Nach den ersten zügig gegangenen fünfhundert Schritten ist mir schon warm. Noch mal umgucken, keine Häuser mehr in Sicht. Also, Hund ableinen, Körperspannung aufbauen, Arme in den richtigen Winkel und Füßen den Laufbefehl geben.
Wieso hören die nicht zu?
Ist doch mittlerweile automatisiert: Sowie die Körperspannung in Laufhaltung geht, trippeln die Füße los. Im leichten, elfengleichen Joggerschritt. Heute nicht.
Jetzt aber, bei dem Grasbüschel da vorne,
na gut, dann eben 2 Meter später.
Ja!
Geht doch.
Nicht aus dem Takt kommen, mitzählen. Bei achtzig gelaufenen Schritten find ich die Welt noch prima und nehme mir vor, einhundertzwanzig zu laufen.
Bei einhundertdrei schreit mein Gehirn:
„Eh, wollten wir nicht nur hundert? Was soll denn das?“
Sofort reagieren meine Beine und werden merklich langsamer. Aber nicht mit mir. Ich hab einhundertzwanzig Schritte vor, also werden die auch gelaufen.
Die Beine entscheiden sich dagegen. Werden noch langsamer, schalten in Trippelgang und schicken Oberschenkelmuskelschmerz Richtung Gehirn. Eben fällt mir ein, Atmen wäre nicht schlecht.
Einhundertneunzehn, einhundertzwanzig. Gänse-marsch nennt man das, glaube ich. Hoffentlich kommt jetzt keiner und sieht das.
Roter Kopf.
Schnappatmung.
Ich zwinge mich schnelleren Schrittes weiter zu gehen. Der Hund wedelt mich an, hat Spaß an meinen Geräuschen.
„Prima“, denk ich. „Muss erst nach einhundert-zwanzig Schritten wieder laufen!“
Klappt aber nicht. Hyperventiliere immer noch. Schweiß bricht aus. Jetzt aber: Nasenatmung. Tief. Tiefer.
Körperspannung, loslaufen.
Funktioniert. Atmen, laufen, atmen, neunund-neunzig, bei Hundert setzt der Fuß auf, als gehöre er einem Elefanten.
Egal.
Weitergehen.
Atmen.
Wo ist der Hund? Rufen geht jetzt nicht, muss atmen. Und schwitzen. Wusste gar nicht, dass ich so schwitzen kann.
Wird heute nichts mit den fünfhundert gejoggten Schritten. Nach dreihundert gebe ich auf. Ich, Gehirn und Beine sind uns einig: Klamotten aus, duschen, Eiweißshake, Bett. Automatisch dreh ich mich um, versuche wenigstens nicht zu schlendern.
Schwitze, schleiche.
Warum tu ich mir das an? Es tropft von der Nasenspitze, die Brille ist beschlagen. Hund in den Garten, Törchen zu, ich ins Bad.
Puh, was klebt die Hose.
Nächstes Mal doch besser was Leichteres anziehen. Endlich schaff ich es, sie runter zu ziehen.
Und was sehe ich? Jeansblau gefärbte Beine!
„Na ja“, denk ich. „Sieht doch lustig aus“ und strecke mich wohlig meiner Dusche entgegen.
