Wenigstens die Meier’sche ist zu Hause angekommen, dachte Bonnie und rieb sich den angeschlagenen Ellenbogen.
Jetzt war sie noch wütender, hielt sich jedoch nicht dabei auf, sich beruhigen zu wollen. Sie suchte nur grimmig nach dem Erscheinungsdatum der Zeitung. 22. Juli. Vier Tage nach ihrer Ankunft. Gut, dass Quentin dieses Schmierenblatt niemals zu Gesicht bekommen hatte. Fotograf und Schreiberling hätten sich wohl besser ihre Knochen nummerieren lassen. Sie dachte an seinen Faustschlag im Tiergarten und das verblüffte Gesicht des Strichers auf dem Boden.
»Perverses Schwein.« Es trieb ihr die Zornesröte in die Wangen, als sie sich vorstellte, wie seit zwei Monate diese Schülerzeitung durch die Hohenfurter Haushalte kursierte und die Gemüter infizierte wie die Pest. Wie sich die netten Bürger dieses idyllischen Städtchens hinter ihrem Rücken schadenfroh gekrümmt hatten, wenn Quentin und sie durch die Fußgängerzone schlenderten. Prinz und Thunfisch - da gehen sie. Dieser Artikel setzte allen Demütigungen, die sie bisher hatte erfahren müssen, die Krone auf. Nicht nur, dass dieser Schmierfink Quentin als skrupellosen Schürzenjäger darstellte - ausgerechnet Quentin! - und damit zweifellos Rufmord beging, auch sie selbst und vor allem ihre toten Eltern wurden aufs Gröbste beleidigt.
Als der Bus neben der Gutshofmauer abrupt stoppte und sie gegen den Sitz vor ihr schleuderte, freundete sie sich gerade mit der spontanen Idee an, der Schülerredakteur könnte eine Redakteurin gewesen sein. Eine unansehnliche Siebzehnjährige, die sich bis über beide Ohren in Quentin von Storkenburg, den Erben des Rittergutes Storkenburg, den großen gut aussehenden Jungen, der so gern lachte, verliebt hatte. Eine Siebzehnjährige mit verschwiemelten Augen und gebrochenem Herzen, die sich nach seiner unerwarteten Verheiratung rächen wollte. Oder der Bruder einer unansehnlichen, verschwiemelten und unglücklichen Siebzehnjährigen, der eine Art Vendetta betrieb. Oder ein Lehrer, der es satthatte, vor einer Klasse heulender Mädels zu stehen. Oder natürlich ein Vater, der sich schon darauf gefreut hatte, seine Tochter zum Traualtar zu führen und stattdessen nun kistenweise Papiertaschentücher kaufte. Wer auch immer es gewesen war, dieser jemand hatte eine sehr subtile Methode gewählt. Kein Stilett zwischen den Rippen, sondern ein Sprengsatz an Quentins Ehre. Eine sich verzweigende Lunte, die nach und nach Hunderte kleiner Sprengsätze zur Explosion brachte und sein Ansehen in den Köpfen der Hohenfurter wahrscheinlich schmälerte. Eine pyrotechnische Meisterleistung, die erst die Zeit zur vollen Entfaltung brachte.
Doch trotz aller Erklärungsversuche blieb die Wut. Eine hilflose Wut, nicht nur wegen des Fotos und der Schmierereien, sondern auch - oder vor allem - weil sie plötzlich aus so unerwarteter Richtung angegriffen wurde. Von den Hohenfurtern - Leuten, denen sie durchaus freundlich und aufgeschlossen entgegengekommen war, und die sie - sie gestand es sich ein - auch ein wenig belächelt hatte. Eben so wie eine Großstädterin über das betuliche Leben in einer Kleinstadt lächelt.
Als sie in der einsetzenden Dämmerung über das Kopfsteinpflaster des Gutshofes stolperte, am Anhänger von Malermeister Struck und Brutus‘ Stall vorbei, aus dem ein schwacher Lichtschimmer aufs Pflaster fiel, hielt sie die Lupe noch immer fest umklammert. Sie stopfte die Zeitung hastig in ihre Umhängetasche und nahm sich vor, das Geschmiere bei erstbester Gelegenheit im Kamin zu verbrennen. Es war nicht nötig, dass die Gräfin die Schmierereien ebenfalls in die Hand bekam.
Dann wappnete sie sich fürs Kommende und trat ins Haus.
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