Als er satt und zufrieden wieder eingeschlummert war, legte sie Antonia an ihre Brust. Georg hatte währenddessen seinen Sohn auf dem Arm und konnte sein Glück immer noch nicht fassen.
»Griseldis hat den ersten Schreck überwunden und uns zum Abendmahl eingeladen. Wir sollen die Babys mitbringen. Meinst du, das ist eine gute Idee?«
»Sie wird sich früher oder später daran gewöhnen müssen, dass wir unsere Kinder zu Besuchen dabei haben werden.« Besser früher als später, dachte sie bei sich.
»Ich würde den beiden wirklich von Herzen wünschen, dass auch sie bald Eltern werden. Dann könnten unsere Kinder gemeinsam aufwachsen.«
Als Georg die Gedanken aussprach, lächelte seine Frau.
»Ja, stell dir vor, wie es später sein wird, wenn unsere Söhne das Geschäft einmal weiterführen. Aber bis es so weit ist, müssen diese beiden fürs Erste neue Windeltücher bekommen.«
Sie rümpfte die Nase und machte sich daran, zuerst der Kleinen und dann ihrem Sohn die Windeln zu wechseln.
»Vielleicht könnten wir die Tochter des Tuchmachers, Michis Schwester Lena, in unsere Dienste nehmen. Sie ist jetzt sieben Jahre alt, also alt genug, um arbeiten zu gehen.«
Georg nickte. »Ich werde gleich morgen nach der Frühmesse mit Meister Michael darüber sprechen. Das ist eine gute Idee.«
Nach der Abendmesse traten Georg und Agnes, jeder mit einem Säugling auf dem Arm, in die Wohnkammer, in der Griseldis schon den Tisch festlich gedeckt hatte. Auf dem Herdfeuer schmorte der Lammbraten und verbreitete einen köstlichen Duft. Das Aroma von frischgebackenem Brot mischte sich mit den anderen Gerüchen.
Griseldis rührte noch einmal mit dem Kochlöffel in der Bratensoße, dann wandte sie sich ihrem Besuch zu.
»Es tut mir wirklich leid wegen heute Morgen. Ich war nicht darauf vorbereitet und selbst wenn, ich möchte ein Kind in den Armen wiegen, das ich unter meinem Herzen getragen habe. Aber ich freue mich für euch beide und bin gern für euch da, wenn ihr mich braucht.«
Agnes platzierte den kleinen Konrad, den sie zum Aufstoßen an die Schulter gelegt hatte, in Griseldis Arm.
»Gut, du kannst gern schon mal damit anfangen, ich bin so unbeschreiblich müde. Da trifft es sich gut, dass du nur ein Haus weiter wohnst. Ich werde wahrscheinlich öfter auf dein Angebot zurückkommen, als dir lieb ist, Tante Griseldis.«
Tante Griseldis ... das klang ungewohnt – ungewohnt aber gut. Ja, auch wenn sie nicht bald selbst Mutter werden würde, so in jedem Fall doch die beste Tante der Stadt. Der dicke Georg, der die Szene beobachtet hatte, nahm seinem Schwager das Mädchen ab und meinte, dass Oheime genauso wichtig wären wie Basen.
Der dünne Georg war froh über die ungezwungene Atmosphäre. Er hatte dem Abend mit gemischten Gefühlen entgegen gesehen.
Die beiden Frauen brachten die Säuglinge nach nebenan, legten sie auf die Schlafstatt und deckten sie mit Wolldecken zu. Sie schlossen die Tür zur Schlafkammer nicht vollständig, bevor sie sich zum Essen an die festlich gedeckte Tafel setzten.
In der Mitte des Tisches stand eine Holzvase mit Osterglocken. Der dicke Georg schnitt Scheiben aus dem frischgebackenen noch warmen Brot, während Griseldis den Braten auftat.
Nach dem Abendessen tranken die vier jungen Leute den Rotwein, den der dicke Georg auf dem Eisenacher Markt erstanden hatte. Gemeinsam schmiedeten sie Pläne, welche Aufträge sie in der kommenden Zeit in welche Stadt führen würden
Als der kleine Konrad schreiend wach geworden war, ging Agnes seufzend nach nebenan, um ihren Sohn zu füttern. Nachdem Griseldis, deren Wangen von dem Wein eine rote Farbe angenommen hatten, den Tisch abgeräumt hatte, folgte sie ihrer Schwägerin in die Schlafkammer.
»Darf ich ihn noch einmal halten?«, fragte Griseldis, als Agnes den Jungen fertig gestillt hatte.
Erleichtert reichte die frischgebackene Mutter Griseldis den Säugling, denn auch Antonia war wach geworden und musste gefüttert werden.
