Den ersten Sex haben wir beide uns übrigens ganz großartig organisiert, so dass er weit ab von jedem Lustempfinden von statten ging. Wir haben eine Art heiligen Akt vollzogen, indem wir beide am Abend bei Sonnenuntergang in die kalte Ostsee gestiegen sind und uns hinterher nass und nackt in den kalten Sand gelegt haben – wahrhaftig genial und zum Totlachen! Unerfahren eben, dafür mit Sand paniert!
Übrigens war ich es, die Wolfgang bei einem abendlichen Spaziergang das erste Mal geküsst hat. Ich bin auf der Parkbank näher und näher an ihn herangerückt, und dann gab es einen Kinderkuss. Aber er war schön genug und hat mächtig gekrabbelt, eine angenehme Erfahrung. Mein Zukünftiger überließ mir, was den Sex in unserer Beziehung anging, immer die Initiative, er ließ nur geschehen. So war es beim ersten Kuss gewesen, und so war es auch später.
Damals endeten im Kino die Liebesszenen, bevor etwas geschah. Aber dennoch verhalfen uns Stars, wie etwa Gérard Philip, wenn sie einen von der Leinwand herunter ansahen, zu Schmetterlingen im Bauch. Bei mir lösten diese richtigen Männer Gefühle aus. Später erkannte ich den Grund: Männe hatte als Vater in meinem Leben keine Rolle gespielt. Den erwachsenen Mann gab es in meiner Jugend nicht. Während der Zeit im Lehrerinstitut hatte ich allerdings den Eindruck, dass mir manche Lehrer nahe kommen wollten. Zum Beispiel beim Tanzen. Das habe ich irgendwie erstaunt hingenommen, und mir auch da manches erst später erklärt.
In den Jahren im Internat, also in der Pubertät, schien meine Lust in bestimmten Abständen anzuwachsen, und die Gefühle wurden immer intensiver. Mit anderen habe ich nie über so etwas gesprochen. Doch ich bin manchmal abends auf die Toilette geschlichen und habe mich breitbeinig hingesetzt. Ich war schon auf dem Weg dorthin erregt, so dass mir Gedanken genügten, um die Gefühle auszulösen und aus dem Institutsalltag mit seinem Druck und seiner Kontrolle zu entfliehen. Oder ich nahm die Finger zu Hilfe. Jedenfalls habe ich es mir schön gemacht, weil ich Lust darauf hatte. Ich habe mich nie gefragt, ob ich süchtig danach bin. Das schöne Gefühl gehörte mir ganz allein.
Im Mittelpunkt meines Denkens und Fühlens stand jedoch Wolfgang. Wir waren längere Zeit räumlich getrennt, er bei der Armee und ich beim Studium. Urlaub bekam er, wenn überhaupt, alle sechs bis acht Wochen. Da reichte die gemeinsame Zeit meistens nur für einen Spaziergang oder einen Abend bei uns zu Hause. Damals habe ich weder seinen Penis gestreichelt, noch hatten wir Verkehr, sondern wir haben nur gekuschelt, wobei ich, wenn auch ohne Orgasmus viel Vergnügen hatte, aber nicht weiß, wie es bei ihm war. Er hat sich wahrscheinlich schwer getan, mit dem Onanieren sowieso, denke ich. Aber ich kann mich erinnern, wie ich ihn einmal in meines Großvaters Garten entführt habe, indem ich in der Wohnung der Großeltern den Gartenschlüssel geklaut habe für die Laube, in die ich ihn dann hineingezerrt habe, und auf der schmalen Liege hat er mich gestreichelt.
Aber das ging immer von mir aus, nie von ihm. Unsere Geschlechtsorgane haben wir erstaunlich lange Zeit völlig außer Acht gelassen, was meine Mutter offensichtlich für unmöglich hielt. Ich bekam jedes Mal Krach, wenn ich später als vereinbart am Abend nach Hause kam. Wie gesagt, hockten Wolfgang und ich auf Parkbänken und sprachen über Gott und die Welt, das heißt über den Sozialismus und die Welt, wie Wolfgang sie sah. Wir blickten in die Sterne und beredeten die große Politik oder was auch immer, indem Wolfgang sprach und ich nickte.
Was den Sex angeht, so hat er ihn vermutlich als notwendiges Befruchtungszeremoniell gesehen, wenn man eine Familie haben möchte. Seine Wurzeln sind ja katholisch, aber auch als guter Sozialist, der er sein wollte, sah er Sex als notwendig, als zum Leben gehörig an, aber mehr war da für ihn wohl nicht. Anfangs in der Sportschule sah er sich zudem als Kader für den Leistungssport und wollte seinen Körper – wie von den Trainern strengstens empfohlen . nicht schwächen.
