Damit war die Unterhaltung beendet, denn Emelda trommelte schon wieder zum Aufbruch.
„Kinder“, rief sie dazwischen, „wir gehen immer davon aus, dass der `Unerhörte´ unbedingt verhindern will, dass wir mit Sinja in Fasolânda ankommen. Vielleicht muss er das gar nicht mehr. Vielleicht hat er ein Mittel gegen die Geige gefunden. Das wäre allerdings der Super-Gau. Trotzdem gebe ich Amandra Recht – wir müssen unseren Teil tun und erstmal die `Fermata´ erreichen. Vielleicht gibt es dort auch schon neue Nachrichten. Also schlage ich vor, jetzt weiterzugehen.“
„Hmmm, bleibt uns wohl nichts Anderes übrig, oder?“, stellte Sinja gähnend fest.
Ihre Augen waren mittlerweile nur noch halb so groß wie normal. Die Müdigkeit war zurück. Eigentlich hätte sie jetzt gemütlich zuhause im Bett liegen und schlafen sollen. Vielleicht noch ein bisschen lesen vorher, Geolino oder das neue TopModel-Heft und dann schön geschmeidig ins Reich der Träume hinübersegeln. Stattdessen turnte sie hier durch eine fremde Welt, in der sie momentan Gefahr lief, von irgendwelchen schaurigen Flugreptilien als Leckerei zum Abendessen vertilgt oder Opfer sonst irgendeiner Attacke zu werden.
Die Aussichten, hier ungeschoren davon zu kommen, waren jedenfalls nicht die besten. Und jetzt musste sie auch noch, ob sie wollte oder nicht, statt selig und süß zu schlummern und mit Mama zu kuscheln, Kilometer weit laufen, um irgendeine Feradingsda zu erreichen, wo sie angeblich sicher sei und das würde bestimmt noch Stunden dauern und wer weiß, ob sie da überhaupt jemals ankommen würden……
„Ich krieg‘ die Krise“, dachte sie. „Ich bin einfach nur müde und kann nicht weiter. Da kann Emelda noch so laut trommeln.“
Sie legte sich ins Gras und schlief auf der Stelle ein.
Da halfen auch keine Durchhalteparolen mehr.
„Oh je“, klagte Amandra, als sie Sinja liegen sah, „unsere Heldin hat den Kampf gegen den Schlaf verloren. Was nun?“
„Darauf können wir jetzt keine Rücksicht nehmen“, sagte Emelda.
„Wir müssen weiter. Wenn die Sonnen aufgehen und wir sind immer noch in der `Leggiero´, dann kann es brenzlig werden.“
„Da muss ich dir Recht geben“, erwiderte Amandra“, aber was machen wir mit unserer Freundin hier?“
„Wie wäre es denn, wenn wir `Allegro´ das Problemchen überlassen?“, schlug Gamanziel vor. „Ich sehe jedenfalls keine andere Möglichkeit. Es sei denn, eine der Damen hätte ganz große Lust, unsere Geigerin bis zur `Fermata´ zu schleppen. Ich weiß, wir hatten gute Gründe, sie nicht auf das Pferd zu setzen, aber jetzt muss es wohl sein.“
„Na gut, ich hoffe nur, sie fängt nicht noch an zu schnarchen“, knurrte Emelda.
Damit war die schlafende Sinja an `Allegro´ übergeben. Der nahm sie, wie vorher bei ihrem gemeinsamen Reitausflug mit einem Flügel sanft auf, legte sie vorsichtig auf seinen Rücken und lief los.
„Ich liebe dieses Tier“, dachte Gamanziel, als sie sah, wie gefühlvoll der Hengst Sinja behandelte.
Die bekam von alledem nichts mehr mit. Sie war in einen tiefen Schlaf gefallen und träumte von zuhause, träumte von einer ruhigen Nacht auf ihrer weichen Matratze und davon, wie sie am nächsten Morgen fröhlich lachend mit ihren Freundinnen zur Schule ging. Die Mathearbeit, die in der zweiten Stunde geschrieben werden sollte, vor der sie gestern noch furchtbar Angst gehabt hatte, war auf einmal das einfachste der Welt und hatte jeglichen Schrecken verloren. In ihrem Traum freute sich Sinja sogar darauf.
„So ändern sich die Dinge“, hörte sie ihre Mutter leise sagen.
