Bald waren alle Schachteln und Möbel in der Wohnung und Alwin fuhr auf den Hof zurück. Doro kochte für Viki und sich selbst Nudeln mit Käse und Gurkensalat. Nach dem Essen ging sie vors Haus, um das kümmerliche Blumenbeet auf Vordermann zu bringen. An Pflanzen fehlte es nicht, nur leider wurde das meiste von Unkraut überwuchert. „Viki, komm, du kannst mir mit dem Traktor den Kompost wegführen“, lockte sie ihren Sohn ins Freie. Das ließ sich Viktor nicht zweimal sagen.Der große Spielzeugtraktor zum Treten war sein ganzer Stolz. Er hatte ihn von seinem Vater zum fünften Geburtstag im Juni bekommen. Richard zahlte die Alimente pünktlich und der Bub bekam immer zum Geburtstag und zu Weihnachten ein Geschenk, aber mehr Kontakt wollte er nicht. Im Moment war Viki damit zufrieden und erzählte jedem stolz, dass er den Traktor von seinem Vater habe. Mit flinken, geübten Fingern riss Doro Unkraut aus und warf es in einen Eimer, den sie im Abstellraum gefunden hatte. Viki kippte den Inhalt des Eimers auf seinen Anhänger und führte ihn zu dem Komposthaufen an der Grenze zum Kindergartengrundstück, wo Theo auch den Rasenschnitt hingeworfen hatte. Von ihm war zum Glück nichts mehr zu sehen und sein Fahrrad war auch weg. Doro hatte kein Bedürfnis, ihm so schnell wieder zu begegnen. Wie immer beruhigte und erfreute sie die Arbeit mit den Blumen. „Bald geht es dir besser, meine Schöne“, raunte sie leise einem Fleißigen Lieschen zu, während sie behutsam die Erde auflockerte und die zarten Triebe zurücklegte. Zwischendurch lobte sie Viki, der seinen Job als Gärtner sehr ernstnahm. Als alles Unkraut entfernt und entsorgt war, wusch Viki mit der kleinen Plastikgießkanne seinen Traktor und Doro düngte ihr Blumenbeet. Im Abstellraum hatte auch ein Sack mit Blumendünger gestanden. Zufrieden betrachtete Doro ihr Werk und schaute dann lächelnd ihrem kleinen Sohn zu. „Magst du ein Glas Milch und ein Marmeladebrot?“, fragte sie ihn. „Himbeermarmelade?“, wollte er wissen. „Ja, frisch von heute Vormittag.“ Viki nickte begeistert. Geschickt parkte er sein Fahrzeug unter dem kleinen Dach vor der Tür und folgte seiner Mutter ins Haus. Diese stellte Brot, Butter und Marmelade auf den Tisch und schenkte ihnen beiden ein Glas Milch ein. Zu Hause aßen sie immer um halb fünf Uhr eine Jause, bevor sie in den Stall gingen und so würde es wahrscheinlich auch bleiben, dachte Doro. Für Viki war das zugleich sein Abendessen und sie selbst würde später noch eine Tasse Tee oder Kakao trinken und eine Kleinigkeit essen.
Doro spülte gerade das Geschirr, als es an der Haustür klingelte. „Holla“, ertönte gleich darauf eine Männerstimme. „Doro, bist du da?“ Nachdem die alten Häuser keine Haustürglocken hatten und die Türen fast nie verschlossen waren, klopften die Leute für gewöhnlich nur an, traten ein und riefen, um sich bemerkbar zu machen. Als sie aus der Küche trat, stand Franz, der Gemeindearbeiter, im Wohnzimmer. Doro konnte ihn gut leiden. Neben seiner Arbeit für die Gemeinde betrieb er mit seiner Frau Alma eine kleine Landwirtschaft. Er und Alwin halfen sich öfter gegenseitig aus. „Tag Franz“, begrüßte ihn Doro. „Franz, komm, ich zeig dir mein Zimmer“, brüllte Viki, sobald er den Besucher erblickte und zerrte ihn schon Richtung Schlafzimmer. Im Moment standen das Bett und eine Kommode mitten im Zimmer. „Hier schlafe ich und da malt mir Mama ein großes Schiff“, erklärte der Kleine stolz und deutete auf die Wand neben der Tür. „Gut, gut“, nickte Franz, „deine Mama macht das bestimmt ganz prächtig, wo sie doch eine richtige Künstlerin ist.“ „Na ja, ich weiß nicht“, wehrte Doro leicht verlegen ab, „normalerweise male ich nicht in dieser Größe. Aber im Notfall übermalen wir es eben.“ „Wie willst du denn die Wände?“, erkundigte sich Franz. „Die eine hellblau und die anderen weiß“, meinte Doro. „Nein, alle blau. Blau ist meine Lieblingsfarbe“, rief Viki und seine Mutter zuckte die Achseln. „Gut, dann alles blau.