Ob Männer das genauso hinterfragten wie Frauen? Vermutlich. Aber es schien, dass sie eine andere Umgangsweise mit dem Ergebnis ihrer Betrachtungen hatten. Für viele Männer schien es üblich zu sein, sich in ihrem Leben mit allen von der Gesellschaft erwarteten Statussymbolen einzurichten: Kinder, Karriere, Auto. Darüber definierten sie offensichtlich, ob sie erfolgreich waren oder nicht. Eine Geliebte für die persönlichen sonstigen Bedürfnisse zur Ergänzung des nach außen zur Schau getragenen Erfolges, ist scheinbar ein akzeptabler Weg. Wenn das nicht funktioniert, wird die Familie als Ballast abgeworfen und man kann noch einmal von vorne anfangen, wobei oft die gleichen Werte wie zuvor angestrebt werden. Natürlich gibt es auch bei den Männern Ausnahmen. So wie auch beim anderen Geschlecht.
Die meisten Frauen gehen jedoch anders mit dieser Frage um. Sie denken auch darüber nach, in ihrem Leben etwas zu ändern, aber selten ist die Lösung, sich einfach einen Nebenmann zu suchen und nach Außen die Fahne der intakten Familie vor sich herzutragen. Die Veränderungen, wenn sie dann stattfinden, sind radikaler. Wenn die Veränderung mit einem anderen Mann einhergeht, dann handelt es sich im Allgemeinen um einen für alle sichtbaren Austausch des Partners. Es muss aber nicht unbedingt ein anderer Partner sein. Manchmal ist es auch die Entscheidung, nicht mehr mit dem bisherigen Partner zusammen zu bleiben, sondern ohne Partner neue Wege zu gehen. Mit oder ohne Partnerwechsel – erstaunlich oft beginnen Frauen in diesem Alter auch, sich beruflich noch einmal neu zu orientieren, was bei Männern eher selten ist. Männer wechseln vielleicht noch einmal den Arbeitgeber, aber selten den eigentlichen Beruf. Wenn Frauen sich zu einer beruflichen Veränderung entschließen, beschränkt sich diese meistens nicht auf den Wechsel des Arbeitgebers, sondern erstreckt sich auf eine völlig andere Tätigkeit, bevorzugt als eigene Chefin. Mag sein, dass das damit zusammenhängt, dass selbständige Frauen scheinbar eher mit ihrer beruflichen Wahl zufrieden sind. Vielleicht ist der Grund aber auch darin zu sehen, dass Frauen in Angestelltenverhältnissen gegenüber ihren männlichen Kollegen benachteiligt werden, ihre Leistung dort nicht so anerkannt wird. Männer definieren sich (meistens) über den Neid ihrer Artgenossen, Frauen über Anerkennung ihrer Person.
So hat auch Kerstin den Wunsch, dass ihre Fähigkeiten und Talente entsprechend gewürdigt werden. In ihrem jetzigen Job sagt man ihr zwar gelegentlich, dass sie ihre Arbeit gut erledigt, aber eine entsprechende finanzielle Würdigung gibt es nicht. Sie macht ihre Arbeit gut und zuverlässig, ist genauso intelligent oder vielleicht sogar noch intelligenter als ihre männlichen Kollegen, aber bei Gehaltserhöhungen und Beförderungen nützt ihr das nichts. Ihr Chef hatte bei ihrer letzten Bitte um eine Gehaltserhöhung sogar noch die Frechheit besessen, ihr zu sagen, dass sie für eine Frau doch wirklich gut verdiene. Unverschämt!
Auch im Privatleben möchten Frauen, dass anerkannt wird, was sie für den Partner und die Familie tun, aber viele Familien setzen sich kommentarlos an den Tisch. Wenn es ihnen schmeckt, erkennt man das nur daran, dass sie das Essen gierig in sich hineinschlingen. Selten gibt es ein Lob oder einen Dank. Auch alle anderen Dienstleistungen werden als selbstverständlich hingenommen. So wie auch die Frauen meistens mit schöner Selbstverständlichkeit alle Arbeiten im Haushalt übernehmen, die die anderen Familienmitglieder gerne liegen lassen. Leider ist es auch in unserer ach so emanzipierten Gesellschaft immer noch so, dass die Frau im Haus die Schlampe ist, wenn die Wohnung aussieht wie ein Schlachtfeld. Nur bei alleinstehenden Männern gibt es keinen Sündenbock für Versäumnisse im Haushalt.
Kerstin und Karsten haben normalerweise schon eine einigermaßen gerechte Verteilung der Hausarbeit. Allerdings sind auch in ihrem Haushalt einige Arbeiten eher rollentypisch verteilt: Karsten ist für die meisten Dinge im Außenbereich zuständig (Gartenarbeit – außer Unkraut zupfen -, Autopflege und Holz hacken liegen ihm eben besser als Wäsche waschen, bügeln, Fenster putzen), Kerstin innen, obwohl sie auch lieber Rasen mäht als Staub zu saugen. Im Haushalt hilft Karsten nur bei den alltäglichen Kleinigkeiten wie Geschirrspüler ein- und ausräumen oder bei handwerklichen Tätigkeiten, eben Männerarbeit. Gelegentlich kocht er auch mal, aber nur wenn er Lust dazu hat. Der anschließende Zustand der Küche führt dann meistens zu längeren Diskussionen. Wenn Besuch kommt, macht natürlich Kerstin gründlich sauber. Wenn sie versucht Karsten zur Mithilfe zu animieren, mault er so lange herum, bis sie es lieber selbst erledigt.