»Am späten Nachmittag war die alte Josepha noch einmal bei mir und hat Kräuter für den Milchfluss dagelassen. Vielleicht solltest Du sie wirklich irgendwann aufsuchen.«
Griseldis überlegte schon seit Tagen, ob sie die Kräuterfrau um Hilfe bitten sollte. Einige der Nachbarn erzählten aber hinter vorgehaltener Hand, dass sie eine Hexe sei. Deshalb hatte sie den Weg zu der Alten bisher gescheut. Allerdings hatte sie Agnes schon während der Schwangerschaft beigestanden und sie selbst hatte nichts Ungewöhnliches beobachtet. Ja, sie würde die Kräuterfrau aufsuchen, denn sie wünschte sich nichts sehnlicher als ein Baby.
In zwei Tagen wollen ihr Mann und ihr Bruder Waren nach Salza auf den Markt bringen, dann würde sie in die Vorstadt, Sankt Georgii, gehen und die Alte um Hilfe bitten.
Bruder Jordan beendete gerade seine Gebete in der Blasienkirche und wollte sich auf den Weg zurück ins Antoniushospital machen, als Bruder Anselm auf ihn zutrat.
»Der Komtur hat sich nach der Edelfreien und dem Säugling erkundigt und wünscht einen Bericht von dir. Hast Du denn eine Amme für die Kleine gefunden?«
»Agnes, die Frau von Georg, dem Fuhrmann, hat vor zwei Tagen einen Jungen zu Welt gebracht. Sie wird die Amme und – so Gott will – auch die Mutter für das winzige Wesen. Die leibliche Mutter wird morgen beerdigt. Ihre Kleider habe ich in ein Bündel gepackt. Ich werde sie nach dem Begräbnis zu Agnes bringen, damit sie sie für die kleine Antonia aufbewahrt. So wird sie ein Andenken an ihre Mutter haben. In einer Innentasche des Mantels habe ich eine goldene Kette mit einem Medaillon gefunden, in das ein Pferd mit langem Schweif eingraviert ist. Ich habe die Kette mit dem Anhänger in ein Holzkästchen gelegt und zu den Kleidern getan. Agnes wird ihr die Sachen geben, wenn die Kleine alt genug ist, die dramatischen Umstände ihrer Geburt zu verstehen.«
Schweigend passierten die beiden Mönche die Pforte der Blasienkirche. Während Bruder Anselm auf dem Weg in die Küche des Antoniushospitals war, ging Bruder Jordan zu einem der Sariantbrüder des Ordenshauses gegenüber der Kirche, damit dieser ihn bei Rupert von Nordhausen, dem Komtur des Deutschen Ordens in der Altstadt, meldete.
Als der Mönch die Kammer des Ordensvorstehers betrat, blickte er sich verstohlen um. Noch nie zuvor war er zum Komtur gerufen worden.
Der Raum war gemütlich eingerichtet. In einem offenen Kamin in der Ecke brannte ein Feuer. Es erwärmte und beleuchtete die Kammer zugleich. Auf dem steinernen Boden lag ein riesiger Teppich und die weiß getünchte Lehmwand zierte ein mit Edelsteinen besetztes Schwert in seiner Scheide. Die Flammen des Feuers spiegelten sich in ihr wieder. An der gegenüberliegenden Wand hing ein großes Holzkreuz mit der Figur des gekreuzigten Gottessohnes. Darin eingraviert war der Schriftzug INRI zu lesen. Die schweren dunkelgrünen Samtvorhänge waren bereits zugezogen.
Es geschah selten, dass der Ordensvorsteher Besuch in seinen Gemächern empfing. Aber die Angelegenheit sollte in aller Vertrautheit besprochen werden und nicht vor den Ohren der Mitbrüder. Jordan trat vor das Kreuz, sprach ein kurzes Gebet und schaute dann fragend zu dem Komtur. Dieser, ein etwa fünfundvierzigjähriger kräftiger Mann mit schulterlangem dunklen Haar und ordentlich gestutztem ebenso schwarzen Vollbart, stellte seinen Pokal auf den Tisch und forderte den Mönch mit kalter Stimme auf, alle Einzelheiten der letzten beiden Tage mitzuteilen.
Als der Ordenspriester den Bericht beendet hatte, räusperte sich der Komtur.
»Ich werde Erkundigungen in den umliegenden Klöstern und Burgen einholen, ob in den letzten Wochen eine junge Edelfreie vermisst wurde. Vielleicht klärt sich diese leidige Angelegenheit doch noch zu aller Zufriedenheit auf. Bis dahin ist das Balg wohl in der Familie des Fuhrmannes gut aufgehoben. Ich möchte nicht, dass das Mädchen und ihre Verbindung zu unserem Orden zum Stadtgespräch werden. Ich vertraue also darauf, dass du, Bruder Anselm, die Kräuterhexe und auch die Fuhrleute Stillschweigen bewahren. Sollten irgendwelche Gerüchte verbreitet werden, dann, dass das Mädchen das Kind einer nahen Verwandten sei. Ich habe dem Burgvogt von den Umständen berichtet und er wird ebenfalls Erkundigungen einziehen.«
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