ihn Casanova nennt?
Wie du siehst, die Treue ist nicht mit der Natur der Menschen zu erklären, sie ist auch keine gesellschaftliche Notwendigkeit, sondern nur ein Instrument, mit dem die Männer versuchen (früher zumindest), die Sexualität der Frauen in der Öffentlichkeit zu kontrollieren.
Dass man den sexuellen Trieb langfristig nicht nur auf einen Menschen fixieren kann, zeigen meine Umfragen, meine Selbsterfahrung und die Umfragen in den Medien. Ich habe über 100 Menschen, Männer und Frauen, über ihre Lust, mit anderen Menschen zu schlafen, befragt. Über 50 % der Befragten sagten mir, dass sie mindestens schon einmal fremdgegangen sind. Von den 50% sagten ca. 30%, dass sie es gern getan haben und es öfter tun. Über 65% waren Frauen und das erstaunt mich sehr. Meine eigene Erfahrung geht in die gleiche Richtung. Von 100 Frauen, mit denen ich geschlafen habe, als ich noch so unbekümmert war, waren 70 in Beziehungen. Sie waren entweder verheiratet oder in einer fest liiert. Repräsentative Umfragen in Deutschland besagen, dass mindestens 35% bis 65% der Deutschen fremdgehen, dabei stehen die Frauen den Männern in fast nichts nach.Alle Gelegenheiten werden genutzt, um die Lust auf den „fremden“ Körper auszuleben. Es geht so weit, dass sogar im Kindergarten, an Sportplätzen, in Schulen Eltern vom Deckmantel und Schutz ihrer Kinder profitieren, um Affären zu haben. Es geht sehr versteckt, niemand kann es ahnen und keiner wird es jemals zugeben. Diese Verlogenheit stärkt die Lust in der Partnerschaft nicht.
Ich habe bei der Vorbereitung dieses Buches mit 21 Frauen zwischen 78-85 Jahren interessante Gespräche geführt. Sie sprachen mit mir über ihre Sexualität. Es war erschreckend zu hören, dass über 98% von ihnen behaupteten, dass sie Sex niemals genossen haben und gar nicht wussten, wie sich ein Orgasmus anfühlt. Sie behaupteten, dass sie Sex nie gemocht haben. Viele haben nur einen Mann kennengelernt, keine von diesen Frauen ist je fremdgegangen.
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