„ Weil du davon sprichst… Wäre es sehr schlimm, wenn du ab und zu ein Kleid anziehen würdest?“ fragte Amileehna. „Du weißt, dass meine Mutter dich noch aus tausend anderen Gründen hasst, aber damit könnten wir ihr wenigstens ein wenig den Wind aus den Segeln nehmen.“
Ungefähr eine Woche lang hatte es Jessy Spaß gemacht, sich täglich als Prinzessin zu verkleiden, doch dann überwog ihr Pragmatismus und sie zog wieder Hemden und Hosen an. Sehr zum Leidwesen sämtlicher weiblicher Burgbewohner, die das mehr als befremdlich fanden.
„ Ist sie immer noch beleidigt, weil ich den Benimm-Kurs abgelehnt habe?“
Amileehna seufzte. „Wäre es denn so schlimm gewesen? Du wirst mich bei politischen und gesellschaftlichen Anlässen begleiten. Da wäre es doch hilfreich, wenn du die Etikette kennst…“
„ Nein, nein“, widersprach Jessy. „Ich stehe hinter dir und passe auf, dass niemand dir an die Gurgel geht. Deswegen muss ich nicht die Reihenfolge der Gabeln kennen.“
„ Ich sehe schon, du wirst dich nicht umstimmen lassen. Aber es würde vieles vereinfachen, wenn du dich ein bisschen besser… einfügen würdest, oder?“
Jessy presste die Lippen aufeinander. „Ich bin kein Burgfräulein, Ami, und ich werde auch nicht so tun als ob. Der einzige Grund, warum ich dieses Gemäuer überhaupt betrete, bist du. Ich bin als deine Freundin hier und was andere denken, ist mir gleich.“
„ Ich wünschte, ich könnte auch so sein“, antwortete Amileehna niedergeschlagen. „Einfach tun, wonach mir ist.“
„ Entschuldige mal, du wirst in ein paar Jahren die Königin von diesem ganzen Haufen hier sein“, fuhr Jessy auf. „Dann kannst du doch wohl tun und lassen, was du willst. Wer sollte dir dann noch Steine in den Weg legen können?“
„ Meine Mutter, der Kronrat, die Händlergilden, mein Ehemann…“
„ So ein Blödsinn. Und diesen mysteriösen Ehemann vergessen wir ganz schnell wieder.“
Zu Amileehnas Glück und Erleichterung waren ihre Eltern erst einmal von dem Gedanken abgekommen, sie schnell zu verheiraten. Immerhin würde der Zukünftige an ihrer Seite das Land regieren und musste daher mit größter Sorgfalt ausgewählt werden.
„ Und jetzt sei nicht mehr traurig“, sagte Jessy. „Morgen früh schleichst du dich raus und schaust dir an, wie ich auf der schönen Gemma Rodeo reite. Das wird dich sicher aufmuntern.“
Amileehna lächelte und sah wieder ein wenig mehr nach dem Mädchen aus, das Jessy kannte.
Nach dem Trubel, dem Lärm und der stickigen Luft in der Großen Halle empfand Jessy die Ruhe in ihrem Zimmer immer als eine Wohltat. Draußen war es längst dunkel und der Regen prasselte gegen die dicke Fensterscheibe. Sebel, ihre treue Freundin und Kammerzofe, hatte das Feuer angezündet, denn auch jetzt im Frühjahr wurde es nachts empfindlich kalt in den steinernen Gebäuden. Um ein wenig guten Willen zu zeigen hatte Jessy an diesem Abend ein Kleid angezogen, das jetzt durchnässt über einer Stuhllehne hing. Nun streckte sie sich wohlig unter den dicken Decken ihres Bettes aus und genoss die Ruhe. Sie war müde, ihre Tage waren lang und meistens anstrengend. Manchmal schmerzte jeder Muskel in ihrem Leib von den Übungsstunden, denn so freundlich und liebenswert die Wölfe waren, als Lehrer waren sie meistens erbarmungslos. Niemand schonte sie, weil sie eine Frau war. Wenn es soweit war, würde sie Ami verteidigen müssen und durfte sich keine Sekunde der Schwäche erlauben. Trotzdem glaubte sie nicht, dass sie jemals so hart werden würde.
„ Du bist eben ein Mädchen“, sagte Bosco manchmal und klang dabei derart enttäuscht, dass Jessy lachen musste. Trotz dieses offensichtlichen Nachteils erntete sie oft Lob und machte ihre Sache wohl ganz gut.