Dann sah sie auf einmal sich selbst, ganz alleine auf einem großen Hügel stehen. Sie hatte eine Geige in der Hand und einen himmelblauen, bodenlangen Umhang, der mit Gold- und Silbermotiven bestickt war. Unter dem Umhang trug sie eine weiße Hose mit weiten Beinen und ein weites, weißes Hemd. Der Hügel wurde angegriffen von einem Heer von Ameisen, die versuchten Sinjas Beine zu erreichen und ihr in die Hose zu krabbeln. Sinja schüttelte sich bei dem Gedanken daran, dass die Insekten ihr Ziel erreichen könnten. In ihrer Verzweiflung begann sie, eine Melodie auf ihrer Geige zu spielen. Die Melodie war langsam und traurig und bestand nur aus drei Tönen. Plötzlich hielten die Ameisen inne, blieben auf dem Hügel stehen wo sie standen und wo eben noch zehntausende von Ameisen krabbelten, da wuchs aus den vielen tausend kleinen Ameisenkörpern ein wunderschöner Feuerdrache.
Der züngelte, wickelte sich um Sinjas Beine und schmiegte sich an sie wie ein Kätzchen.
„Da bist du ja endlich, Mi Lan, mein Feuerspucker!“, rief Sinja dem Drachen zu.
„Wassss du mit deinerrrr Geige allesssss machen kannssssst“, zischte der Drache bewundernd zwischen zwei feurigen Schnaufern.
Dann nahm er Sinja auf seinen Rücken, schwang seine riesigen Flügel und flog mit ihr davon und flog und flog über die weiten Ebenen eines fremden Landes.
Es waren `Allegros´ Bewegungen, die Sinja spürte, aber davon wusste sie in ihrem Traum nichts. Dort war sie auf ihrem Feuerdrachen unterwegs.
9 Angriff der Drachenreiter
„Sie kommen“, rief auf einmal Emelda
„Also doch!“
„Gamanziel, es wird ernst. Siehst du die Schatten da hinten am Himmel?“
„Ja, ich kann sie auch sehen. Sie haben tatsächlich nur gewartet, bis wir müde genug waren, um uns kurz vor den Wäldern anzugreifen.“
„Nun denn“, rief Amandra, dann gibt’s eben jetzt ein paar Ohrfeigen.
„Wie viele sind es?“, fragte Gamanziel
„Ich sehe zwei Naurons am Himmel, die schnell näherkommen, kann aber noch nicht erkennen, ob sie mit Reitern unterwegs sind. Dazu ist es zu dunkel. Ansonsten entdecke ich noch nichts!“
„Gut“, sagte Emelda, „dann ab jetzt alles wie besprochen. „Gamanziel, du kümmerst dich darum, dass ihr schnellstmöglich in die Wälder kommt und wir geben den Vögelchen hier mal ein bisschen Zunder. Schwingt die Hufe!“
Gamanziel ging zu Allegro und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Sie packte einige Dinge in einen kleinen Rucksack. Dann sprang sie hinter der schlafenden Sinja auf den Rücken des Pferdes. Kaum, dass Gamanziel richtig aufgesessen war, schoss der Hengst mit seiner wertvollen Fracht in gestrecktem Galopp davon. Emelda, Amandra und die zwei Ponys blieben zurück.
Aus der Ferne waren im Dämmerlicht die zwei Naurons auszumachen, die mit weiten Schlägen ihrer Flügel bedrohlich schnell näherkamen. Je näher sie heranflogen, desto deutlicher sichtbar wurden die zwei schwarzen Gestalten, die auf ihren Rücken saßen und die Drachen lenkten. Jeder der beiden war mit einem Bogen und einer Streitaxt bewaffnet.
Emelda und Amandra suchten Deckung hinter Grashügeln und ihren Ponys, soweit das in der flachen Ebene möglich war. Sobald die beiden Reiter die Elfen mit ihren Ponys am Boden entdeckt hatten, gingen sie in einer Kurve nach unten und in den Tiefflug über und glitten bald nur noch zwei bis drei Meter über dem Erdboden dahin.
Die beiden Elfen nahmen ihre Bögen vom Rücken. Sie legten die Pfeile ein und zielten auf die Hälse der Drachen. Noch waren sie zu weit weg, aber es würde jeden Moment soweit sein, dass sie ihre Geschosse auf die Reise würden schicken können.
Immer näher und näher kamen die dunklen Schlangenvögel. Schon waren sie nur noch wenige Meter von den Elfen entfernt. Die Reiter lenkten die Drachen sicher mit hartem Zug.
Bald würden sie allerdings die Zügel schleifen lassen müssen, um selbst zu ihren Bögen greifen zu können.
Da zischte auch schon der erste Pfeil durch die Luft. Emelda hatte ihn abgefeuert. Die Elfen wollten zunächst die zwei Naurons aus dem Gefecht nehmen. Ohne die Tiere wären die schwarzen Reiter weniger beweglich und damit leichter zu bekämpfen.
Читать дальше