Widmar Puhl
Bautz!
Anstöße zum Selberdenken
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Widmar Puhl Bautz! Anstöße zum Selberdenken Dieses ebook wurde erstellt bei
Vorwort
Einfache Dinge
Armut und Würde
Öffentliches Lügen
Zwischenbilanz mit 40
Zeitdiebe
Kultur aus zweiter Hand?
Das neue Menschenbild
Was taugt „Tugend“?
Mein Umweltschutz
Die Tücken der Technik
Kleine Typologie des Fans
Organisierter Humor und Exzess
Christen und Muslime
Biorhythmen, die Uhr der Schöpfung
Über den Tod
Impressum neobooks
Liebe ist der letzte Grund unseres Daseins, Liebe das höchste Ziel. Aber dass wir trotzdem sterben müssen, wirft Fragen auf. Immer wieder diese schmerzhaften Verluste und Abschiede: von glücklichen Tagen, Wünschen, geliebten Lebewesen und Dingen. Warum müssen wir so etwas ertragen und wie können wir das überhaupt? Berührt uns Schönheit nicht vor allem deshalb so sehr, weil sie vergänglich ist? Was sind denn Kunst, Poesie, Musik und Wissenschaft anderes als Versuche, das Leben zu verstehen, das Flüchtige zu halten, all das Kostbare zu bewahren und zu teilen, das uns begegnet? Doch das Leben besteht nicht nur aus Liebe. Immer wieder fallen wir dabei auf die Nase: Bautz! Aber man kann daraus auch lernen.
Wer bin ich? Wo kommen wir her, wo gehen wir hin, was ist der Sinn des Lebens? In einem hektischen, schnell-lebigen Alltag gehen wichtige Fragen leicht unter. Gut wäre daher ein Innehalten, Entschleunigen und Nachdenken, wenn wir die Lebensfreude nicht verlieren und das Wichtigste nicht versäumen wollen. Dazu will ich mit diesem Buch einladen.
Philosophie muss nicht immer als Schwergewicht daherkommen. Der Philosoph ist ja im griechischen Sinn des Wortes ein „Freund der Weisheit“ - nicht etwa des Komplizierten. Die Fragen nach dem Warum zielen aber oft in schwierige Zusammenhänge, die ich erstens mit Nachdenken und zweitens allgemein verständlich beantworten möchte. Welche Bedeutung haben gesundes Essen, reines Wasser oder saubere Luft? Wieso ist Armut ein Problem für die Menschenwürde? Wie können wir wieder zu einem ehrlichen Reden in der Öffentlichkeit zurückfinden, das viele so schmerzlich vermissen? Was kaqnn ich dagegen tun, dass mir neue Medien und Techniken im Alltag nicht helfen, sondern zum Stressfaktor werden? Wo kann ich ganz konkret etwas für den Umweltschutz tun, statt nur zu reden? Wieso haben wir immer mehr das Gefühl, Kultur nur noch aus zweiter Hand zu erleben – aus Konserven? Es geht aber nicht nur um schlaue Analysen, sondern auch darum, etwas zu verbessern. Ich möchte Mut machen, es einfach zu tun. Glücksmomente, Feiern, sogar Leidenschaft sind möglich. Selbst im Angesicht von Hunger, Krieg und Zerstörung darf und muss Raum für Lebenswille und Lebensfreude sein.
Sogar das friedliche Miteinander der so gegensätzlichen Weltreligionen lässt sich aus der Geschichte lernen: Es gab immer schon gleichzeitig überzeugende Formen der Koexistenz und unvorstellbar grausame Idioten. Die biologische Uhr tickt, das Leben ist endlich – und damit selbst die menschliche Dummheit, von der Albert Einstein sagt, sie sei unendlich wie das Universum. So zeigen die Kleinigkeiten, aus denen das Leben besteht, dass wir alle in große Zusammenhänge gehören. Das macht vielleicht nicht immer glücklich, aber Einsicht kann durchaus Zufriedenheit erzeugen: den Frieden, den wir so gern mit uns selbst und der Welt machen möchten. Dazu kann es manchmal hilfreich und notwendig sein, rebellisch zu werden, weil sich etwas ändern muss, das so nicht bleiben darf. Der Blick für das Große schärft sich gut im Kleinen. Das heißt für mich, achtsam zu sein, furchtlos und aufrecht durchs Leben zu gehen: ganz ich selbst.
