Nun lächelte Lando triumphierend. „Wenn ich mit euch fertig bin, wirst du nicht mehr wissen, wo dein Körper aufhört und der des Pferdes beginnt. Du wirst schon sehen.“ Er wandte sich der Stute zu und rieb mit den Fingerknöcheln über ihre Stirn. „Sie ist nicht nur stark und schön, sie hat ein großes Herz. Sie liebt Menschen.“
Er drückte Jessy den aufgerollten Zügel in die Hand. „Macht euch bekannt. Morgen fangen wir an.“
Dann stapfte er breitbeinig wie ein alter Cowboy davon. Auf seinen eigenen Füßen laufend wirkte er immer unbeholfen.
„ Mach dir keine Sorgen“, sagte Dennit. „Lando ist der Beste. Und wie wir ja wissen, finden Pferd und Reiter am Ende immer zusammen, wenn sie zusammen gehören.“
Er stieß Albin in die Seite. Sie alle erinnerten sich daran, wie sehr er damals mit seinem Hengst Arro gekämpft hatte, bis die beiden schließlich begonnen hatten, an einem Strang zu ziehen. Ein Wunder, dass Albin sich nicht den Hals gebrochen hatte bei seinem Kampf mit dem Pferd. Heute waren sie ein Herz und eine Seele.
Nun verebbten Jessys Zweifel langsam, während sie die Stute streichelte. Sie hatte ein dünnes, seidiges Fell und strahlte große Wärme aus. Sie hatte Lust, sofort aufzusteigen und davon zu reiten. Doch vor den hier versammelten Männern und Jungen wollte sie keinesfalls im Staub landen. Also beschloss sie, erst einmal ein Stück spazieren zu gehen.
„ Hat sie schon einen Namen?“
„ Du musst ihr einen geben“, sagte Albin. „Das ist Tradition.“
Die Zuschauer gingen auseinander und Jessy wanderte mit ihrem kostbaren Geschenk die Wege entlang, ließ das Pferd vom jungen Gras kosten und schwatzte vor sich hin. Die Ohren der Stute zuckten, als würde sie tatsächlich zuhören und wenn sich in der Ferne etwas regte, hob sie den Kopf und richtete den Blick und die volle Aufmerksamkeit auf das Geräusch. Jessy konnte sich gut vorstellen, dass ein so intelligentes Tier in einem Kampf eine große Hilfe sein konnte. Ganz abgesehen davon, dass sie viel kräftiger und auch größer war, als Lia.
„ Wir müssen einen passenden Namen für dich finden“, sagte sie nachdenklich. „Wie wäre es mit Gemma? Das bedeutet Juwel. Mal sehen, ob Lando das akzeptieren kann, oder ob es zu weibisch für ihn ist.“
Als schließlich dunkle Wolken am Himmel aufzogen und es kühler wurde, kehrte Jessy mit Gemma zum Stall zurück. Sie trug nur Hemd, Lederwams und keine Jacke und wollte deshalb nicht vom Regen überrascht werden. Als sie über den Hof zum Palastgebäude lief, fielen bereits die ersten schweren Tropfen. Es war bald Zeit für das Abendessen und sie musste unbedingt noch zu Amileehna um sich für das Geschenk zu bedanken. Also machte Jessy sich auf in die königlichen Gemächer.
Wie immer wenn Jessy in die Wohnung der königlichen Familie ging, fühlte sie sich vom Prunk ein wenig erschlagen. Der Prinzenbau, in dem sie wohnte, war schlicht mit alten Teppichen und Holzmöbeln ausgestattet. Doch hier wurde man förmlich erstickt von der Fülle an bunten Wandbehängen, Polstermöbeln, Gemälden und versilberten Kerzenleuchtern und Statuen. Aus allem stieg der unverkennbare Geruch nach Kräutern auf, die verteilt wurden um das Ungeziefer fernzuhalten. Dazu kamen die blumigen Parfums der Hofdamen, die hier ein und aus gingen.
Jessy musste unzählige Wohnzimmer und kleine Speiseräume durchqueren, um zu Amileehnas Räumen zu kommen. Überall saßen Höflinge herum und unterhielten sich gedämpft, spielten Karten und tranken Wein. Um nichts in der Welt hätte Jessy hier ihre gesamte Zeit verbringen wollen. Es war stickig wegen der vielen Kaminfeuer und Kerzen und düster trotz der großzügigen Fenster, vor denen schwere Vorhänge hingen. Neben jeder Tür stand eine Palastwache in blaugrauer Uniform. Während die Adligen Jessy nur mit misstrauischen Blicken musterten, grüßten die Wachen sie freundlich. Jessy kannte jeden beim Namen und wurde ohne Einwände vorgelassen. Amileehna hatte durchgesetzt, dass sie zu jeder Tages- und Nachtzeit zu ihr kommen durfte.