“ Franz runzelte die Stirn: „Du musst Viki nicht immer seinen Willen lassen.“ „Es ist sein Zimmer. Er soll sich wohlfühlen.“ Viki verlor das Interesse an seinem Zimmer und zog Franz weiter. „Komm, ich zeig dir Mamas Zimmer.“ Als Franz den kleinen Raum sah, den Doro für sich selbst vorgesehen hatte, verfinsterte sich sein Gesicht, aber er sagte nichts mehr. „Dieses hier weiß und das nächste auch, wenn es geht“, bat Doro. „Freilich geht es“, sagte Franz und schwang Viki hoch über seinen Kopf, bis der Kleine jauchzte. Er kannte die beiden und wusste, dass es kaum möglich war, in Ruhe ein paar Worte mit Doro zu wechseln, wenn ihr Sohn in der Nähe war. Sie war völlig machtlos, wenn er alle Aufmerksamkeit für sich beanspruchte. Franz, der selbst drei Kinder hatte, wusste sich zu helfen. „Sonst noch etwas?“, fragte er und sah sich um. Die großgemusterte, braun-beige Tapete im Wohnzimmer war scheußlich und er rümpfte die Nase. „Die musst du leider zuerst herunterreißen, bevor wir malen können.“ Doro nickte und winkte ab: „Im Moment habe ich keine Zeit dafür. Vor der Hochzeit gibt es noch viel Arbeit.“ „Gut, dann bis morgen, ihr beiden“, sagte Franz, stellte Viki zurück auf den Boden und ging.
Doro spazierte mit Vikizum Hof, um frische Milch zu holen. Anschließend setzte sie ihn in die Badewanne, ließ ihn eine Weile planschen und brachte ihn dann zu Bett. Nach diesem ereignisreichen Tag fielen ihm gleich die Augen zu und er schlief sogar ohne Gutenachtgeschichte ein. „Doro beugte sich über ihn und küsste ihn zärtlich auf die Stirn. „Schlaf gut, mein Schatz“, flüsterte sie. Im Badezimmer füllte sie die Wanne mit heißem Wasser etwas auf, gab noch ein wenig Kinderschaumbad dazu und blieb im Wasser liegen, bis es kalt wurde und sie zu frösteln begann. Dann schlüpfte sie in ihren alten Frotteebademantel und ging in die Küche, um sich Kakao zu kochen. Während sie die Milch erhitzte, schlug Doro sie mit dem Schneebesen schaumig, denn mit einer kleinen Schaumkrone schmeckte der Kakao nochmal so gut. Dann schaltete sie das kleine Radio ein und suchte nach der Schachtel mit den Malutensilien. Auf der Suche nach einer Verdienstmöglichkeit hatte sie begonnen, kleine Ölbilder mit Motiven aus der Gegend zu malen. Luis machte ihr helle Holzrahmen dazu und Annegret im Souvenirladen verkaufte sie. Auch Karten mit Blumenmotiven ließen sich gut verkaufen. Doro hatte immer schon gerne gemalt und dass sie jetzt sogar Geld damit verdienen konnte, freute sie besonders. In den letzten beiden Jahren, als sie kein Karenzgeld mehr bekommen hatte, war sie sehr froh darum gewesen. Zu Hause hatte sie für Kost und Unterkunft gearbeitet. Mit der Kinderbeihilfe und den Alimenten, die Vikis Vater zahlte, musste sie alle sonstigen Ausgaben bestreiten, also war ihr jedes zusätzliche Verdienst willkommen. Doro suchte einige Postkarten aus, von denen sie ihre Motive abmalte und vertiefte sich in die Arbeit. Sobald sie malte, vergaß sie alles um sich herum und als sie zufällig auf die alte Küchenuhr schaute, war es schon nach Mitternacht. Sie streckte ihren schmerzenden Rücken und rieb sich die Augen. Vier kleine Bilder lagen fertig zum Trocknen auf dem Tisch. Flink säuberte sie die Pinsel mit Terpentin, formte die Borsten sorgfältig zu Spitzen und ging ins Badezimmer.
Am Morgen war sie ein wenig benommen, als Viki sie um halb sechs Uhr weckte, aber ein Blick auf den Wecker zeigte ihr, dass es Zeit war, aufzustehen. Sie hatte Alwin versprochen, ihm bei der Heuarbeit zu helfen. Vorher wollte Viki noch sein Frühstück und sie musste zum Bäcker, um frisches Brot für Franz zu holen. Kurz vor sieben kam dieser mit Farbe, Leiter und Rollen. Doro sagte ihm, er solle sich Brot, Butter und Käse nehmen, wenn er Hunger habe, und ging mit Viki zum Hof. „Lass die Haustür einfach offen, wenn du gehst, bevor ich zurück bin“, rief sie ihm noch zu und war weg.
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