Er hat nie versucht, mich zu verführen, mich so gut wie nie vorbereitend gestreichelt. Er spielte immer den schweigsamen Helden. Dieses Schweigen habe ich anfangs als In-sich-ruhend beziehungsweise Mit-sich-im-Reinen-Sein interpretiert. Dabei ging es, wie ich später herausfand, von einer großen Unsicherheit aus. In seiner Fantasie lief er oft in merkwürdige Richtungen und ließ keinen daran teilnehmen.
Die Familie, vor allem meine Mutter, malte sich unterdessen aus, was wir Schlimmes taten. Der Großvater beharrte darauf, dass ich als Lehrerin arbeiten und alles andere bleiben lassen müsste, vor allem Männer und Kinder. Ich habe diese Vorhaltungen nicht an mich herankommen lassen, weil ich auf die schönen Gefühle nie im Leben hätte verzichten wollen. Zudem war ich der Meinung, dass ich selbst bestimmen kann, wie weit ich gehen will. Da wird keiner irgendetwas mit mir anstellen, das lasse ich nicht zu. Die Sorgen und Ängste der Mutter und des Großvaters gingen letztlich zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder heraus, vor allem weil sie viel zu oft wiederholt wurden.
Während des Studiums habe ich mir mein zukünftiges Leben völlig normal vorgestellt, Heirat mit Wolfgang, Kinder, ein oder zwei sollten sein, also alles ganz normal. Abwarten, und sehen, was kommt und wie es geht.
Als ich das erste Mal mit dem Zukünftigen zusammen war, damals im kalten Ostseesand, und er anscheinend nur enttäuscht und voller Sand war, innen und außen, da hatte es mir trotz aller Schwierigkeiten doch irgendwie Spaß gemacht. Zwar dachte ich: „Ach du liebes bisschen!“, aber wir lagen noch eine Weile beieinander, und ich fragte ihn, ob wir das alles nicht gleich noch einmal probieren wollten. Auch in den folgenden zehn oder vierzehn Tagen habe immer ich als treibende Kraft gesagt: „Ach, lass uns doch noch mal zusammen ins Bett gehen!“ Das hat ihn jedoch, glaube ich, eher befremdet als erfreut. Mit dieser Anforderung hatte er nicht gerechnet und hat sich nicht besonders toll dabei gefühlt. Offenbar konnte er die Zärtlichkeiten nicht richtig genießen. Ich bin sicher, dass ich dabei nie einen Orgasmus bekam. Das habe ich irgendwie auch gar nicht erwartet. Ich wünschte mir Körperkontakt und Sex. Vielleicht hat er sich gedacht, dass ich eine geile Ziege bin, doch er hat mir den Wunsch erfüllt.
Ich wollte gern wissen, ob der Verkehr nicht noch größeres Vergnügen machen könnte – und es wurde im Laufe der Zeit genussvoller für mich, zwar hatte ich keinen Orgasmus, aber es war zumindest sehr wohltuend. Wolfgang schien allerdings nicht gelöster zu werden. Vermutlich hat ihn das Kondom gestört. Aber ich erinnere mich nicht einmal genau, ob er es regelmäßig benutzt hat.
Nach dem Studium besuchte er mich, wenn die Armee auf ihn verzichten konnte, in der Kleinstadt, in der ich als Lehrerin zu arbeiten angefangen und ein möbliertes Zimmer bekommen hatte. Wir versuchten bei diesen seltenen Gelegenheiten, mit der Verhütung nach Gnaus-Ogino über die Runden zu kommen, wobei die Frau morgens beim Aufstehen ihre Temperatur misst, um die fruchtbaren Tage herauszufinden. Ich musste jedoch feststellen, dass bei mir sowohl die Periode unregelmäßig kam, als auch die Körpertemperatur machte, was sie wollte. Und die Pille gab es noch nicht!
Über Verhütung hatten wir die ganze Zeit sehr wenig gesprochen. Das war sowieso die Krux unserer Beziehung, dass wir mit langen Briefen und wunderbaren Liebeserklärungen kommunizierten und auch lange Gespräche führten, die sich jedoch selten um uns selbst drehten.
Als ich schließlich, nachdem ich ein halbes Jahr gearbeitet hatte, meiner Mutter in den Westen schrieb, ich sei schwanger, antwortete sie, bei einer so großen Liebe sei das kein Wunder. Das war eine tolle Antwort, der allerdings ein Familiendrama vorausgegangen war, denn meine Mutter wollte mit Torsten die DDR verlassen. Die Mauer war noch nicht gebaut, und die Flucht zwar ein organisatorischen, aber kein lebensgefährliches Problem. Das Problem war jedoch, dass ich mich weigerte mitzukommen, und als knapp 18-jährige bei Wolfgang in der DDR bleiben wollte. Was ich auch tat!
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