Bei dieser klassischen Aufgabenteilung geht auch die Anerkennung meistens zu Karstens Gunsten aus. „Wie schön und gepflegt euer Garten immer ist. Dein Karsten ist wirklich ein Schatz!“, hört Kerstin regelmäßig von ihrer Mutter. An Sätze wie „Wie schön sauber es bei euch ist und die Wäsche immer so schön gewaschen. Das macht die Kerstin aber toll!“, kann sie sich nicht erinnern. Zugegeben, solche Kommentare würde sie vermutlich als Hohn empfinden, aber trotzdem ist es nicht gerecht, dass nur Karsten Lob erhält, obwohl sie ungefähr die gleiche Zeit in das gemeinsame Heim investiert. Es setzt Kerstins Leistung irgendwie herab und das ärgert sie. Ihr ist klar, dass Karsten sich nicht bewusst ist, dass er sich seine Lieblingsarbeiten aus dem Aufgabenpool herausgepickt hat und der Rest ihr zufällt. Trotzdem ist sie manchmal deswegen ein wenig wütend, nicht nur auf Karsten, sondern auch auf sich selbst. Sie hätte sich schließlich nicht so unterordnen müssen. Warum taten Frauen das, obwohl es sie offensichtlich unzufrieden machte? Zogen sie eine Befriedigung aus ihrer Märtyrer-Rolle? War es anerzogen?
Kerstin kennt jedenfalls kein einziges Paar, bei dem es anders herum ist oder wenigstens ein stetiger Wechsel bei den ungeliebten Aufgaben stattfindet, obwohl sich so mühelos eine Form der Gerechtigkeit herstellen ließe. Auch bei Anja und Rainer ist es so. Dort ist es auch selbstverständlich, dass Rainer ausgehen kann, wenn ihm danach ist. Anja dagegen muss immer dafür sorgen, dass sich entweder Rainer oder ein Babysitter um die Kinder kümmert. Wenn Rainer ausgeht oder beruflich unterwegs ist, braucht er nicht zu fragen, ob Anja diese Aufgabe übernimmt. Es ist normal, dass sie da ist oder sie sich um entsprechende Betreuung kümmert. Wie es bei Sabine und Thomas geregelt ist, weiß Kerstin nicht. Wahrscheinlich genauso wie bei Karsten und ihr, nur dass Sabine und Thomas noch in dem frühen Stadium einer Beziehung sind, wo Frauen den „Nestbau“ gerne übernehmen, damit ihr Liebster sich wohl fühlt. Genau, Nestbau! Das ist wahrscheinlich die Antwort auf diese Frage. Auch im Tierreich fällt die Aufgabe des Nestbaus und der Brutpflege meistens in die Zuständigkeit der Weibchen. Also eine genetische Ursache? Dann sollten Frauen aber doch zufrieden mit dieser Rolle sein!?
Puh, was für anstrengende, nutzlose Gedanken! Kerstin muss ein bisschen über sich selber lachen, dass sie so viel Energie darauf verwendet. Sie wird die Welt bestimmt nicht ändern. Und genetische Programme schon gar nicht. Mit dieser Erkenntnis wendet sie sich wieder ihrer Bügelwäsche zu – wie passend!
Anjas Gedanken wandern zurück zu der Zeit als sie Rainer kennengelernt hatte. Damals konnten sie die Finger nicht voneinander lassen und nutzten auch unter den unmöglichsten Voraussetzungen jede Gelegenheit, um sich nahe zu sein.
Sie hatten sich kurz vor dem Abi in einem Projekt für Ökologische Gewässer zum ersten Mal bewusst wahrgenommen, obwohl sie schon seit vielen Jahren dasselbe Gymnasium besuchten. Später konnte keiner von ihnen mehr sagen, warum sie sich nicht eher füreinander interessiert hatten. Das spielte aber auch nicht wirklich eine Rolle. Vielleicht lag es einfach nur daran, dass sie nun gemeinsam an einem Projekt arbeiteten, bei dem sie sehr viel Zeit damit verbrachten, in kleinen Gruppen Aufgaben zu erledigen. Schon nach kurzer Zeit hegte Anja den Verdacht, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Es konnte kein Zufall sein, dass Rainer so häufig in der gleichen Gruppe arbeiten musste wie sie. Allerdings sollte noch eine ziemlich lange Zeit vergehen, bis sie herausfand, wie Rainer das eingefädelt hatte. Das verriet er ihr aus Angst, dass sie wütend darüber sein könnte, erst, als sie bereits längere Zeit ein Paar waren. Als er ihr erzählte, dass er die Mitschülerinnen zum Tausch der Arbeitsgruppe gebracht hatte, indem er ihnen androhte, die ekligsten Tiere, die er während des Projektes fand, püriert unter ihre Pausenbrote zu schmuggeln, fand Anja das jedoch rührend. Den männlichen Gruppenmitgliedern versprach er schlicht und einfach, sich bei Gelegenheit mit einem Gefallen zu revanchieren. Die Herren waren einfacher zufriedenzustellen.
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