»Ich bin auch gleich da, wo ich hin muß«, entgegnete die
Barbel; »ich habe mit der Geißenpeterin zu reden, sie spinnt mir
im Winter. So leb wohl, Dete; mit Glück!«
Dete reichte der Begleiterin die Hand und blieb stehen,
während diese der kleinen, dunkelbraunen Almhütte zuging, die
einige Schritte seitwärts vom Pfad in einer Mulde stand, wo sie
vor dem Bergwind ziemlich geschützt war. Die Hütte stand auf
der halben Höhe der Alm, vom Dörfli aus gerechnet, und daß sie
in einer kleinen Vertiefung des Berges stand, war gut, denn sie
sah so baufällig und verfallen aus, daß es auch so noch ein
gefährliches Darinwohnen sein mußte, wenn der Föhnwind so
mächtig über die Berge strich, daß alles an der Hütte klapperte,
Türen und Fenster, und alle die morschen Balken zitterten und
krachten. Hätte die Hütte an solchen Tagen oben auf der Alm
gestanden, sie wäre unverzüglich ins Tal hinabgeweht worden.
Hier wohnte der Geißenpeter, der elfjährige Bube, der
jeden Morgen unten im Dörfli die Geißen holte, um sie hoch auf
die Alm hinaufzutreiben, um sie da die kurzen kräftigen Kräuter
fressen zu lassen bis zum Abend; dann sprang der Peter mit den
leichtfüßigen Tierchen wieder herunter, tat, im Dörfli
angekommen, einen schrillen Pfiff durch die Finger, und jeder
Besitzer holte seine Geiß auf dem Platz. Meistens kamen kleine
Buben und Mädchen, denn die friedlichen Geißen waren nicht zu
fürchten, und das war denn den ganzen Sommer durch die
einzige Zeit am Tage, da der Peter mit seinesgleichen verkehrte;
sonst lebte er nur mit den Geißen. Er hatte zwar daheim seine
Mutter und die blinde Großmutter; aber da er immer am Morgen
sehr früh fort mußte und am Abend vom Dörfli spät heimkam,
weil er sich da noch so lange als möglich mit den Kindern
weil er sich da noch so lange als möglich mit den Kindern
unterhalten mußte, so verbrachte er daheim nur gerade so viel
Zeit, um am Morgen seine Milch und Brot und am Abend
ebendasselbe hinunterzuschlucken und dann sich aufs Ohr zu
legen und zu schlafen. Sein Vater, der auch schon der
Geißenpeter genannt worden war, weil er in früheren Jahren in
demselben Berufe gestanden hatte, war vor einigen Jahren beim
Holzfällen verunglückt. Seine Mutter, die zwar Brigitte hieß,
wurde von jedermann um des Zusammenhangs willen die
Geißenpeterin genannt, und die blinde Großmutter kannten weit
und breit alt und jung nur unter dem Namen Großmutter.
Die Dete hatte wohl zehn Minuten gewartet und sich nach
allen Seiten umgesehen, ob die Kinder mit den Geißen noch
nirgends zu sehen seien; als dies aber nicht der Fall war, so stieg
sie noch ein wenig höher, wo sie besser die ganze Alm bis
hinunter übersehen konnte, und guckte nun von hier aus bald
dahin, bald dorthin mit Zeichen großer Ungeduld auf dem
Gesicht und in den Bewegungen. Unterdessen rückten die
Kinder auf einem großen Umwege heran, denn der Peter wußte
viele Stellen, wo allerhand Gutes an Sträuchern und Gebüschen
für seine Geißen zu nagen war; darum machte er mit seiner
Herde vielerlei Wendungen auf dem Wege. Erst war das Kind
mühsam nachgeklettert, in seiner schweren Rüstung vor Hitze
und Unbequemlichkeit keuchend und alle Kräfte anstrengend. Es
sagte kein Wort, blickte aber unverwandt bald auf den Peter,
der mit seinen nackten Füßen und leichten Höschen ohne alle
Mühe hin- und hersprang, bald auf die Geißen, die mit den
dünnen, schlanken Beinchen noch leichter über Busch und Stein
dünnen, schlanken Beinchen noch leichter über Busch und Stein
und steile Abhänge hinaufkletterten. Auf einmal setzte das Kind
sich auf den Boden nieder, zog mit großer Schnelligkeit Schuhe
und Strümpfe aus, stand wieder auf, zog sein rotes, dickes
Halstuch weg, machte sein Röckchen auf, zog es schnell aus und
hatte gleich noch eins auszuhäkeln, denn die Base Dete hatte ihm
das Sonntagskleidchen über das Alltagszeug angezogen, um der
Kürze willen, damit niemand es tragen müsse. Blitzschnell war
auch das Alltagsröcklein weg, und nun stand das Kind im
leichten Unterröckchen, die bloßen Arme aus den kurzen
Hemdärmelchen vergnüglich in die Luft hinausstreckend. Dann
legte es schön alles auf ein Häufchen, und nun sprang und
kletterte es hinter den Geißen und neben dem Peter her, so leicht
als nur eines aus der ganzen Gesellschaft. Der Peter hatte nicht
achtgegeben, was das Kind mache, als es zurückgeblieben war.
