„
Sie haben nicht Weib noch Kind verschont“, sagte er mit tränenerstickter Stimme.
„
Der Herr der Stadt, Raimond-Roger de Trencaval, mein Lehensmann“, sagte er als er sich wieder gefasst hatte, „und die Juden waren nach Carcassone geflohen. Das Heer folgte ihnen und erreichte an Petri die Stadt. Am fünfzehnten Auguste dann eroberten sie Carcassone. Die Kreuzritter nahmen Trencavel gefangen und haben ihn im Verlies von Carcassone zugrunde gerichtet. Er war der einzige von uns, der sich nicht gebeugt hat. Er war der einzig Aufrichtige.“ Der Kaiser las tiefe Trauer in den matten Augen seines Neffen.
„
Hhm, .... Raimund, sag, bist du einer von ihnen?“
„
Ach, Otto“, Raimund blickte ihn aus tiefen Augen an, „weißt du, wir sind hier weit weg vom Languedoc. Wenn ich ja sagen würde, würdest Du mich nicht verstehen. Alle Adligen in der Region beschützen ihr Land und ihre Untertanen. Du erinnerst Dich an Aquitanien. Die Lebensart am Hofe, die Freundlichkeit. Die Musik, die Liebe. All das gehört zu unserem Leben. Die Kirche dagegen ist starr und karg. Selbst die Priester der Kirche laufen zu den Katharern über. Ich würde sagen, der Adel im Languedoc sympathisiert mit ihnen.
„
Und nun. Nun bist du wieder gebannt.“
„
Ja. Wir konnten es nicht ertragen, wie die Kreuzritter Tausende und Abertausende dahinmetzelten. Als der Heerbann abgelaufen war, zogen die Heerführer und alles Kriegsvolk ab. Arnaud-Amaurys musste handeln. Er verpflichtete Simon de Montfort, einen unbedeutenden Adligen der Ile de France, zum Hauptmann. Ein grausamer Geselle. Doch ich konnte die unbesiegten Städte und Fürsten hinter mich bringen und im Winter eroberten wir viele Burgen zurück.“
„
Und da stehen wir jetzt?!“
„
Na ja, es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Montfort und der Abt von Citaux werben im ganzen Land neue Truppen an. Die Zeit ist weit fortgeschritten und ich muss zurück ins Midi, denn ein weiterer Sturm wird in Kürze über unser Land hereinbrechen.“ Er machte eine Pause. Dann fasste er den Kaiser mit einem entschlossenen Blick ins Auge, „Otto, der Grund meines Hierseins dürfte dir klar sein. Seit der Papst den Kreuzzug ausgerufen hat, stehen wir mit dem Rücken an der Wand. Die Kirche und die Franzosen schlachten unser Volk dahin und gewinnen die Macht im Midi. Wir erflehen Deine Hilfe.“
Otto schüttelte entschieden den Kopf, „Raimund, ich kann dir keine Truppen schicken. Lediglich kann ich dich und dein Volk unter meinen Schutz nehmen, wenn ihr euch zumindest wie ein Minoritenorden gebt. In der jetzigen Situation kann ich mich nicht noch durch die Kumpanei mit Ketzern belasten.”
„
Selbstverleumdung?! Das kommt für die Katharer nicht in Frage.“
Otto legte die Stirn in Falten, „Raimund, bei aller Liebe, ich kann dir nicht helfen, so interessant ich die Lehre finde. Bedaure. Behalte das bitte für dich. Mein Feldzug hat erst angefangen und ich werde selbst genug Probleme mit dem Pontifex haben. Wir ziehen bald in das Patrimonium Petri ein. Dann werden wir die Kräfte des Papstes hier binden. Das kann ich dir anbieten.”
„
Otto, mit Verlaub, das hilft uns jetzt wenig. Die Franzosen werden uns überrollen und auslöschen. Sie morden wie die Bestien. Sie lassen keinen am Leben.“
„
Raimund, deine Leute können in meine Lande kommen und sie werden dort sicher sein. Mit Kriegserklärungen an den Papst oder Philip Auguste und Truppen kann ich derzeit nicht dienen. Meine Position ist noch nicht in der Weise gefestigt, dass ich gegen die Franzosen ziehen kann. Was würdest du an meiner Stelle tun?“
„
Du könntest wenigsten die Ordensritter zu unserem Schutz bestellen.“
„
Die Ordensritter? Unwahrscheinlich! Eher Söldner. Aber ich werde mit Salza darüber sprechen. Er ist vor zehn Tagen angekommen. Vielleicht weiß er einen Weg. Es tut mir leid, dass ich dir kein besseres Angebot machen kann. Ich wünsche Euch Glück, Raimund.“
In den nächsten Tagen war die Burg, obwohl voll besetzt, wie ausgestorben. Kaum etwas regte sich auf den Zinnen, selbst die Luft schien still zu stehen, obwohl es Frühling war. Die Stille machte das Warten auf Nachricht zu einem zermürbenden Ringen mit der Zeit. Auch war das Heer bisher wenig beansprucht. Das Warten verschlechterte die Stimmung im Lager. Die Männer drangen auf Informationen und Waffentaten.
