„Dufte“, sagte ich.
„Ja, knorke“, sagte Tobias.
Inmitten der Wandcollage hing ein Zettel auf dem stand: „Vertrag: Bei ihrer Vorhaut schwören Yogi und Tobias nie im Leben Zigaretten, Zigarren oder Pfeife zu rauchen.“ Drunter waren die Unterschriften.
„Ich hatte mal mit Lene die Abmachung getroffen, dass wir eine Woche keinen Alkohol trinken“, sagte Tobias, „aber sie hat sich nicht dran gehalten. Deshalb mache ich nur noch schriftliche Verträge.“
„Wie lief das überhaupt mit Lene und dir?“ fragte ich neugierig.
„Ich habe viele ganz super Erinnerungen an sie“, sagte er zögerlich.
„Wie lange wart ihr zusammen?“
„Ungefähr ein halbes Jahr und ihr?“
„Auch ziemlich genau ein halbes Jahr“, sagte ich.
„In meinem psychologischen Ratgeber steht, dass Teenagerbeziehungen im Schnitt immer ein halbes Jahr halten. Scheint zu stimmen“, sagte er nachdenklich.
„Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?“ fragte ich weiter, schließlich hatte ich überhaupt nicht mitgekriegt, wie er mir Lene ausgespannt hatte.
„Ich hatte Elke vor dem Haus der Jugend getroffen. Da hab‘ ich sie gefragt, wo Lene ist.
‚Zu Hause‘, hatte sie geantwortet. Da dachte ich, ‚die Arme, muss an einem Samstag allein zu Hause sein, das ist doch nicht richtig.‘ Also bin ich hingedüst und habe sie abgeholt. Wir sind dann zum Maschsee und haben auf Bänken rumgesessen und den Enten zugesehen. Richtig dufte.
Dann waren wir auch schon zusammen. Wir haben uns nachmittags in der Stadt getroffen und Gurken und Melone gegessen. Sehr dufte.
Ich habe zwei Ringe aus Draht gebastelt und als wir an einem Juweliergeschäft vorbeikamen, bin ich schnell reingesprungen. Ich habe den Verkäufer nach der Uhrzeit gefragt. Höhö. Dabei kramte ich dann die Drahtringe vor, ging wieder raus und steckte sie uns an. Hat sich super gut angefühlt.
Knorke war auch, als wir mal auf einer Lichtung im Wald auf einer Decke saßen. Wir kabbelten so rum und irgendwann waren wir völlig nackt. Ich hatte hunderte Mückenstiche gekriegt. Hinterher waren wir hier und haben Rum getrunken. Natürlich viel zu schnell, viel zu viel. Lene war dann ganz blau und wir duschten eine Stunde zusammen, bis es ihr wieder besser ging. Ich musste ihr immer wieder versprechen, sie nicht zu vergewaltigen, was ich ja auch nicht gemacht habe.
Danach wurde es irgendwie komisch. Sie versetzte mich öfters und ich fragte mich warum. Du kennst das wahrscheinlich, wenn man so eine Weile zusammen geht, interessiert man sich mehr und mehr dafür, was der andere macht und nicht so sehr dafür, wie er ist. Jedenfalls, oft stimmte es nicht, was Lene sagte. Zum Beispiel sagte sie letztes Jahr beim Altstadtfest, dass sie nicht könne, weil sie mit ihren Eltern nach Ratzeburg fahren müsse. Ich traf sie dann aber. Sie sagte nur, sie habe doch nicht mit nach Ratzeburg gemusst. Hätte sie ja auch mal anrufen können, oder?“ Er machte eine Pause und legte Genesis ‚The lamb lies down on broadway‘ auf.
„Dann lernte ich Carmen kennen und dachte, ‚Wow, es gibt auch noch andere süße Millies‘. Also habe ich mit Lene Schluss gemacht. Es war an einem Sonntagnachmittag bei ihr zu Hause. Ich sagte es ihr und sie sagte, dass sie auch gerade mit mir Schluss machen wollte. Na ja. Wir lachten dann ewig - bis Elke reinkam und fragte, was los sei. Die hat vielleicht blöd geguckt, als wir ihr sagten: ‚Nö nichts, wir haben nur gerade Schluss gemacht!‘
Aber wie war es bei dir? Erzähl du jetzt“, sagte Tobias.
Ich erzählte meine Geschichte vom Altstadtfest und alles andere.
Anschließend schwiegen wir lange. Wir waren aufeinander eifersüchtig und gekränkt. Tobias‘ blaue Augen waren fest auf eine Kerze gerichtet. Wir vereinbarten, in Zukunft nur noch, wenn es sich nicht vermeiden ließ, über Lene zu reden.
