„
Wie ist euer Name, Armiger?“
Friedrich erstarrte. Wollte der Fremde ihn beim Hofkanzler, Konrad von Scharfenberg, melden?!
„
Friedrich, Friedrich von Altena.“
„
Dann setzt Euch einen Moment lang zu mir.“
Der Fremdling bot Friedrich mit einer einfachen Geste, einen Platz auf einer steinernen Bank im Mauerwerk des Wehrs an. Friedrich setzte sich zögerlich und scheu. Doch der Anblick der im roten Abendlicht versinkenden Campagna, rief in ihm ein Gefühl der Zustimmung und des Vertrauens mit allem, was geschehen konnte, hervor.
„
Ich bin Raimund von Toulouse“, sagte der fremde Ritter. Friedrich fiel ein Stein vom Herzen.
„
Überwindet Euere Angst vor dem, was Ihr glaubt, was größer ist als Ihr, Friedrich von Altena. Aber ich bin zuversichtlich, denn Ihr habt einen offenen Geist. Allerdings weiß der noch nicht so recht, wonach er suchen soll.“
„
Worin, Herr, kann denn die Antwort liegen?“
„
Im Languedoc sprechen wir ein Gebet. Es lautet so: Komm, komm …wer immer du bist, Wanderer, Sucher nach der ewigen Heimat, du, der du zauderst und die Flucht liebst, es spielt keine Rolle! Dies ist keine Karawane der Verzweiflung. Komm, auch wenn du deinen Schwur tausendfach gebrochen hast. Komm, komm, noch einmal, komm!“
Rainald schwieg als er geendet hatte, schaute in die staubige Dämmerung und atmete tief durch.
Friedrich fühlte sich hilflos. „…und… und, was sagen mir die Worte, Herr?“
„
Es ist ein Gebet der immer wieder erneuerbaren Vergebung, statt der Verurteilung und Freisprechung. Es ist ein Gebet der Annahme und Vergebung gegenüber jedem und sich selbst. Es ist die Überwindung des Dualen. Es ist der Weg zum All-Einen.“
„
Heißt es bei Euch nicht, dass Ihr den Körper überwinden müsst, damit Ihr frei werdet?“
„
Ihr sprecht den größten Vorwurf, der uns gemacht wird, an. Es heißt, wir würden diese Welt verdammen. Dabei sterben wir alle und unsere Körper werden zu Staub. Wir bereiten uns auf das körperliche Sterben in dieser grausamen Welt vor und predigen, dass der Geist frei wird und weiter lebt, bis er in einem neuen Körper wiedergeboren wird und sich durch alle Körper arbeitet, bis auch die letzte Wiedergeburt vollendet ist. An deren Ende gibt es für den Geist nichts mehr zu tun. Dann ist er vollkommen frei. Daher braucht kein lebendes Wesen, Angst vor dem Tod zu haben, denn sein Geist ist göttlich und ewiglich. Doch die Kirche treibt das Spiel mit der Angst. Sie selbst hat Angst, dass unsere Lehre die Wahrheit ist. Deshalb verfolgt sie uns.“
„
Ah“, staunte Friedrich.
„
Kann ich Euch sonst noch etwas sagen?“
„
Nein,…, nein, Herr. Habt dank.“
Rainald stand auf und verbeugte sich.
„
Dann, habt Dank und lebt wohl, Friedrich.“
Wie von einem mächtigen Schlag am Kopfe getroffen, blieb er noch eine Weile auf der Bank sitzen. Er fühlte sich elend. Er starrte auf das Pflaster des Weges, das Raimund hinauf zur Burg gegangen war. Wie soll das gehen?! Mein Geist sucht sich einen anderen Körper?!
Zu seiner quälenden Frage gesellte sich ein anderes unbehagliches Gefühl. Doch deren Auslöser war nicht in ihm selbst. Er kam von anderswo – von außen. Es kroch wie ein übler Dunst in ihn hinein. Er fühlte sich beobachtet. Er schaute sich um. Dann wurde er dessen gewahr, was sein Unbehagen beflügelt hatte. Der Blick eines Mönches, den er von den Messen im Feldlager kannte, klebte auf ihm. Abscheu umfing ihn, die er schon zu seiner Kirchenzeit gegen jene Lehrer und Brüder empfunden hatte, welche sich in Novizen verliebten. Zu oft hatte er mit Widerwillen die begierigen, aufreizenden Blicke der Älteren, die ihm im Wissen über die Kirchenorganisation überlegen waren und von denen er abhing und die ihre Macht zu missbrauchen gewillt waren, wie Kletten auf sich ruhen gespürt. Als sich ihre Blicke kreuzten, kam der kecke Mönch auf ihn zu und sprach ihn in höfischer Manier an.
