Charlie Meyer - Killerwitwen

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Sie sind Großmütter, sie sind Nachbarinnen, die sich gegenseitig in die Pfanne hauen, aber gemeinsam werden sie sehr, sehr wütend, als ihnen die neue Nachbarschaft ihre Häuser wegnehmen will. Nachbarschaftskrimi der Extraklasse mit bösen Omas, einem netten Polizisten und Gevatter Tod, der hinter dem Gartenzaun lauert.

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Charlie Meyer

Killerwitwen

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Ein Jahr später

Impressum neobooks

1.

Wenn er nur nicht so ein Suffkopp gewesen wäre, mein Hermann, dachte Emmi Nichterlein in verdrießlicher Erinnerung, aber eigentlich ganz ohne Anlass, und betrachtete misstrauisch die Zahnpasta auf ihrer Bürste. Seit wann war da ein roter Streifen in der Mitte des Stranges?

Und dann, während das Radio im Esszimmer nebenan fröhlich verkündete, Tief Violetta schwenke endlich und im Sturmschritt nach Osten ab, aber Wilhelmine rücke bereits mit zornigem Gegrummel vom Atlantik her nach, grinsten sie aus dem Badezimmerspiegel ihre falschen Zähne an und sie stockte, die Zahnbürste schon drohend erhoben. Was für ein Dämlack, dieser Doktor Mirkowitz. Mit Sicherheit trug kein anderer Koppstedter in seinem Mund Zähne spazieren, die es an Scheußlichkeit mit denen ihres neuen Oberkiefergebisses aufnehmen konnten. Nicht, dass sie gelblich oder bräunlich schimmerten oder sogar schlierig aussahen, o nein, an der Farbe lag es nicht. Sie leuchteten reinweiß im Sinne des Wortes, und zwar vom hintersten strahlenden Backenzahn bis zu den vorderen blitzenden Schneidezähnen.

Und einzeln betrachtet ließ sich an den Zähnen ebenfalls nicht mäkeln. Einer wie der andere ein beeindruckendes Beispiel zahnärztlicher Klonkunst. Auf Mirkowitz‘ Visitenkarte stand bescheiden Atelier für angewandte Zahnkunst und nicht Zahnarztpraxis , und er betonte gern und häufig, dass er jedes Gebiss, vom Abdruck bis zur fertigen Kreation selbst modellierte. Seit dem Tag, an dem Emmi auf der dringlichen Suche nach der Praxistoilette eine Tür aufgerissen und hinter der Tür ein verhärmtes Männchen mit kunststoffverschmierten Händen aufgeschreckt hatte, das von halb fertigen Gebissen umgeben war, wusste sie, dass er log.

Es war die Symbiose, diese Aneinanderreihung völlig identischer Klone, die dem Gebiss seine Lächerlichkeit verlieh. Dies und die kleine Neigung der Zähne vom Kiefer weg Richtung Oberlippe zu streben. Sobald sie lächelte, zeichnete sich selbst in verdrießlichen Gesichtern eine leise Heiterkeit ab, und hinter ihrem Rücken tuschelte es von Überbiss und entzückend . Am meisten machte ihr jedoch ihre Zunge zu schaffen, die sich beim Sprechen nur schwer an die auseinanderstrebenden Zähne gewöhnen konnte, und sich vor allem in den ersten Wochen immer wieder arg lispelnd in den Lücken verhedderte.

Niedlich, sagten die Kinder und grinsten sich eins.

Emmi schüttelte missmutig den Kopf.

Am Wochenende ist zwischen heftigen Regenfällen und kurzen Gewittern etwas Sonne in Aussicht, aber es bleibt weiterhin für die Jahreszeit zu nass, und der wettermedizinische Dienst von Guten Morgen Koppstedt empfiehlt allen Kreislaufpatienten, auf Grund der anhaltenden Schwüle, zu Hause zu bleiben. Die Zeit – es ist acht Uhr und fünf Minuten. Die nächsten Nachrichten hören Sie ...

Mirkowitz selbst lehnte jede Verantwortung für diese Fehlkreation ab. Nicht, dass er nun doch gestanden hätte, einen Helfershelfer im Hinterzimmer mit den Gebissen zu beauftragen. Er griff seinerseits an, und beschuldigte ihre eigenen, noch im Unterkiefer verwurzelten Zähne das Gesamtensemble zu stören. Grau verfärbt, fauchte er, abgenutzt, verplombt, Giraffenhälse und insgesamt einfach scheußlich. Monstrositäten! Überdies fällt Ihnen die Hälfte davon ohnehin binnen eines Jahres aus. Erwägen Sie eine Extraktion, und ich kreiere Ihnen persönlich ein Gebiss, das zu den oberen Zähnen passt. Erwägen Sie wohlwollend! So weit Doktor Mirkowitz.

