Die anderen Engländer bauten sich vor den anderen deutschen Ordnern auf.
„Give them their money!“ schrie er den Lockenkopf an. Der schaffte es irgendwie Geld aus seiner Hosentasche hervorzuziehen. Paffy griff das Geld.
„Give them more!“ Und zu uns: „I try to hold him for a minute. But you have to leave! As fast as you can!“
Paffy schnappte sich wieder die Kohle und wir rannten raus.
Wir rannten, bis wir nicht mehr konnten. Wir hechelten, nach Luft japsend, kleine Seitenstraßen entlang, uns ständig umdrehend, aus Angst, dass uns jemand folgte.
„Für jeden 100“, sagte Paffy, als wir uns sicherer fühlten.
Er reichte mir einen der Scheine. Die Nacht war klar und die frische Luft kühlte wohltuend. Ich pisste gegen einen ollen Baum.
„Was ist eigentlich genau passiert?“ löcherte mich Paffy, weil er nicht verstand, warum der Engländer uns geholfen hatte. Aber ich zuckte nur mit den Schultern. Wir latschten den ganzen Weg bis zur Südstadt durch kleine Seitenstraßen.
Am nächsten Morgen hatte ich Fieber. Muttern erzählte ich, ich wäre vom Fahrrad gefallen. Sie war skeptisch, stellte aber keine weiteren Fragen.
Der Arzt sagte, an der gebrochenen Nase könne man nicht viel machen, die würde etwas schief bleiben. Er klammerte die Augenbraue und desinfizierte an mir rum.
Auf dem Weg zur Waldheimfete pöbelte Shorty im Bus die Leute an. Er war bereits reichlich angeschickert. Seine Augen hatte er mit einem Kayalstift schwarz angemalt - echt mutig.
„Hast’de gerad ne Schnalle?“ fragte er.
„Klar“, log ich.
„Wie sieht se denn aus? Kenn ich se?“
„Nee, eine von der Schule“, log ich weiter.
„Wie machs‘te das denn? Das Aufreißen, meine ich. Du hast immer ne Schnalle, wenn ich dich treff‘“, quetschte er weiter.
„Keine Ahnung. Du musst nett zu ihnen sein. Ich flirte dauernd. Ansonsten machen die doch alles. Du darfst eigentlich gar nichts machen. Das schaff‘ ich aber ooch nich“, quasselte ich.
„Ich müsst‘ wenigstens ne Zeit lang aufhören zu saufen, dann könnt‘ ich auch mal wieder eine an Land ziehen“, sagte er nachdenklich. Aber er hielt in der Hand schon das Einwegfeuerzeug, mit dem er eine neue Bierflasche köpfte. Der Kronkorken flog im hohen Bogen durch den Bus.
Auf der Party war was los. Es war laut, dunkel und heiß. Viele Leute vom Kollektiv waren da. Der geflieste Boden war glitschig vom Schweiß der Leute. Selbst Lene durfte wohl länger als bis sieben. Sie tanzte eng umschlungen mit einem komischen Schnösel. Vielleicht war sie gar nicht mehr mit Tobias zusammen? Das war irgendwie beruhigend.
Ihre Schwester Elke und ihre Freundin Heike standen am Tresen. Der bestand aus leeren Bierkästen mit einem Brett drauf. Kretsch belaberte sie. Er war voll hacke.
Tobias kam dann auch, zusammen mit Mieza. Sie stellten sich zu Elke, Heike und mir. Tobias schenkte allen möglichen Millies Wollfäden. Shorty lachte hysterisch darüber.
„Du hast aber Komplexe“, sagte da Elke zu Shorty. Er konnte es nicht fassen, dass sie das zu ihm gesagt hatte und lachte noch hysterischer.
Bei den Klos gab es eine Schlägerei, bei der Bonzo mitmischte. Kurz gingen alle vom Kollektiv rüber. Aber Bonzo hatte schon klar Schiff gemacht.
Nach einer Stunde zog Shorty mit Tobias und Mieza ab zur Mensafete in die Uni. Da hatte ich keine Lust zu und ging rüber zu Meschan, der in einer Ecke rumhing.
„Lass uns Millies anmachen“, versuchte ich ihn zu ermuntern, „glaub mir, es ist wichtig Millies kennenzulernen. Die beiden da hinten! Lass uns mit denen tanzen!“ Aber Meschan winkte ab und drehte sich eine. Ich ließ mich aber nicht entmutigen und schlenderte rüber zu den beiden gackernden Hühnern. Nach ein paar Worten hatte ich eins so weit, dass es mit mir tanzte. Die Schnulle war aber eine pummelige, zugekleisterte Pute und wenn ich mit meiner Nase zu dicht an ihr Gesicht kam, musste ich ihr stinkendes Make-up riechen. Meschan und Bonzo feixten.