„
Sie haben eine bemerkenswerte Aura – diese Menschen aus dem Languedoc, nicht wahr?!“
„
In der Tat, das haben sie“, sprach Friedrich zögerlich und mit Zurückhaltung in der Stimme.
„
Verzeiht, wenn ich Euch das frage, aber mir fiel auf, dass Ihr den Fremden beobachtet.“
„
Oh, habe ich das?!“, erwiderte Friedrich eine unschuldige Miene auflegend.
„
Ihr habt ja sogar mit ihm gesprochen. Worin liegt Euer Interesse, wenn Ihr erlaubt?“
Friedrich wusste die Fragen des Mönches nicht einzuordnen. Er wusste jedoch, dass die Kirche genaue Untersuchungen anstellte, wenn sie Abweichler vermutete. Er war auf der Hut und entgegnete verstört und ausweichend, „was meint Ihr, was sollte mein Interesse wecken?!“
„
Naja, Ihr habt den Grafen unentwegt angeschaut. Dann habt Ihr mit ihm gesprochen. Ich vermutete einen Grund dahinter.“
Friedrich wollte die Strategie wechseln und den dreisten Mönch in die Schranken weisen. Schließlich waren seine Gedanken frei.
„
Aber verzeiht“, sprach der Mönch, als ahnte er, was ihn erwartete, „wenn meine Neugierde zu weit ging“, und wollte sich mit einer Verbeugung zum Gehen wenden.
„
Nein,… nein, wartet“, entwich es Friedrich in einem Flüsterton und er streckte die Hand, die er sogleich zurückzog, nach dem Manne aus. Sein Misstrauen war seinem Drang mehr über das Mysterium zu erfahren unterlegen.
Trotz also seines Widerstrebens gegen den Mönch sprach er, „es ist wahr, mich beeindruckt diese Ruhe, diese Anmut. Ich fragte mich, wie man zu dieser unabhängigen Haltung gelangt. Diese Menschen sind anders, als alle Menschen, denen ich bisher begegnete. Es fiel mir sofort auf, als sie vor Tagen durch unser Lager ritten. Als wenn sie aus einem Jenseitsland, hinter unserer Welt, her gekommen seien.“
„
Ja, es ist beeindruckend. Es ist mir auch aufgefallen“, sagte der Mönch. „Vielleicht kann ich Eueren Wissensdrang stillen helfen, Euer Hochwohlgeboren.“
„
Wie wollt ihr das machen?“, fragte Friedrich verdutzt. Dieser Mönch schien kein Misstrauen zu hegen.
„
Der Graf von Toulouse schenkte dem Kaiser eine Schrift in Versen. Das Werk ist von Chretien, einem Toubador aus dem Languedoc. Ich habe es studiert. Es heißt: ‚Der Herrscher des Grals’. Es ist ein Rittersage, die aber ebenso anders ist, wie die Reiter, von denen die Rede ist. Wir haben es übersetzt und Abschriften davon anfertigen lassen.“
„
Bruder, das hört sich verlockend an. Aber warum erzählt ihr mir davon?“
„
Nun die Schrift scheint verdächtig und es scheinen mir viele Anspielungen und Bilder darin zu sein, die der Kirche suspekt erscheinen sollten.“
„
Suspekt?!“
„
Nun, lest es und macht Euch ein Bild. Vielleicht beantwortet das Buch Eure Fragen.“
„
Und… und wie soll ich es lesen, wenn ich das Buch nicht habe?!“
„
Ihr könnt eines von mir bekommen.“
Friedrich schaute an dem Mönch auf und ab, als suche er nach einer Ausbeulung in der Robe, die das Buch barg.
„
Wann?!“
„
Nun, sie sind noch nicht fertig. Aber, wenn Ihr Euch noch ein paar Tage gedulden könnt, werde ich Euch eines liefern.“
Friedrich war erstaunt über den leutseligen Mönch, aber es geschah, wie er es gesagt hatte. Ein paar Tage später erschien der Mönch im Lager und suchte Friedrich auf.
Mit einem dicken in Schweinsleder gebundenen Band stand er plötzlich da, als Conrad, Gerhard und Friedrich gerade dabei waren, das Zaumzeug ihrer Pferdegeschirre auszubessern.
Conrad und Gerhard schauten verdutzt auf die Gestalt, deren Proportionen sich mit dem mitgeführten Gut bestens ergänzten.
„
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