Zum Beispiel hat er gern Aktfotos gemacht. Ich erinnere mich an einen Ostseeurlaub auf dem Darß, da lag ich quasi in der Brandung, der Seewind blies kräftig, aber es war dennoch wunderschön, und Wolfgang fotografierte. Solche Fotos brauchte er für seine visuellen Vorstellungen, aber das alles bezog sich nie auf mich als Person.
Oft hat er meine Mängel hervorgehoben, jedoch nie gesagt, was ihm an mir gefällt. So war ihm mein Busen zu klein und hing zu sehr. Es war die Zeit von Brigitte Bardot und den hohen Brüsten im spitzen Büstenhalter. Ich konnte wunderbar stillen, und das reichte mir. Für Wolfgang war es jedoch nicht genug. Jedenfalls ist das meine Erinnerung an unsere Ehe.
Meine Mutter fragte mich einmal in einem Brief, ob ich denn nicht einen Wunsch so ganz für mich allein hätte, den sie mir gern erfüllen würde. Da bat Wolfgang, ich solle mir aus dem Westen so richtig tolle Reizwäsche wünschen, einen tollen BH, der alles hochhebt. Das habe ich ihr geschrieben, doch sie erklärte kategorisch, für so einen Quatsch sei ihr das Geld zu schade. „Wem soll denn das nützen?“ fragte sie. Warum wolle sich Wolfgang noch mehr erregen, unsere Kleinfamilie passe gerade so in die kleine, wenig komfortable Wohnung! So deutlich hatte sie es nicht geschrieben, mehr in der Art, dass das kein richtiges Geschenk für mich sei. Und er habe eine schöne Frau, und das sei genug.
Auch an meinem Gewicht und der Figur hat er herumgemeckert. Ich wollte es ihm immer recht machen und bin lange Zeit jedem Streit ausgewichen. Ich habe ihn sogar vor anderen auf ein Podest gehoben. Das hat ihn nur in seiner Rolle bestätigt, in der Rolle als Despot und Egoist.
Doch selbst in der Zeit, als er mein Kollege an der Schule wurde, war ich noch total auf ihn orientiert, für mich kam nur dieser Mann in Frage, auch wenn er unser Familiendiktator war, der sich immer an offiziellen Anforderungen orientierte. So erinnere ich mich, dass die Familie unter seiner Ansicht von gesunder Ernährung litt und wir zum Beispiel feuchtschweres Schwarzbrot essen mussten, anstatt frischer Brötchen.
Besondere Schwierigkeiten gab es, wenn meine Mutter aus dem Westen zu Besuch kam. Ein paar Mal ist sie richtig ausgeflippt und aus der Wohnung gerannt, um tief durchzuatmen und wieder ruhiger zu werden. Sie fragte mich dann, wie ich das denn nur aushielte mit diesem Mann, aber ich protestierte, er liebe mich doch und ich ihn. Ich hätte mich für ihn entschieden, und nun sei es eben richtig so. Das stehen wir durch.
Oft haben wir stundenlange Gespräche bis tief in die Nacht geführt. Sie drehten sich immer um politische Vorgaben für die sozialistische Familie, die wir sein oder werden sollten. Zum Beispiel forderte Wolfgang von mir, dass ich meiner Mutter schreibe, wir wollten absolut keine Westpakete mehr von ihr. Da habe ich mich jedoch glatt geweigert, weil er als Lehrer so wenig verdiente, dass es gut tat, Kaffee und Schokolade, Waschpulver und Seife, aber eben auch mal eine Strickjacke für mich oder Pullis und Hosen für den Sohn zu bekommen. Man sah den Sachen freilich die westliche Herkunft Meilen gegen den Wind an, so dass sich Wolfgangs Genossen beschwerten, ich liefe immer westlich gekleidet herum. Er solle gefälligst auf mich einwirken. Aber ich war in dieser Angelegenheit auf beiden Ohren taub, weil wir die Unterstützung viel zu gut gebrauchen konnten. Und natürlich weil mir die Sachen gefielen.
Ja, aber, das geht doch nicht, denk mal an uns – so lautete seine Argumentation, doch ich erwiderte, gerade daran dächte ich.
Er fing immer wieder damit an. Immer wieder ein Grund zu Auseinandersetzungen!
Und Wolfgang wurde immer knarziger, böser und heftiger und fand dann kein Ende. Streit hat bei uns nie mit Sex geendet, wie vermutlich bei vielen anderen Paaren, sondern eher damit, dass ich mich auf die andere Seite drehte und still vor mich hin weinte. Ich sage heute – und das Gedächtnis verlässt einen ja immer weniger, je weiter die Dinge zurückliegen -, es ist nie passiert, dass er kam und kuscheln und mich trösten wollte in solchen Situationen. Ich habe geweint, und er hat womöglich gedacht: selber schuld!
