Peter Maibach - Sandors Figurenspiel

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Sandors Grossvater war ein berühmter Holzschnitzer. Oft sass Sandor in der Werkstatt, dann erzählte der alte Mann Märchen. Eines handelte von einem aussergewöhnlichen Baum, aus dessen Stamm der grosse Holzkünstler Xelorin zwölf unterschiedliche Figuren geschnitzt habe. Wenn alle Figuren zusammen richtig aufgestellt seien, würden sie lebendig und ihr Anblick den Besitzer des Figurenspiels mit mit so viel Leben erfüllen, dass er sich nichts weiter mehr wünschen müsste. Aber irgendetwas sei wohl schief gelaufen. Schon bald sei das Spiel auseinander gerissen worden, wären die Teile in alle Winde zerstreut worden. Nur eine einzige, letzte Figur habe der Grossvater für sich ergattern können, bekam der Enkel zu hören. Und tatsächlich, auf einem Regal nahe dem Fenster, neben Farb- und Leimtöpfen stand eine kunstvoll bearbeitete Figur, die lächelnd in den Obstgarten hinaus blickte.
Nach Grossvaters Tod bleibt die Pflicht, den Nachlass aufzulösen. Dabei kommt dem erwachsenen Sandor, der schon lange nicht mehr an Märchen glaubt, diese letzte Holzfigur in die Finger. Er findet auch das Kindermärchen niedergeschrieben, Angaben, die es ihm erlauben, das Schicksal der Figuren zu verfolgen. Zudem lernt Sandor Ludmilla kennen, eine Kunstexpertin, die sein Interesse an den Figuren teilt. Das gemeinsame Abenteuer kann beginnen.

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Peter Maibach

Sandors Figurenspiel

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Inhaltsverzeichnis Titel Peter Maibach Sandors Figurenspiel Dieses eBook wurde - фото 1

Inhaltsverzeichnis

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Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Impressum

Kapitel 1

- 1 -

Es roch nach Holz, nach Lack und Farbe. Knirschend fuhr der Holzmeissel in den Birnbaumklotz, aus dem grob die Gestalt eines Engels gehauen war. Gleich schlüge es die volle Stunde von der Kirche her: vier Uhr. Grossvater würde sich aufrichten, den Engel freigeben, sich die Schürze glatt wischen, die Brille zurechtrücken. Dann würde er den riesigen Radioapparat einschalten und aus dem Thermoskrug heissen Tee einschenken. Es wäre, wie jeden Werktag, Zeit für den Nachmittagstee. Dazu gäbe es ein Stück Brot und vielleicht auch etwas Käse.

Erwartungsvoll sass ich auf dem viel zu hohen, wackeligen Stuhl, meine Beine reichten noch nicht einmal bis zum Fussboden. Die Fenster waren schon ewig lange nicht mehr geputzt worden. Das gleissend weisse Licht draussen schien den hinteren Bereich der Werkstatt in noch tiefere Schatten zu drücken. Die von Alter und Gebrauch gedunkelten Werkzeuge in ihren Halterungen schienen mit der Wand zu verschmelzen. Undeutlich waren einige seltsam zugeschnittene Holzklötze auszumachen.

Mein Platz war neben der Tür zum Maschinenraum. Sie war stets verschlossen, und der Schlüssel hing an Grossvaters mächtigem Schlüsselbund. «Ist viel zu gefährlich für kleine Jungen. Voller Maschinen. Die schneiden dir glatt alle Finger ab. Dann kannst du nicht mehr Blockflöte üben.» Grossvater lachte dröhnend, als ich verschreckt zusammenzuckte. «Wäre vielleicht gar nicht so schlecht», brummelte er. «Also brav draussen bleiben und fleissig üben!»

Ich betrat diesen Raum erst viele Jahre später zum ersten Mal, neugierig darauf, was vor mir so lange verborgen worden war. Grossvater war beerdigt, und es war meine Pflicht, seinen Nachlass in Villerach zu regeln.

Vier Uhr. Bis zum letzten Glockenschlag war Grossvater durch die Werkstatt geschlurft. Er setzte sich in seinen Lieblingssessel beim Radio, drehte an den Holzknöpfen und schaltete das Gerät ein. Das magische grüne Auge erwachte langsam aus dem Dunkeln, flackerte hell auf, wenn der Sender gut hereinkam. Wie das drohende Augenzwinkern eines Riesen aus der Sagenwelt zog mich die Anzeige in ihren Bann. Mit dem Ausschwingen des letzten tiefen Glockentons klang aus dem Lautsprecher Tanzmusik, leicht und unbeschwert. Grossvater lächelte: «Frank Sinatra, der singt gut. Dann wollen wir mal hören, was es heute gibt.» Ich mochte Grossvaters tiefe, ehrliche Stimme. Ich hätte ihm ewig zuhören mögen.

«Erzähl mir eine Geschichte!», bettelte ich. «Bitte, Grossvater!»

