Charlie Meyer - Killertime
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Charlie Meyer
Killertime
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Inhaltsverzeichnis
Titel Charlie Meyer Killertime Profiler Dylan Crispin ermittelt Dieses ebook wurde erstellt bei
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Impressum neobooks
1
Sie schrie nicht, aus Angst ihr Versteck zu verraten. Sie lief nicht weg. Sie saß einfach nur da und umklammerte krampfhaft ihre angezogenen Beine. Ihr nackter Körper zitterte unkontrolliert. Sie hatte seitlich ihre Unterlippe durchgebissen, und ein filigraner Blutfaden teilte ihr Kinn in zwei ungleiche Hälften.
Nebel stieg vom See auf, an dessen Ufer ihr Zelt stand. Selbst auf die Entfernung und im fahlen Licht konnte sie die zerfetzte Plane erkennen. Hinter dem See reckte sich die schwarze gezackte Silhouette der Bäume in die graue Morgendämmerung, die sich im Osten rot zu färben begann.
Auf der Lichtung zwischen ihrem Versteck und dem Zelt lag Buran auf dem Rücken, ebenfalls nackt und mit ausgebreiteten Armen, Hände und Füße an Zeltheringe gebunden. Sie hatte die blanke Klinge des Skalpells zwischen den Fingern des Mörders aufblitzen sehen, als er sich über ihren Freund beugte, und jetzt war da diese dunkle Lache zwischen seinen gespreizten Beinen. Blut, das im Waldboden versickerte. Burans Blut, der sich unter den Händen des Mörders so schrecklich wand und aufbäumte, bevor er endlich starb. Sie hatte ihn vor Qualen gurgeln hören hinter seinem Knebel.
Verzweifelt sah sie sich um. Vom Mörder keine Spur. Als er auftauchte und zum Zelt hinüberging, war sie schon hier gewesen, am Waldrand hinter der dicken Buche. Sie war mit praller Blase aufgewacht und aus dem Zelt gehuscht, um in ihren Flipflops nackt quer über die Lichtung zum Waldrand zu laufen. Sie glaubte, ihr Herz mit beiden Händen festhalten zu müssen, damit es vor Glück nicht zerspringe. Das erste Mal, und es war überwältigender gewesen, als sie es sich je erträumt hatte.
Der Mörder hatte zugeschlagen, eben, als sie sich hinter die Buche hockte. Als sie aufsah, stand er neben dem Zelt und schlitze in einer einzigen, geschmeidigen Bewegung die Plane auf. Erst längs, dann quer. Dann waren Kopf, Arme und Schultern im Zelt verschwunden. Nur die Art, wie er die Beine weiter auseinanderstellte und das eine Mal, als er trotzdem fast die Balance verlor, zeugten von dem Kampf im Inneren des Zeltes.
Dreißig Sekunden lang? Eine Minute?
Ungläubig sah sie zu, mit offenem Mund und aufgerissenen Augen, während der Strahl ihres Urins aufs vermoderte Laub prasselte.
Auch als der Mörder sich wieder aufrichtete, Kopf und Arme aus dem zerschnittenen Zelt auftauchte, hockte sie noch immer hinter der dicken Buche, unfähig zu reagieren. Sie hatte zugesehen, wie er von vorn ins Zelt hineinkroch, und dann, wie er Buran an den Füßen herauszog und in die Mitte der Lichtung schleifte. Wie er ihm Arme und Beine an Zeltheringen fesselte, die er mit einem Hammer tief in den Boden trieb. Hammer und Heringe musste er mitgebracht haben, für ihr Zelt hatten sie weder das eine noch das andere gebraucht.
Sie hatte wie hypnotisiert zugesehen, wie der Mörder wartete, bis Buran wieder zu sich kam, um sich dann erst zwischen seine gespreizten Beine zu stellen, das Skalpell in der Hand.
In diesem Moment hatte sie ihn rufen hören. Halblaut und lockend, und sie hatte vor Furcht zu keuchen begonnen.
»Komm putt, putt, putt, putt. Komm Rosielein, komm zu mir Rosemarie, mein Täubchen, Rosalinde Schätzchen, komm mein Mädchen, komm zu Papa.«
Und das war schlimmer auszuhalten gewesen als alles andere.