Wenn die Frauen in dem kleinen Dorf Benningen am Neckar ihr Backofenfest feiern, bekommen wir ein ganz besonderes Brot. Wir haben Freunde dort, und die sind Mitglieder in einem Verein, der eigens gegründet wurde, um das alte Backhaus im Dorf wieder herzurichten. Gemeinsam haben sie das geschafft, und gemeinsam backen sie jetzt auch wieder – auf die gute alte Art und Weise, wie das früher auf dem Land immer üblich war.
Wenn wir einen dieser großen, dunkelbraunen Laibe mit der dicken Kruste aufschneiden, duftet es wunderbar. So ein Brot, das kann ich mit jedem Bissen schmecken, hält Leib und Seele zusammen. Was da in Benningen gepflegt wird, ist nicht bloß Nostalgie, sondern eine große sinnliche Erfahrung – und die Ehrfurcht vor dem Brot.
„Im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot essen“ – dieser Satz aus dem Alten Testament ist die bitterste Folge der Vertreibung der Menschen aus dem Paradies. Was für eine Geschichte hat das Brot seitdem gesehen! „Und sie erkannten einander am Brotbrechen“: Für die Christen ist Brot etwas Heiliges. Das Sakrament des Abendmahls, geheimnisvolles Zeichen für den unsterblichen Leib Jesu Christi, ist ein sichtbarer Ausdruck für den unsichtbaren Glauben an ein ewiges Leben. Zum Passahfest, in Erinnerung an die Flucht aus Ägypten, essen die Juden jedes Jahr Matzen, das ungesäuerte Brot, das haltbare, einfache Brot für die Reise. Das Brot ist Leben.
Brot für die Welt: Engagierte Menschen geben sich viel Mühe, um diese einfache, aus Mehl im Ofen gebackene Speise aus der alltäglichen Gleichgültigkeit herauszulösen. Wir sind ja meistens so satt, dass das Herstellen echter Aufmerksamkeit für ein drängendes Problem eine schwere Arbeit sein kann. Wir vergessen entsetzlich schnell; sogar die ausgemergelten Kindergesichter aus Äthiopien, Somalia oder dem Sudan, deren glasige Augen nicht einmal mehr um Brot bitten können. Die flehend ausgestreckten Hände verzweifelter Mütter mit vertrockneten Brüsten: Bilder, die uns fast täglich ins Wohnzimmer flimmern. Denken wir noch darüber nach? Ich ertappe mich dabei, wie ich diese Bilder beiseite dränge, wegschiebe. Es gibt ja so viel Wichtiges zu tun, was mich bedrängt und was mir viel näher ist. Gleichgültigkeit ist auch eine Schutzmauer gegen das Elend der Welt.
Dabei bin ich im christlichen Glauben erzogen worden und weiß: Das Brot brechen, heißt teilen. Goethe hat geschrieben: „Wer nie sein Brot mit Tränen aß, / wer nie die kummervollen Nächte / auf seinem Bette weinend saß, / der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte“.
Zuckerbrot und Peitsche: Überfluss hier, Leid und Tod dort. Die Geschichte vom reichen Prasser und dem armen Lazarus aus dem Neuen Testament fällt mir ein, der die Krümel vom Tisch des Reichen erbat. Die Demütigung, das Leiden ums tägliche Brot. Welche Hungerhilfe füttert die Armee, die Bauern von ihren Äckern vertreibt? Hunger als Waffe, auch das ist so alt wie die Geschichte des Brotes. Hunger tut weh.
Mich schmerzen heute noch Bilder wie das Butterbrot im Papierkorb oder das verdorbene Saatgut im Straßengraben. Und trotzdem vergesse ich oft das Kleingeld für die „Aktion Restpfennig“, wenn ich eilig beim Bäcker bezahle. Dabei wäre echte Solidarität doch wohl etwas anderes als das Bekämpfen der Vergesslichkeit bei Pfennigbeträgen.
„Unser tägliches Brot gib uns heute“: Was bedeutet mir als Christ dieser Satz aus dem Vaterunser? Was bedeutet Brot überhaupt für mich? Ich hatte auch schon Angst ums tägliche Brot; aber wir haben diesen Begriff doch sehr ausgedehnt. Inzwischen gehört das Dach überm Kopf selbstverständlich dazu, vielleicht auch das Auto, der Fernseher und der Urlaub. Es fehlt oft nicht viel, und wir machen eine Blasphemie daraus, eine Gotteslästerung. Aus dem berechtigten Kampf ums tägliche Brot, den der Bauer vielleicht einmal gegen Dürre, Flut und Hagel führt, wird der erbitterte Konkurrenzkampf des modernen Höhlenmenschen in einer Wohlstands- und Ellenbogengesellschaft. Wie stehe ich dazu?
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