«Mal schauen, mal überlegen, eine Geschichte, soso.» Umständlich hantierte Grossvater mit der Thermoskanne, den Tassen, goss ein, Milch, Zucker, umrühren. Ich rutschte unruhig hin und her, bis mein wurmstichiger Stuhl bedrohlich knackte. Ungerührt schnitt Grossvater das Brot und begann dann, mit einem gefährlich schnellen Messer vom Käse hauchdünne Scheibchen abzuziehen. «Eine Geschichte, also eine Geschichte, keine leichte Sache, so eine Geschichte.» Er stellte das Radio leiser. Erwartungsvoll lehnte ich mich über den Tisch, der Dampf aus der Teetasse schlug mir ins Gesicht.

«Also, Sandor, pass gut auf, das ist eine wichtige Geschichte, da kannst du etwas lernen!» So begannen alle seine Geschichten. Grossvaters Märchen handelten meist von erstaunlichen Dingen und waren mit den seltsamsten Kreaturen bevölkert. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was daraus für meinen Alltag in der Dorfschule zu lernen wäre. Trotzdem brannte ich darauf, Geschichten zu hören. Grossvater wusste das natürlich und benutzte jede Gelegenheit, um mich noch mehr zappeln zu lassen. Jetzt putzte er sich erst einmal umständlich die Nase, fingerte weiter an den Knöpfen des Radios herum, um es schliesslich ganz auszuschalten. Dann nahm er versonnen einen grossen roten Zimmermannsbleistift auf und klopfte damit dreimal auf den Tisch.

«Meldonien, das schöne Meldonien. Ich war nur einmal dort in meinem Leben. Nie mehr werde ich das prächtige Land vergessen können. Du weisst, in Meldonien herrscht ein mildes Klima und besonders die Bäume wachsen ausserordentlich gut und gerade. Am besten gedeihen die Birlinden. Die Stämme sind fest und das Holz ist ebenmässig. Es ist hart, aber dennoch leicht zu bearbeiten. Allerdings nur für den, der die uralten Techniken beherrscht. Im Laufe langer Jahre zog es immer mehr Holzschnitzer nach Meldonien. Sie schnitten unerreichte Kunstwerke aus dem feinen Holz der Birlinden. Sie verbesserten ihre Arbeitsmethoden ständig und gaben ihr Wissen an die nächsten Generationen weiter. Heute noch ist Meldonien berühmt für seine Holzschnitzkunst.

Einer ihrer grössten Meister war Xelorin, der alte, der weise Xelorin, wie man ihn rief. Er besass Erfahrung und Wissen, worum ihn viele beneideten. Xelorin fand die besten Hölzer, lagerte sie perfekt und schnitt Figuren aus dem Holz, die wie lebend wirkten. Selbst der König und die Königin liebten Xelorin und verneigten sich vor seiner Kunst. Xelorin freute die Anerkennung. Er ging den Neidern aus dem Weg, lebte für seine Kunst und hätte ein sorgloses Leben führen können. Allerdings gab es da eine aussergewöhnliche Birlinde, die ihm den Schlaf raubte. Vor Jahren hatte Xelorin sie entdeckt und nach Hause gebracht. Seit sie im Holzlager lag, fand er keine Ruhe mehr. Der Baumstamm wartete stumm und geduldig auf ihn, schwer und geheimnisvoll. Es war zuhinterst im Karrtal gewesen, in einem abgelegenen Urwald, den Xelorin vorher noch nie hatte betreten dürfen. Nur den mächtigsten Zauberern war der Zutritt zu diesem geheimnisvollen Wald gestattet. Und Xelorin war einer der mächtigsten Zauberer, aber dennoch hatte er sich bisher noch nicht zugetraut, diese Wildnis zu betreten. Man hörte von vielen, die sich hinein gewagt hatten, aber nur von wenigen, die wieder herausfanden.

Langsam nur gelang es ihm, sich durch das dichte Gestrüpp zu kämpfen. Eine unheimliche, grüne Dunkelheit herrschte unter den hohen Bäumen. Xelorins Schritte schienen wie ferngesteuert einer Richtung zu folgen. Da war etwas, etwas, das lockte, das ihn zu sich rief. Es war totenstill. Kein Vogel pfiff, kein Windrauschen in den Baumkronen. Xelorin gelangte auf eine Lichtung, auf der hartes, hohes Gras wuchs. Er blieb am Rande stehen, schaute sich ruhig um. Er fragte sich, ob er den Ausgang aus diesem verhexten Wald je wieder finden würde. Sein Blick fiel auf eine kurzstämmige, dicke Birlinde. Xelorin schien es, als ob sie ihn zu sich rief.

Staunend stellte er fest, dass der Baum alleine mitten in der Lichtung stand. Du weisst ja, Sandor, Birlinden lieben Gesellschaft und stehen meistens in Gruppen beisammen. Ihre Äste verflechten sich zu einem dichten Dach. Nur mit Mühe kann man sie fällen und den wertvollen Stamm aus dem Gewirr ziehen. Diese Birlinde aber war anders. Xelorin betrachtete sie aufmerksam, berührte den Baum. Die Rinde fühlte sich spröde an und war fiebrig heiss. Das Holz schien zu vibrieren. Neugierig schritt Xelorin um die Birlinde. Sie schien ihm passend gewachsen und trug nur wenige Äste, und die nur oben in der Baumkrone. Vielleicht ahnte Xelorin bereits, dass dieses Holz Zauberkräfte in sich barg. Er war sich sicher, dass er nie mehr in seinem Leben ein solches Material fände.

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