Während er sie lockte, hatte er sich langsam gedreht, und mit seinen Blicken den Waldrand abgesucht. Er wusste, sie war da, aber offenbar nicht genau, wo. In diesem Moment war Buran aus der Bewusstlosigkeit nach den Faustschlägen wieder aufgewacht. Sie hatte gesehen, wie er an seinen Fesseln riss, wie er den Kopf hob, und dann, als sich der Mörder mit dem blitzenden Messer in der Hand über ihn beugte, wie er sich so furchtbar und stumm in seinen Fesseln aufgebäumt, als jage ein Defibrillator Stromstöße durch seine Brust.
Und sie war so dankbar gewesen, dass der Killer nicht mehr nach ihr rief, dass er den Blick abwandte und mit dem, was er tat, von ihr abgelenkt war. Buran wehtun und nicht ihr. Sie glaubte vor Scham sterben zu müssen, aber sie war so ihm so schrecklich dankbar, dass ihr schwindelig wurde.
Sie sah zu, wie der Mann, der ihr in dieser Nacht die Sterne vom Himmel geholt hatte, verstümmelt wurde. Sie sah zu, wie ihm der Mörder schließlich die Kehle durchschnitt, von einem Ohr zum anderen, und hätte jauchzen mögen vor Erleichterung, dass dieser Wahnsinnige nicht sie, sondern ihn quälte und umbrachte.
Sie wollte leben, hundert Jahre alt werden, und den Enkeln ihrer Enkel Gutenachtgeschichten erzählen. Nette Geschichten mit Zwergen und Elfen und Kobolden, die allerlei Schabernack trieben, aber niemandem etwas Böses antaten. Keine Albtraumgeschichten.
Nachdem all diese Gräuel vorbei waren, hatte sie die Stirn gegen die Knie gepresst, die sie noch immer mit beiden Armen umklammerte. Und während sie verzweifelt versuchte, sich eine nette, harmlose Geschichte mit Zwergen, Elfen und Kobolden auszudenken, hatte sie begonnen, sich hektisch vor und zurückzuwiegen.
Als sie sich getraut hatte wieder hinzusehen, war er verschwunden gewesen. Er. Der Mörder. Der Wahnsinnige, und nur Buran war noch dort in der Mitte der Lichtung. Nackt und blutig und gekreuzigt. Den blutüberströmten Hals mit der klaffenden Wunde überstreckt, der weit aufgerissene Mund eine einzige Anklage gegen sie.
Auf ihrer Internetseite kämpfte sie gegen das Abschlachten von Robben und Walen, prangerte den Völkermord in Ruanda an und forderte drakonische Strafen gegen die, die bei all dem wegsahen.
In der Realität kämpfte sie nicht einmal für den Menschen, den sie liebte. Schlimmer noch, nicht einmal für sich selbst.
Ein leises Wimmern entrang sich ihrer schmerzenden Kehle. Er war weg. Während sie unachtsam gewesen war, geträumt hatte, war der Verrückte irgendwo im Wald abgetaucht, sie zu suchen. Sie umzubringen. Warum war sie nicht weggelaufen, als er sich mit Buran beschäftigte? Warum versuchte sie es nicht jetzt?
Stattdessen blieb sie sitzen, wo sie war, nackt und zitternd, und als sie in ihrem Rücken das Knacken von Zweigen hörte, umklammerte sie ihre angewinkelten Beine nur noch fester und presste erneut die Stirn gegen die Knie.
»Hallo, mein süßes kleines Rosenblatt, Papa ist wieder da.«
2
»Niemals, und das ist mein letztes Wort«, entgegnete ich kategorisch und registrierte im Spiegel den Schatten und die dunklen Bartstoppeln auf meinem Kinn.
Es gibt Typen, die sich nur alle drei Tage rasieren mussten, es gibt Typen, die zu täglicher Rasur gezwungen waren, und es gibt mich. Wir alle stammen vom Affen ab, doch Lucy beharrt darauf, dass meine Evolutionsstufe haartechnisch noch immer nicht so ausgereift ist, um als Mensch durchzugehen.
Die Zeiten änderten sich eben. In der guten alten Zeit galt Brustbehaarung als Zeichen von Männlichkeit, heutzutage fordert die Fernsehwerbung wachsenthaarte Machobrüste mit babypopoweicher Haut. Haare sind nur noch oberhalb des Adamsapfels erlaubt.
Aus dem Smartphone tönte unablässig Lucys Geschnatter an mein Trommelfell, und ich mühte mich redlich, nicht den Anschluss zu verpassen.
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