Amileehna hatte beim Abendessen entspannter gewirkt, wahrscheinlich schmiedete sie tatsächlich einen Ausbruchsplan für den Morgen und das baute sie auf. Jessy konnte aber beim Essen meistens nicht mit ihr reden, denn sie saß nicht bei den Adligen, auch wenn ihr dort ein Platz zugestanden hätte. Meistens aß sie bei den niederen Hofdamen und wartete darauf, dass die Geschlechtertrennung an der Tafel aufgehoben wurde, um sich dann zu Albin und den Wölfen zu setzen. Dort ging es immer lustig zu und Jessy blieb länger als sie eigentlich wollte. Auch heute hatte sie die Augen kaum noch offen halten können und war schließlich durch den Regen herüber zum Prinzenbau gelaufen, um schnellstmöglich in ihr Bett zu kriechen. Doch egal wie müde sie war, sobald sie hier in ihrem kleinen, stillen Zimmer mit dem prasselnden Kamin lag, mochte der Schlaf nicht kommen. Denn dann wartete sie.
Sie war schon eingedöst, als sie hörte, wie sich der Riegel an der Tür leise öffnete. Ihr Herz machte einen kleinen Satz. Sie rührte sich nicht, öffnete aber die Augen ein wenig. Genug um zu sehen, wie Rheys seine Stiefel auszog und neben die Tür stellte. Für einen so großen Menschen bewegte er sich erstaunlich leise. Der Raum schien immer kleiner zu werden, wenn er herein kam, so sehr wurde er von seiner Anwesenheit ausgefüllt. Nun ging er zu dem kleinen Tisch und goss sich ein wenig Wein in einen Becher. Jessy beobachtete jede seiner Bewegungen. Oft sahen sie sich den ganzen Tag nicht und dann erschien es ihr, als habe sie vergessen, wie er seinen Nacken streckte um die Muskeln zu lockern oder wie es klang, wenn er die Schnallen an seinem Wams öffnete. Regentropfen glitzerten in seinem kurzen schwarzen Haar. Er zog das nasse Hemd mit einer Hand über den Kopf und hängte es ordentlich am Kamin zum Trocknen auf. Im Schein des Feuers waren die Narben auf seiner Haut nicht mehr als Schatten. Einen Moment lang schaute er gedankenverloren ins Feuer und trank aus dem Becher. Nur selten hatte Jessy Gelegenheit, ihn so heimlich zu beobachten. Immer versuchte sie einen Blick auf etwas zu erhaschen, das sie noch nicht kannte, eine Geste, die ihr etwas über ihn verriet. Aber die meisten Dinge verbarg er selbst im Schlaf.
„ Warum bist du noch wach?“ fragte Rheys ohne sich umzuschauen. „Es ist spät.“
Jessy stützte sich auf den Ellbogen hoch. „Wie konntest du das wissen? Ich habe keinen Muskel bewegt!“
Nun wandte er sich um und schaute sie an. Der Feuerschein fing sich in seinen hellen Augen. Dunkle Bartschatten lagen auf seinen kantigen Wangen. Vielleicht lächelte er ein wenig, aber so genau konnte sie es nicht sagen. Auch das Lächeln sah sie selten.
„ Ich höre dich atmen. Es klingt anders wenn du schläfst.“
Hecheln trifft es wohl eher, dachte Jessy. Er kam zum Bett herüber und sie konnte den Regen und den Rauch aus der Halle an ihm riechen. Aber sie wollte seinen eigenen Geruch nach Leder, Schweiß und Eisen, wollte ihn tief aufsaugen und ihre Lungen damit füllen.
„ Ich schlafe nie bis du kommst. Das weißt du doch.“
„ Ist meine Gesellschaft so großartig?“ fragte er spöttisch. „Du brauchst deinen Schlaf, du wirst morgen mit Lando arbeiten.“
„ Ehrlich gesagt möchte ich jetzt nicht über Lando reden. Oder das Pferd oder sonst irgendwas“, sagte Jessy leise. Ihre Haut kribbelte.
Rheys beugte sich herunter und fuhr mit der Hand in ihre noch nassen Haare, die offen über ihre Schultern hingen. Sie spürte seine Fingerspitzen auf ihrer Kopfhaut und holte tief Luft. Er zog sie zu sich heran und küsste sie.
Großartig trifft es nicht annähernd, schoss es ihr durch den Kopf.
Bevor Jessy irgendetwas anders wahrnehmen konnte, spürte sie Rheys’ warme Hand auf ihrem Rücken. Dann kam die Dunkelheit zurück, die kalte Luft auf ihrer nackten Haut und die Tränen auf ihrem Gesicht. Sie hörte das Knacken der alten Deckenbalken und das Zischen des Kaminfeuers, das nur noch Glut war. Und kehrte zurück aus dem düsteren Traum in die Wirklichkeit.
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