Peter Bertram
Unerwartet
Von meinem Tagwerk arg geschafft
begann ich zu ermüden
Um zu erneuern meine Kraft
wollt‘ schlafen ich hienieden
So lag ich unter einem Baum
wie später ich bemerkte
und fiel sofort in Schlaf und Traum
was meine Glieder stärkte
Doch plötzlich fiel mit großem Krach
und mächtigem Getöse
was neben mich. Ich wurde wach
und war natürlich böse
Wer hat den dummen Schabernack
mit mir hier wohl getrieben
Ich wollt‘ ihn stecken in 'nen Sack
ihn bis zum Abhang schieben
Dort würde er zu meinem Spaß
zum Weiher runter rollen
Zum Schluss wär‘ er dann pudelnass
für sein „Mich-ärgern-wollen“
So blickt‘ ich aggressiv umher
zu stillen mein Verlangen
doch wie ich schaute, kreuz und quer
Es gab nichts einzufangen
Ich setzte mich flugs wieder hin
und konnt‘ ihn so erblicken
Dass ich drauf nicht gekommen bin
ich sah ihn mit Entzücken
Er leuchtete so wunderschön
als wollte er mich necken
Er war so lecker anzuseh‘n
und würd‘ mir sicher schmecken
Ich nahm ihn auf und biss hinein
um alles auszuspucken
Ein Wurm beschloss hier Gast zu sein
den wollt‘ ich nicht verschlucken
Ludger Felix Kolbe
Trägheit lastet
mit der Hitze
dümmer machend
mir im Hirne
Und vergeblich
such ich Witze
hinter schweiß-
geölter Stirne
Rudolph Kowalleck
Lisa bleib ein Freilandhuhn (1 Calypso)
Die Lisa hat keine gute Laune
die Lisa ist gar nicht gut gestimmt
weil die Lisa man höre es und staune
an einer Schlankheitskur teilnimmt
Die Lisa isst ab jetzt nur noch Gesundes
Müsli, Magerquark und reichlich Obst
ihr Ernährungswissen ist ein ganz profundes
und sie freut sich wenn du sie dafür lobst
sie lernt die Regeln ziemlich fleißig
und träumt von Größe sechsunddreißig
sie watched jetzt ihr weight
von morgens früh bis spät
kein Wunder, dass ihr dabei die Laune vergeht
Ich sage: Lisa bleib ein Freilandhuhn
hör endlich auf solche Dinge zu tun
meinetwegen verdoppel dich
ich mag dich auch moppelig
Die Lisa achtet jetzt auch auf Bewegung
jeden Morgen joggt sie durch den Park
das versetzt sie in freudige Erregung
Sport macht das Gewebe stark
Sie ist dann auf der Straße gelaufen
und wollte nur mal kurz verschnaufen
da wird sie ungewollt
vom Schnellbus überrollt
jetzt sitzt sie auf der Wolke und schmollt
Ich sagte Lisa bleib ein Freilandhuhn
hör endlich auf solche Dinge zu tun
jetzt bist du sicher auch bald gertenschlank
fürs Erbe sag ich lieben Dank.
Liedtext vertont vom Autor
Blumen wachsen nicht in dieser Erde
Wolfgang Klingler
MITTERNACHT
In den heiligen Hallen
liegen die Flügel der Engel
wie die Knochen in Verdun
die Seelen der Geschundenen
haben ihre Heimat verloren
der Klang der Glocken ist verstummt
in den heiligen Hallen
liegen die Knochen der Engel
die Federn sind mit Öl verschmiert
Penetrationen zur Unzeit
Psalme verstrichen auf offenen Wunden
die Glocken zerbersten vor Scham
in den heiligen Hallen
werden die Altäre geschmückt
die Kerzen halten ihren blutigen Atem an
Sylvia Wenig
Vergeltung
Gesänge aus dem Orient, Götterverschwörung –
deine innere Stimme ruft den Namen des
Herrschers
den keiner wirklich kennt
der durch seine Legende heute noch lebt
und den sie alle lieben und verehren
Festhalten an Fiktionen
aus überirdischer Kraft schöpfen
was wäre nicht leichter als dies`
ließe der Glaube uns nur nicht im Stich
Künstliche, irreale Welten
als Ersatzbefriedigung für die verarmten Seelen
die ersticken im Schutz des Hasses
des Neids und des Machtbewusstseins
sie kennzeichnen
den Menschen des 21. Jahrhunderts
Gefragt werden die Kinder von heute nicht
gefordert, herausgefordert, überfordert sind sie
Wer sich darüber wundert
dass Kinder zurückschlagen mit erwachsenen
Waffen
der möge den Gesänge weiter lauschen und schweigen.
Wolfgang Klingler
DIE SCHWARZE LISTE
Ein Wort aus einem Mund
so rot wie Blut
im Ton so unschuldig
schlägt Nägel in die Füße
und die blassen Hände
bekreuzigt euch für eure Taten
im reinen Schein der Heiligkeit
ihr habt es schon vergessen
bevor das Blut zur Erde tropft
die Blumen wachsen nicht
in dieser Erde
und auch in Zukunft nicht
Corinna Klingler
Wie soll man denn leben…
Wie soll man denn leben
in einer Welt in der
Gott nur mit denen ist
die sich selber helfen?
Wie soll man denn sprechen
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