Also zischte ich nach Hause und sah in der Glotze ‚Mit Schirm, Charme und Melone‘. Ich kapierte zwar nicht mehr, worum es ging, war aber astrein.
Es war Klassenfahrt angesagt: in eine Anstalt für politische Bildung. Irgendwo bei Oldenburg. Gab kein Entrinnen. Zwei jungdynamische neue Lehrer hatten uns das eingebrockt. Ein dürrer langer Gemeinschaftskundeschnösel und eine mehlige Englischlehrerin, die sogar aus England kam. Also Shorty hatte mich so bemitleidet, dass er mir etwas Hasch mitgegeben hatte. Machte die ganze Sache auf jeden Fall spannender. Alleine das Rumtragen des Zeugs. Ich versteckte es in Alufolie eingewickelt in einem roten DDR Pioniertuch um meinem Hals.
In den Seminarräumen wurde unter Aufsicht fleißig getagt und politisch gesülzt. Die Junge Union Wichserfraktion in der Klasse war am stärksten und prägte das Geschehen.
Im Garten gab’s einen ollen Swimmingpool ohne Wasser. Da drinnen kifften Paffy und ich. Dufte Atmosphäre.
Leider erwischte uns Lex, der im Sommer auch sitzengeblieben war und dessen Wege deshalb wieder meine kreuzten. Er kam auch runter und tat ganz auf Kumpel, quengelte, dass er mitrauchen wolle. Ich erwähnte die ständige Kloppe, die ich von ihm bezogen hatte und er sagte, das sei ja wohl ein alter Hut und er habe das damals nicht so gemeint. Na ja. Jedenfalls drehte ich einen neuen Joint und ließ ihn dran ziehen. Er wurde schlagartig grün und weiß und musste kotzen.
Den nächsten Tag verbrachte er im Bett. Da ließ sich dieser Wicht einfallen, der Englischlehrerin zu petzen, dass er mit mir Dope geraucht habe. Der hat ja wohl nicht alle Tassen im Schrank! Sofort wurde ich von den Lehrern interviewt, ob ich Probleme hätte und so was. Erst sträubte ich mich dagegen, aber auf dem Rückweg im Zug, dachte ich, dass es vielleicht gar nicht so unklug sei, ihnen zu sagen, was sie ohnehin hören wollten.
Im Abteil, in dem sie zusammen glucksten (wenn die mal nicht ein Techtelmechtel hatten ...?!), drückte ich kräftig auf die Tränendrüse, erwähnte die Scheidung meiner Eltern unter der ich immer noch litte, die Freundin, die mir weggelaufen sei, dass ich ne Zeitlang immer verhauen worden sei, der schlechte Einfluss einiger Freunde außerhalb der Schule, halt alles, was mir so einfiel. Ich versprach Schluss mit den Drogen zu machen und wurschtelte symbolisch das inzwischen leere Stanniolpapier aus dem FDJ-Tuch, riss das Fenster runter und warf es aus dem fahrenden Zug.
Klappte total: Meine Eltern erfuhren nichts von dem Vorfall und von den Lehren wurde ich fortan wie ein rohes Ei behandelt. Die Blödies aus der Klasse schnitten mich noch mehr. Recht so.
Auf den Flohmarkt gezischt. Niemand Bekanntes getroffen, weil alle auf der Demo gegen Fahrpreiserhöhungen waren. Also bin ich da hin und mit Shorty und anderen vom Kollektiv durch den Schneematsch marschiert. War aber mager besucht die Demo, vielleicht einige hundert. Kein Wunder bei der brutalen Kälte. Überall von den Kaufhäusern runter wurde man von den Kameras des Verfassungsschutzes gefilmt. Trotzdem wurden die Straßenbahnen gut blockiert. Zwischendurch bin ich zu ‚Horten‘ rein und habe mich aufgewärmt. Bei der Gelegenheit eine Platte von ‚Rush‘ aus dem Sonderangebotskasten erworben. Nur vier Mark.
Als ich wieder bei der Demo war, laberte mich ein Vollbärtiger damit zu, wie dufte früher die Rote-Punkt-Aktionen gewesen seien und so. Fand ich ja Schnee von gestern. Immerhin d a m a l s hatten fast alle Autos den roten Punkt gehabt und hatten jeden mitgenommen. Die Fahrgäste in den Öffis waren deutlich zurückgegangen. Die Fahrpreise waren dann doch nicht erhöht worden. Ich war neun gewesen. Jacke wie Hose. Nickte also solidarisch dem Typen zu. Immerhin hatten wir an unserem Käfer auch so einen roten Punkt gehabt. Außerdem hatte ich damals immer auf dem Schulweg einfach die Hand rausgehalten und schon hatte einer angehalten und schwupps mich hingefahren.
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