Tobias‘ Mutter kam und begrüßte mich. Prima Mutter. Wir kriegten Schwarzbrot mit Salami und Senf. Tobias und ich schrieben einen Vertrag:
„Bei Lenes Lächeln und ihren super Busen werden unterzeichnende Personen ihre Unschuld nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Wir werden den ersten Sex in unserem Leben so lange wie möglich hinauszögern. Denn Sex ist eine Sucht, schlimmer als Heroin oder Alkohol. Sex führt zu Verblödung, Abstumpfung, kaputten Ehen und Kindern. Alle die einmal Sex hatten, sind verblendet.“ Unterschriften. In die Collage geklebt - fertig.
Als es Zeit wurde, mich vom Acker zu machen, lud ich Tobias zu meiner Geburtstagsparty ein.
Für die Geburtstagsparty kaufte ich Bier und Chips von ‚Knappheide'. Ich astete zwei Kästen auf einmal die Rimsockstraße entlang. Das reißt einem ja die Arme ab! Beim nächsten Gang nahm ich lieber nur noch eine Kiste.
Die Leute vom Säuferkollektiv knallten sich hin und hatten Spaß. Mein Zimmer wirkte unheimlich voll mit den bulligen Kerlen. Elke und Heike waren auch da. Alle gaben sich die Kante, weil ja schön viel Bier da war.
Tobias brachte Schröder und Karine an. Karine behielt ihren Parka an. Schröder war ein Kumpel aus Tobias Grundschule. Er war Klempner. Deshalb erzählte er allen, die es nicht hören wollten, aus seinem Berufsalltag:
„Ich schraube die Rohre unten im Keller auf, dann kommt tonnenweise die Scheiße raus. Dann frühstücke ich erst mal. An den Gestank gewöhnt man sich. Das lasse ich mir gut bezahlen.“
Tobias ging das Gelabere auf den Sack, deshalb zuckte er mit Heike, Karine und ein paar anderen los zu einer anderen Fete.
Ich hatte nun den Schröder am Hals.
Und Sylvia die Kretsch angeschleppt hatte. Die hatte den totalen Knall. Sie fing damit an, Ecken aus Gläsern zu beißen, darauf rumzukauen und das Glas in ihrem Mund knirschen zu lassen. Zwischendurch knutschte sie mal einen ab, aber alle hatten Angst vor den Scherben, besonders ich, weil ich ja eine Scherbenphobie habe. Ich kriege schon einen Kloß im Hals, wenn an einem Glas auch nur eine winzige Ecke fehlt.
Bald hauten alle anderen ab, bis auf eben diese Sylvia, die sich auf meinem Bett ausstreckte. Als ich glaubte, sie wäre eingeschlafen, legte ich mich auch ab - direkt neben sie. Was sollte ich auch sonst tun? Aber die Schnepfe fing an, an mir rumzumachen. Sie hatte nun keine Jeans mehr an und rieb ihren ekligen Plastikschlüpfer an meinem Schenkel. Ich stellte mich schlafend, bis sie sich über mich lehnte und ihre ledrige Zunge in meinen Mund presste. Als sie es geschafft hatte, biss sie so fest sie konnte in meine Zunge. Ich schrie auf.
„Lass das! Bist du verrückt!“ fuhr ich sie an. Unbeeindruckt rollte sie sich zur Seite.
Ich legte mich auch wieder hin und döste weg. Schnell wachte ich erneut auf, weil sie wie eine dicke Flunder auf mir lag und mich wieder in die Zunge biss.
„Jetzt reicht‘s!“ schrie ich verärgert, „raus jetzt! Hau ab!“
Sprittig wie sie war, musste ich sie anziehen und nach unten auf die Straße bugsieren. Sie wollte Terz machen und alle Klingeln im Haus drücken, also blieb mir nichts anderes übrig, als sie zur Straßenbahnhaltestelle zu bringen.
Sie saß auf dem Gepäckträger meines Rads, kreischte bei der Fahrt und flog wie ein Sack runter. Dann riss sie so an mir rum, dass es uns beide in eine Vorgartenhecke haute. Aber ich kriegte sie bis hin.
Es war wohl gegen vier Uhr, aber nach Fahrplan fuhr die erste Bahn erst um fünf. War mir egal. Ich ließ sie dort sitzen und brauste zurück.
In meinem Zimmer hockte ich mich zwischen die Müllhaufen und guckte mir zu ‚Genesis‘ ‚Foxtrott‘ die Dämmerung an. Auf den Matratzen und dem Teppich waren nasse Flecken und es stank trotz des offenen Fensters höllisch nach Bier, Rauch, Kotze und Schweiß. Die Zunge war zwar lädiert, aber nichts Schlimmeres.
Ich war mit Yogi und Tobias auf dem Flohmarkt verabredet. Wir lungerten am Turm rum. Lene und ihr neuer Freund auch. Nach einer Weile sprach Lenes Schnösel Tobias an:
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