Stets habe ich mich wieder genähert und versucht, nett und locker zu sein. Ja, er hat es hingenommen, er hat abgesahnt!
Wir waren beim Verkehr auch immer ganz leise, damit unser Vergnügen nicht auffiel. Natürlich muss man dazu sagen, dass die Wohnung klein war und das Kind ganz nah. Rücksicht war also angebracht.
An dieser Stelle sollte ich wohl den einzigen großen Seitensprung gestehen.
Das ist insofern eine ganz vertrackte Geschichte, als Wolfgang mich mehrfach in Gesprächen über Sex aufgefordert hat, wenn ich mal eine Chance hätte, mit einem anderen Mann zu schlafen, dann solle ich das unbedingt tun. Ich musste ihm ganz fest versprechen, dass ich mich verführen ließe, ihm aber als Lohn für seine Großzügigkeit alles detailgetrau erzählen würde. Das sollte ich schwören. Was mir dabei gefallen hätte, sollte ich genau sagen. Versprich mir das, verlangte er. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, wie das gehen sollte.
Naja, der liebe Gott fand einen Weg.
Wolfgang hatte aus der Schulzeit einen sehr guten Freund, der in allem und jedem ganz ganz anders als er war, was der Freundschaft keinen Abbruch getan hatte. Dieser Fritz war offen und unverkrampft, nicht so zielgerichtet und auf Karriere bedacht wie mein Mann. Er hatte Schlosser gelernt, arbeitete aber als Fahrer für den Chef eines Großbetriebs. Ich kannte ihn seit Jahren und hatte manchmal gewünscht, Wolfgang könnte etwas von Fritz‘ Lockerheit lernen.
Ja, und es geschah nun also, dass mein Mann mit dem Sohn einige Tage weggefahren war. Wohin, erinnere ich nicht mehr. Fritz hatte dienstlich in der Nähe zu tun und kam am Wochenende überraschend zu Besuch, er stand einfach vor der Tür: Hier bin ich. Das war ganz normal, denn man besaß ja in der DDR als Normalbürger kein Telefon. Obwohl mich Wolfgang zu diesem Zeitpunkt schon zum Fremdgehen aufgefordert hatte, planten wir beide keineswegs, miteinander zu schlafen. Wir haben ein bisschen was unternommen, aber wie ein altes Ehepaar zu Hause gegessen, denn man fand auch nicht einfach so freie Plätze in einem netten Restaurant. Wir hatten eine angenehme Zeit miteinander, haben viel gelacht, und als Fritz fragte, ob er auf dem Sofa schlafen solle, meinte ich, das sei nicht nötig. So kam er ins Ehebett – ohne arge Absicht, dessen bin ich mir sicher.
Es lag dann an mir, dass ich ihm Gute Nacht wünschte, aber auch meinte, er habe mich noch nie richtig geküsst. Und so kam dann eins zum anderen. Es war zwar wunderbar, aber vor Schreck und Angst habe ich beim ersten Mal keinen Orgasmus bekommen. Im Gegensatz zu Wolfgang wiederholte er immer wieder, wie schön das gewesen sei. Am nächsten Tag wollte ich mit ihm noch einen Mittagsschlaf machen. Und wir lagen auf dem Sofa, gekuschelt als Löffelchen, und ich merkte plötzlich an seinem Herzschlag, dass er erregt war. Das hatte ich noch nie so gespürt und bekam plötzlich selbst einen Orgasmus wider Willen. Auch das war ein wunderbares Erlebnis. Bevor der Freund wegfuhr, gab es noch ein drittes Mal. Es war großartig, aber wir haben nicht darüber gesprochen. Wir haben es hingenommen als einen Sonnenstrahl im Leben, der sich manchmal ergibt.
Die Geschichte hat leider ein anderes Ende gefunden, als ich hätte annehmen dürfen: wir haben es, ohne dass wir das abgesprochen hatten, beide Wolfgang erzählt. Nun wollte er Genaueres nicht mehr wissen, nun reichte ihm der Schmerz, dass ich mich mit seinem besten Freund, den ich immer schon möchte, eingelassen hatte. Hatte mich mein Mann nicht aufgefordert zum Seitensprung?
Irgendwann – ich weiß den Zeitpunkt nicht mehr genau – fiel das utopische Bild von meiner Ehe, an dem ich lange festgehalten und es anderen gegenüber stets verteidigt hatte, in sich zusammen. Als wäre ein Fenster geputzt worden, sah ich plötzlich die Realität: Da war einer, der irrte durch seine wechselnden Vorstellungen vom Leben und bestimmte darüber, was Frau und Sohn zu tun hatten.
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