Es klopfte.
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Herr, Raimund von Toulouse ist eingetroffen.“
Otto machte mit dem Arm eine versonnene Bewegung, die eine unsägliche Traurigkeit in sich barg und dem Diener bedeutete, der Neffe, mit dem Otto seine Jugend am aquitanischen Hofe geteilt hatte, solle eintreten.
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Raimund“, der Kaiser war aufgestanden und umarmte den Ankömmling, „sei gegrüßt. Es ist schön, dich wiederzusehen.“
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Auch mich freut es, dich hier wohl behalten anzutreffen. Es ist schon eine Weile her…. Waren das schöne Zeiten am Hofe in Limoges, Otto. Unser leichtes Leben am aquitanischen Hofe…“
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Es fehlt mir.“
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Ja, so sehr. Und seit sie alles und jeden zum Ketzer brandmarken, ist auch das frohe Leben an meinem Hofe in Toulouse fast erloschen.“
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Wie geht es dir in diesen schweren Zeiten, Bruder? Du warst beim Papst. Nicht wahr?“
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Ja, das war ich“, sagte Raimund verdrossen.
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Was kannst du berichten? Hat er den Bann gegen dich zurückgenommen?“
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Nein. …Nein, das hat er nicht. Es ist verzweifelt. In dem ich mich auf die Seite der Kreuzfahrer stellte, habe ich mein Volk verraten. Ich war damals auf der falschen Seite und heute bin ich ein Ausgeschlossener. Das ganze Taktieren hat nichts geholfen.
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Ich habe gehört, einer deiner Männer hat im letzen Jahr nach einer Verhandlung den päpstlichen Legaten Pierre de Castelnau erstochen. Stimmt das?!“
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Ja, das ist richtig.“
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Ja, konntest du das denn nicht verhindern? Hast du deine Mannen nicht im Griff?!“
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Es war der Tropfen auf dem heißen Stein“, verteidigte sich Raimund. „Seit der Papst den Kreuzzug gegen die Häresie ausgerufen hat, ziehen sie gegen alle und jeden, der sich nicht zum katholischen Glauben bekennen will, im Verdacht der Häresie steht oder sich nicht unter ihre Lehnensherrschaft begeben will. Das Midi steht schon lange im Ruf, von der Ketzerei durchwandert zu werden. Papst Innozenz hat eine Kommission eingesetzt.“
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Ist denn etwas daran? Ist das Midi voll von Katharern, wie man hört?“
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Urteile selbst, Otto. Häresie,“ erwiderte Raimund, „wie sie die Kirche sieht, heißt Leugnung des katholischen Glaubens, Kritik der Kirche durch Verzicht auf alles Weltliche, der Kirche ihren Anspruch auf Sündenerlass nehmen. Für die Bewegung der Katharer, die bei uns in der Tat sehr verbreitet ist und sich großer Unterstützung in der ganzen Bevölkerung und beim Adel erfreut, verkörpert Gott alles. Gott ist böse und er ist gut. Sie trennen nicht.“
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Heißt das, dass sie keinen Teufel, keinen Himmel und keine Hölle kennen?“
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Ja. Genau wie Gott ist jeder Mensch gut und auch böse. Das Fegefeuer gibt es bei den Katharern nicht. Jeder Mensch ist göttlich und damit frei von Sünde. Das ist der Kirche der größte Dorn im Auge. Lebet ohne Sorge.“
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Dadurch verliert die Kirche an Macht über die Menschen. Dass Innozenz das nicht passt, kann ich mir gut vorstellen.“
Rainald nickte bedeutend.
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Die Kirche fühlt sich in ihren Grundfesten bedroht. Die Armut und Askese, in der die Perfeci, so nennen sie ihre Priester, leben, löst Begeisterung für die Reinheit der katharischen Lehre aus.“
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Pah, das steht in krassem Gegensatz zu unseren fetten Popen. Das kann ich mir gut vorstellen.“
Rainald lachte. „Sie heben die römische Kirche ziemlich aus den Angeln. Bewundernswert. Sie gehen so weit, dass sie sagen, sie hätten nie zur römischen Kirche gehört. Sie hätten sich direkt aus der Apostellehre aus der Zeit Christi entwickelt. Sie hätten das Blut Christi ins Abendland gebracht. So haben sie über die Jahrhunderte eine Kirche neben der Kirche organisiert. Sie haben eine eigene Hierarchie geschaffen. Die hohen Priester nennen sich Electi, die Erwählten, oder Perfecti, die Vollkommenen, sie sind die Apostel der Katharer. Aus dem Griechischen übersetzt, heißt Katharer die Reinen. Sie leben das Zölibat und in strengster Askese. Sie ziehen herum, predigen im Freien oder benutzen einfache Räume. Kirchen und Klöster sehen sie als Fronhöfe des Bösen an. Sie sind Laien, aber auch viele ehemalige Priester sind unter ihnen. Die gläubige Gemeinde besteht aus Credentes. Dann gibt es noch die Auditores, die Hörer.“
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Das geht weit. Unvorstellbar. Wie stehen sie zum Leben nach dem Tod? Gibt es Leben ein nach dem Tod?“, wollte der Kaiser wissen.
