Darüber hinaus bin ich auch mit meinem ganz eigenen Kulturauftrag unterwegs. Schließlich ist jede Einzelperson Repräsentant seines Landes und seiner Kultur. Was man aus dieser Mission macht, bleibt jedem selbst überlassen. Ich jedenfalls habe meiner amerikanischen Mitbewohnerin versprochen, ihr die englische Edition von "Faust" mitzubringen. Sie liest sehr gerne, doch die deutsche Literatur ist ihr bisher fremd - wenn Goethe ihr gefällt, ändert sich das vielleicht bald. Aktueller als heute war der Faust vermutlich sowieso noch nie. Ich kenne die englische Ausgabe übrigens auch noch nicht. Das verschafft mir die nötige Distanz zum Werk, um es aus einer ganz anderen Sicht neu zu entdecken. Mal sehen, was ich dabei über mich und uns alle lernen kann. Ein großer Bestandteil von Kulturarbeit ist für mich vor allem auch, viel über sich selbst zu lernen - um das Handeln anderer dann besser nachvollziehen zu können.
Sicherlich ist meine ganz persönliche "Mission Kultur" nur ein winziger Teil der kulturpolitischen Aufgabe an sich. Aber wo soll Kultur denn anfangen, wenn nicht im Allerkleinsten? Der Teufel steckt doch meistens im Detail. Das heißt aber nicht, dass aus jedem Detail auch ein Teufel herausspringt, so wie Mephisto aus einem Pudel. Gerade nochmal Glück gehabt.
Ich bin der Geist, der stets verneint!
Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,
Ist wert, dass es zugrunde geht;
Drum besser wär's, dass nichts entstünde.
So ist denn alles, was ihr Sünde,
Zerstörung, kurz das Böse nennt,
Mein eigentliches Element.
( Aus: Johann Wolfgang von Goethe: „Faust. Der Tragödie erster Teil“, Hamburger Lesehefte Verlag, Husum)
Was nehm' ich bloß mit?
Ja ich gebe es zu, zum Packen ist es wirklich noch zu früh - noch ein Monat und drei Tage, bis es los geht. Andererseits ist es nicht gerade ein All-Inclusive-Urlaub, zu dem ich da aufbreche. Und wenn ich meinen Blick so durch mein Zimmer schweifen lasse, fallen mir schon einige Dinge auf, die ich zum täglichen Überleben brauche - die aber insgesamt definitiv mehr wiegen als 20 Kilo Reisegepäck …
"Ich habe nichts zum Anziehen!" Dieser Satz, den Frauen angeblich so oft benutzen, schießt mir auch durch den Kopf, wenn ich daran denke, dass ich den harten Chicagoer Winter überstehen muss, in dem das Quecksilber schon mal gerne auf minus 10 Grad oder noch weniger abrutscht. Das heißt also: Winterklamotten muss ich mir dort besorgen! Und auch sonst werde ich beim Gepäck wahrscheinlich an Klamotten sparen - 20 Kilo hat man ja für zwei Wochen Pauschalurlaub schon schnell zusammen, wie fix geht das dann erst, wenn ich Sachen für 4 Monate zu verstauen habe?
Und was soll ich ohne all meine Bücher machen? Am liebsten würde ich mir dieses vermutlich tonnenschwere Regal separat in die USA einfliegen lassen, weil ich mich einfach nicht entscheiden kann, was für eine Auswahl ich treffen soll. Letztendlich wird die Wahl wahrscheinlich auf möglichst viele dünne Reclam-Heftchen fallen - Quantität über Qualität! Die gesammelten Werke von Kafka oder Shakespeare werden da keine Chance haben gegen Dostojewski im Mini-Taschenbuchformat. Wie gut, dass in der heutigen Zeit das halbe Leben in den Laptop reinpasst - so habe ich wenigstens alle Fotos, Hörbücher und Lieblingslieder bei mir, ohne das Maximalgewicht auszureizen. Manchmal ist es eben doch ein Segen, im 21. Jahrhundert zu leben!!
Deutschland – ein Sommermärchen?