Die Abendsonne wärmte Friedrichs Gesicht, als er zur Unterburg der Feste San Minato del Tedesco hinaufstieg. Er besuchte die Nachtmesse. Dazu musste er in die Kapelle der Feste. Der Zugang zur Burg sowie die Teilnahme an der Messe war dem Adel erlaubt, während das Heer unter freiem Himmel Andacht halten musste. In letzter Zeit nahm er des Öfteren an den Messen in der Burg teil. Ebenso gut hätte er an den Messen im Lager teilnehmen können, doch erhoffte er sich, etwas über die geheimnisvollen Besucher zu erfahren. Als er in einer der Kirchenbänke Platz genommen hatte, sah er weiter vorne einen der fremden Reiter in die Andacht vertieft. Friedrich konnte der Messe kaum folgen. Aufmerksam beobachtete er den Fremdling, dessen schulterlanges Haar von einem Reif gehalten wurde. Er musste etwa im Alter des Kaisers sein und war größer als dieser. Seine Haut war sonnengebräunt, wahrscheinlich von der langen Reise. Doch darunter verbarg sich eine edle Blässe.
Als die Messe vorüber war, zog die Gemeinschaft der Reihe nach aus dem Gotteshaus aus. Zuerst hohe Fürsten oder Berater des Kaisers wie Eberhard von Lautern oder Berenger von Schümpf, dann die Geistlichkeit, die ritterlichen Grafen, dann die Ritter und zuletzt die Edelknappen. Friedrich blieb in seiner Bank stehen, während die Besucher die Kirche verließen. Auch der Fremde ließ allen den Vortritt und ging erst mit den Knappen nach draußen. Als der Fremde passierte, kreuzten sich kurz ihre Blicke. Freundlich und ruhig, so wie er es bei noch keinem anderen Menschen gesehen hatte, lächelte dieser Friedrich zu, bevor er den Blick wieder dem Ausgang zuwandte. Friedrich fühlte sich von der Begegnung wie angezogen. Er folgte dem Fremden ans Licht der nahenden Dämmerung. „Herr“, rief er, „Herr.“ Der Fremde blieb weder stehen, noch drehte er sich um. Friedrich lief ihm nach und berührte ihn am Ärmel, woraufhin er die Hand scheu und fast erschreckt, ob seiner Kühnheit, zurückzog, „Herr.“ Der Mann blieb stehen und schaute ihn offen, jedoch ohne einen Ausdruck, aus dem er etwas hätte herauslesen können, an. „Ja“, sagte er, „was kann ich für Euch tun?“
Friedrich stand verdutzt da, er wusste kaum, warum er dem Fremdling nach gelaufen war. Er musste etwas sagten. Seine Wangen röteten sich.
„
Ihr wart in der Kirche?!“
„
Ja, wie ihr auch. Ich habe Euch gesehen. Warum sollte ich nicht in die Kirche gehen?“
„
Ja, aber…“, Friedrich errötete noch mehr. Er schämte sich dafür, dass er den Fremden als Sonderling gebrandmarkt hatte, obwohl er gar nichts über ihn wusste. Scheinbar konnte für Friedrich niemand, der so besonders war, ein gläubiger Christ sein.
„
Es heißt, … es heißt“, stammelte er, „dass die Menschen in Euerem Land Abtrünnige sind.“
„
Sind sie das?!“, erwiderte der Mann ohne eine Wertung in der Stimme.
„
Ich weiß es nicht, Herr. Deshalb frage ich.“
„
Wir haben Kirchen, wie ihr. Wir haben Mönche wie ihr. Ich gehe in eueren Gottesdienst.“
Der Mann war nicht sehr gesprächig. Es war wohl ein Fehler, ihn angesprochen zu haben. Friedrich überlegt, wie er aus dieser Situation herauskam. Zum Glück begann der andere zu sprechen.
„
Kann ich Euch sonst noch eine Frage beantworten, junger Herr.“
„
Nein, nein, habt Dank, edler Herr.“
Friedrich verbeugte sich und wollte sich zum Gehen abwenden.
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