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Sie predigen die Evangelien. Nur die Seele ist beständig und wird wiedergeboren. Geist und Körper sind vergänglich. Verfallen. Nichts ist ewig. Schuld, Unglück, Glück, Besitz, Herrschaft. Die sichtbare Welt. Nichts ist ewig. Das Leid, alles das ist an das Weltliche, Dingliche gebunden und vergeht. So ist die materielle Welt für den Katharer nichts. Nur das Reich Gottes ist ewig, wie es im Johannes-Evangelium geschrieben steht.“
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Aber, Raimund, sag, wozu sind wir dann auf dieser Erde.“
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Es ist nicht anders als bei den römischen Christen auch. Der gute Teil, die Seele, muss den schlechten Teil, die Welt, überwinden.“
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Aber das ist doch die Frage, die uns Christen auch drängt.“
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Den entscheidenden Unterschied hat Paulus in seinem Brief an die Korinther benannt: ohne die Liebe wäre ich nichts. Genauso ein Nichts wie die sichtbare Welt. Was also bleibt ist die Liebe. Die Gläubigen streben danach, in Liebe zu leben. Die Christengläubigen streben danach, dass ihnen ihre Sünden vergeben werden. Sie leben in ständiger Angst, zu sündigen und ins Fegefeuer geworfen zu werden. Die in dieser Welt gefangene Seelenliebe zurück zu Gott bringen – das vollendete Consolamentum ist im Gegensatz dazu der Zweck eines Katharerlebens, um als freie Seele zu einer reiferen Zeit als dieser wieder auf die Erde herabzusteigen.“
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Also, der Papst will euch nicht länger gewähren lassen?“, kam Otto wieder auf den Ausgang des Gespräches zurück.
Raimund straffte sich wiederum und fuhr fort.
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Im Sommer zog er die Schlinge enger und enger um uns. Nach einer Verhandlung im Juli war die Situation bis aufs Äußerste angespannt und in der Tat, einer meiner Männer erstach den päpstlichen Legaten; woraufhin ich gebannt wurde.
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Hhm, verstehe“, murmelte der Kaiser.
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Innozenz schickte Arnaud-Amaury, den Abt von Citeaux. Dieser predigte Hass und rief die Franzosen auf, die Ketzer zu zermalmen. Der Papst wollte den König und den Adel bewegen, gegen die Häresie zu Felde zu ziehen. Doch Philip Auguste winkte ab. Er kämpfte gegen England und sah keinen Sinn im Midi. Außerhalb Frankreichs.“
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Also steht es um das Verhältnis zwischen Papst und Frankreich nicht zum Besten.“
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Ja, der Papst drohte dem Franzosen, woraufhin dieser, um den Schein zu wahren, den niederen Adel schickte.“
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Gut für uns.“
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Ja, so hilft unsere Not dir hier, Otto.“
Otto lehnte sich in seinem Armstuhl zurück und legte das Dreieck seiner Zeigefinger an den Mund. Er war auf der Hut. Sicherlich würde sein Verwandter Truppen von ihm haben wollen.
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Hauptsächlich“, fuhr Raimund fort, „aber ist das Unheil auf den Eifer Arnaud-Amaurys zurückzuführen. Im Juli hatte er in Lyon ein gewaltiges Heerbanner zusammengezogen. Niedriger Adel und Ribauds, Lumpengesindel. Durch das Tal der Rhône quoll der garstige Tross in unsere Ländereien. Zehntausende. Ich sah keine Möglichkeit mehr, mein Land aus dem Zwinger zu befreien. Außer, ich würde mich dem Kreuzzug gegen die Häresie anschließen. So schwor ich in Saint-Gilles auf das Kreuz und wurde vom Bann befreit. An Magdalena musste ich dann mit ansehen, wie sie Béziers vollkommen zerstörten. Die Leute von Béziers waren unvorsichtig und hatten die mitgelaufenen Ribauds provoziert. Ein offenes Tor konnte nicht mehr rechtzeitig verriegelt werden und der aufgebrachte Kriegspöbel drang in die Stadt ein. In wenigen Stunden waren zwanzigtausend Menschen abgeschlachtet. ‚Tötet sie alle! Denn Gott kennt die Seinen!‘ fachten die Hassprediger das Morden an.“ Raimund schluckte.
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