Emmi hatte erwogen, zwar nicht eben wohlwollend, aber mittels eines langen Blickes in den Spiegel und eines noch längeren auf die Zahnarztrechnung, und noch in derselben Stunde einen verbissenen Kampf für die Erhaltung ihrer Monstrositäten gestartet. Immerhin biss man sich seit Jahrzehnten in traulicher Gemeinsamkeit durch die Widrigkeiten des Lebens. Sie kaufte eine Munddusche, massierte das Zahnfleisch, schluckte Vitamin C gegen Parodontose und Kalzium zur Härtung des Schmelzes, und mühte sich nachts mit offenem Mund zu schlafen, aus Furcht vor zähneknirschenden Träumen. Morgens überprüfte sie mit Daumen und Zeigefinger den Grad der Wackligkeit einzelner Sorgenkinder und seufzte schwer, weil ihr dabei ihre Kinder einfielen - und deren Wackligkeit.

Emmi bleckte erneut die Zähne, und die Munddusche rumpelte los wie ihre Waschmaschine im Schleudergang. Es hörte sich auf beruhigende Weise drastisch an, auch wenn ihr bei dem harten Strahl immer noch das Zahnfleisch blutete. Aber sie tat etwas gegen ein Vollgebiss. Gegen Zähne, die im Munde klapperten, auch wenn es gerade nichts zu sagen gab, die sich bei falscher Haftcreme außerhalb des Mundes im Schinkenbrot verbissen wie ein Pitbull im Pudel und die einen nachts aus dem Wasserglas höhnisch angrinsten, sobald man die Nachttischlampe anknipste.

Sie packte den Griff der Düse energischer. Nein, ein Vollgebiss kam nicht infrage. Lieber mümmelte sie sich unten herum nackt bis zum Grab durch. Und wenn sie am Fegefeuer des Schwarzen Hermann wiedertraf, denn dass Petrus mit dem goldenen Schlüssel winkte, schien ihr doch eher unwahrscheinlich, war der bestimmt selbst schon längst über sein eitles Gehabe hinaus. All die Jahre in der Hölle schadeten mit Sicherheit dem Teint.

Der Strahl der Munddusche fiel abrupt in sich zusammen. Sie hängte die Düse in die Halterung und trocknete sich das nasse Kinn ab. Das Weiß des flauschigen Handtuchs brachte ein feinmaschiges Netz geplatzter Äderchen auf ihren Wangen zum Glühen.

„Apfelbäckchen“, sagten die Kinder.

„Bah“, sagte Emmi Nichterlein angewidert und suchte mit wütender Ungeduld und wieder einmal nach der Abdeckcreme. Ab und an gelang es ihr, sich an die Vorstellung nächtlings herumwuselnder Gnome zu klammern, die eigens zu dem Zweck erschienen, Cremes, Schlüssel und dringliche Überweisungen an unmöglichen Orten zu verbergen, um dann morgens lachend um sie herumzutanzen und ihr eine lange Nase zu zeigen, während sie in zunehmender Verbissenheit auf der Ablage herumfuhrwerkte, das Rattanregal ausräumte und die Türen des Aliberts aufriss. Gestern war es besonders schlimm gewesen. Statt der Zahnpasta hatte die Fußpilzsalbe im Becher gesteckt, Kopf an Kopf mit der Zahnbürste, während sich die Zahnpasta später im blauen Kosmetikköfferchen wiederfand, inmitten des Sammelsuriums halb aufgebrauchter Tablettenschachteln, Röhrchen mit abgelöstem Etikett und ungewissen Inhaltes und den unzähligen Apothekenpröbchen teurer Lotionen, Cremes und Düften, die sie für Julia und Christina aufhob und dann doch immer vergaß, wenn eine der beiden sie besuchte. Was für ein widerlicher Geschmack den ganzen Tag über. Vor allem in der Seele.

Emmi seufzte und streckte sich die Zunge heraus. Schadenfroh lachende Gnome, die Sachen versteckten, na klar. Schließlich wartete ja auch am Ende eines jeden Regenbogens ein überquellender Goldtopf! Nein, es gab nur sie, die zunehmende Vergesslichkeit ihrer siebzig Jahre und das Eingeständnis, dass ihr Kopf immer öfter streikte. Anfangs nur sporadisch, mit lachhaftem oder ärgerlichem Ausgang, aber mittlerweile in lästiger Häufung, und es nagte immer noch böse an ihr, dass sie drei Wochen zuvor die Brille in Einzelteilen aus der frisch geschleuderten Wäsche angelte und sich empfindlich in den Finger schnitt, während die Socke, die sie eigentlich und nachträglich in die Waschmaschine hatte stecken wollen, spurlos verschwunden geblieben war. Gegen Alzheimer war der alberne Überbiss natürlich lachhaft.

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