Ein richtiger Sommerurlaub ist in diesem Jahr nicht drin, aber ein paar Tage ausspannen und Kopf-frei-kriegen sollten es vor meinem Chicago-Aufenthalt schon werden. Warum also nicht im eigenen Land? So war die glorreiche Idee geboren, mit Zelt und Campingausrüstung an den Biggesee ins Sauerland zu fahren. Blöd nur, dass es die Gewitterwolken an genau denselben Ort gelockt hat: Ein Zentrum der heftigen Sommergewitter der letzten Tage waren der Raum Dortmund und das Sauerland. Resultat: Durchnässte Zeltwände, Schlammpfützen auf dem Campingplatz und eine Tasche voll klammer Klamotten. Schön war's trotzdem und den Kopf freibekommen habe ich allemal, während ich im Zelt gesessen und auf den nächsten Blitzeinschlag gewartet habe!
Noch 3 Wochen
Heute in drei Wochen ist es so weit. Sogar ziemlich genau um dieselbe Zeit (es ist jetzt 11.20 Uhr). Am 23. August um 11.10 Uhr hebt meine US-Airways Maschine in Richtung Philadelphia ab, von dort geht's weiter nach Chicago O'Hare. So langsam sammeln sich in einer Ecke meines Zimmers Sachen an, die in den Koffer wollen. So langsam beginne ich, jeden Tag nervös alle Dokumente durchzuschauen, um sicherzustellen, dass ich auch wirklich alles habe, um einreisen zu dürfen. So langsam versuche ich mir immer wieder diesen Moment auszumalen, wenn ich zum ersten Mal mein neues Zuhause für vier Monate betrete oder zu meinem ersten Arbeitstag im Goethe-Institut antrete. Bald werde ich wissen, wie weit sich diese Vorstellungen auf die Realität übertragen lassen, denn sehr bald ist die Realität bei mir angekommen - oder ich bei ihr?
Englisch ist nicht gleich Englisch
Besser gesagt: Englisch ist nicht gleich Amerikanisch. Schließlich gibt es die Harry Potter Bücher ja auch in einer Original- und einer amerikanisch übersetzten Fassung. Das kommt nicht von ungefähr. Und dass sich diese beiden "Sprachen" nicht nur in Nuancen unterscheiden, sondern oft ein himmelweiter Unterschied besteht, ist aus dem Englischunterricht noch gut bekannt. Doppelbedeutungen von Wörtern wie "boot" oder "chips" können zu bösen Fallen werden. Um solchen Fettnäpfchen zu entgehen, habe ich mir nun ein amerikanisches Wörterbuch angeschafft - sicher ist sicher! Darin finde ich nicht nur treffsicher alle Vokabeln und die korrekte Kaugummi-Aussprache, sondern auch Umrechnungstabellen von Maßeinheiten. Ich glaube, so langsam habe ich drauf, bei wieviel Grad Fahrenheit ich das T-Shirt oder doch besser die Daunenjacke anziehen sollte, aber spätestens bei inch, foot und gallon muss ich kapitulieren.
Chicago Top 10
Nach meiner Ankunft in Chicago habe ich genau 7 Tage Freizeit, um die Stadt zu erkunden. Da es in Chicago so wahnsinnig viel zu sehen gibt, lohnt es sich, etwas planvoll an die Sache heranzugehen, wenn nicht alles komplett in Stress ausarten soll (was es wahrscheinlich ohnehin wird, weil ich von Museum zu Wolkenkratzer und von Theaterstück zu Football-Spiel hasten werde...). Es ist mir nicht leichtgefallen, aber ich habe mir eine Prioritätenliste zusammengestellt, die ich in jedem Fall "abarbeiten" möchte. Selbst wenn es nicht in der ersten Woche klappt - es wird innerhalb von vier Monaten auch noch ein paar Wochenenden geben, schätze ich. Einige Sehenswürdigkeiten habe ich bewusst ausgelassen (wie die Magnificent Mile und den Navy Pier), weil ich die gar nicht verpassen kann, wenn ich in Chicago lebe. Und hier ist sie nun, meine Chicago Top 10:
10. Deutsches Viertel in Lincoln Square:Wenn mich das Heimweh oder die Lust nach gutem deutschen Körnerbrot allzusehr überkommt, dann werde ich in diesem kleinen deutschen Viertel vorbeischauen. Im Oktober wird es beim Chicagoer "Oktoberfest" wahrscheinlich ohnehin viel mehr "Heimat" geben als mir lieb ist.
9. Gangster-Tour:Ja, zugegeben, hier kommt der Tourist in mir durch. Aber wer würde schon die Stadt der Gangster besuchen, ohne auf den Spuren von Al Capone und Co. wandeln zu wollen? So leben die "Roaring Twenties" wieder auf.
8. Chicago Shakespeare-Theater:Ein Traum. Ohne Worte. Das muss unbedingt sein.
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