Wie es nun in der neuen Bekleidung nachgesprungen kam, zog er
lustig grinsend das ganze Gesicht auseinander und schaute
zurück, und wie er unten das Häuflein Kleider liegen sah, ging
sein Gesicht noch ein wenig mehr auseinander, und sein Mund
kam fast von einem Ohr bis zum anderen; er sagte aber nichts.
Wie nun das Kind sich so frei und leicht fühlte, fing es ein
Gespräch mit dem Peter an, und er fing auch an zu reden und
mußte auf vielerlei Fragen antworten, denn das Kind wollte
wissen, wie viele Geißen er habe und wohin er mit ihnen gehe
und was er dort tue, wo er hinkomme. So langten endlich die
Kinder samt den Geißen oben bei der Hütte an und kamen der
Base Dete zu Gesicht. Kaum aber hatte diese die
herankletternde Gesellschaft erblickt, als sie laut aufschrie:
herankletternde Gesellschaft erblickt, als sie laut aufschrie:
»Heidi, was machst du? Wie siehst du aus? Wo hast du deinen
Rock und den zweiten und das Halstuch? Und ganz neue Schuhe
habe ich dir gekauft auf den Berg und dir neue Strümpfe
gemacht, und alles fort! alles fort! Heidi, was machst du, wo hast
du alles?«
Das Kind zeigte ruhig den Berg hinunter und sagte: »Dort!«
Die Base folgte seinem Finger. Richtig, dort lag etwas und oben
auf war ein roter Punkt, das mußte das Halstuch sein.
»Du Unglückstropf!« rief die Base in großer Aufregung;
»was kommt dir denn in den Sinn, warum hast du alles
ausgezogen? Was soll das sein?«
»Ich brauch' es nicht«, sagte das Kind und sah gar nicht
reuevoll aus über seine Tat.
»Ach du unglückseliges, vernunftloses Heidi, hast du denn
auch noch gar keine Begriffe?« jammerte und schalt die Base
weiter; »wer sollte nun wieder da hinunter, es ist ja eine halbe
Stunde! Komm, Peter, lauf du mir schnell zurück und hol das
Zeug, komm schnell und steh nicht dort und glotze mich an, als
wärst du am Boden festgenagelt.«
»Ich bin schon zu spät«, sagte Peter langsam und blieb,
ohne sich zu rühren, auf demselben Fleck stehen, von dem aus
er, beide Hände in die Taschen gesteckt, dem
Schreckensausbruch der Base zugehört hatte.
»Du stehst ja doch nur und reißest deine Augen auf und
kommst, denk' ich, nicht weit auf die Art!« rief ihm die Base
Dete zu; »komm her, du mußt etwas Schönes haben, siehst du?«
Dete zu; »komm her, du mußt etwas Schönes haben, siehst du?«
Sie hielt ihm ein neues Fünferchen hin, das glänzte ihm in die
Augen. Plötzlich sprang er auf und davon auf dem geradesten
Weg die Alm hinunter und kam in ungeheuren Sätzen in kurzer
Zeit bei dem Häuflein Kleider an, packte sie auf und erschien
damit so schnell, daß ihn die Base rühmen mußte und ihm
sogleich sein Fünfrappenstück überreichte. Peter steckte es
schnell tief in seine Tasche, und sein Gesicht glänzte und lachte in
voller Breite, denn ein solcher Schatz wurde ihm nicht oft zuteil.
»Du kannst mir das Zeug noch tragen bis zum Öhi hinauf,
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