Schon im riesigen Wohnzimmer der Prinzessin hörte Jessy, dass im angrenzenden Schlafzimmer gestritten wurde und sie seufzte. Astri, Amileehnas Zofe und Freundin sprang auf, als Jessy eintrat.
„ Die Königin“, wisperte sie und hob die Brauen. Sie war eine selbstbewusste junge Frau und Jessy war froh, dass Ami eine Vertraute bei sich hatte, wenn sie selbst nicht hier sein konnte.
„ Dachte ich mir“, antwortete Jessy. So hitzig klang es nur, wenn Ami mit ihrer Mutter stritt. Sie warf einen schnellen Blick auf ihre nur flüchtig gewaschenen Hände und ihre Kleider, die zum Glück frei von Blutspritzern und Pferdespeichel, aber trotzdem alles andere als angemessen waren. Das selbe schien Astri zu denken, denn sie unterdrückte nur mühsam ein Grinsen, als Jessy ihre Haare zurück band, um nicht ganz wie eine Stallhelferin auszusehen. Entschlossen, den Streit zu unterbrechen, trat Jessy an die Tür, doch eine hochgewachsene Dame stellte sich ihr in den Weg.
„ Die Prinzessin befindet sich in einem Gespräch“, zischte Frau Dhanea ihr zu. Sie war die oberste Hofdame und Amileehnas ehemalige Erzieherin. Nach ihrer Rückkehr aus dem Norden hatte sich Amileehna zwar aus ihren Klauen befreien können, doch noch immer sah Frau Dhanea es als ihre unbedingte Pflicht an, die Prinzessin zu überwachen. Jessy verabscheute die strenge Frau mit den kalten grauen Augen, deren Gesicht von tiefen Falten um Mund und Nase gezeichnet war. Es waren Spuren lebenslanger Missbilligung, keine die das Lachen hinterlassen hatte.
„ Das höre ich“, antwortete sie bissig, schob sich an Frau Dhanea vorbei und öffnete die Tür ohne zu Klopfen.
Königin Sílean fuhr herum, das schöne Elfenbeingesicht zu einer wütenden Maske verzerrt. Sie war nicht größer als Jessy und trotzdem strahlte sie die unmissverständliche Überlegenheit einer Person aus, die ihr ganzes Leben lang Macht besessen hatte. Sie duldete keinen Widerspruch und ganz besonders nicht den ihrer Tochter. Dass Jessy die Prinzessin bei jeder Gelegenheit dazu anstachelte, ihre eigene Meinung zu vertreten, war der Königin ein Dorn im Auge und sie ließ Jessy ständig spüren, dass ihre Freundschaft zu Amileehna für sie eine Zumutung war. Auch jetzt war ihr Blick voller Abneigung, ihr schöner Mund verzerrte sich vor Abscheu, als sie Jessys unpassendes Äußeres sah.
„ Oh, verzeiht die Störung, Herrin“, sagte Jessy nun zuckersüß und machte einen schlampigen Knicks. Normalerweise machte es ihr nichts aus, sich an die höfischen Umgangsformen zu halten, besonders nicht in Gegenwart des Königs, den sie sehr gern mochte. Aber bei Königin Sílean konnte sie sich kaum dazu überwinden. „Ich dachte, die Prinzessin wäre allein.“
Sie warf Amileehna einen schnellen Blick zu, die ihr dankbar zulächelte. Doch auf ihrem ebenmäßigen, hübschen Gesicht mit der zierlichen Stupsnase sah Jessy deutlich die Spuren des eben geführten Kampfes.
„ Wir haben unser Gespräch gerade beendet“, sagte die Königin spitz und ging zur Tür. „Halte die Prinzessin nicht zu lange auf, sie muss sich für das Abendessen umkleiden. Und du solltest das auch, meine Liebe. Die Halle des Königs ist nicht der Bergfried.“
„ Meine Ausbildung verlangt praktische Kleidung“, gab Jessy zurück und hielt dem abfälligen Blick der Königin mühelos stand.
„ Wenn du dich im Gefolge der Prinzessin aufhältst, wirst du standesgemäß gekleidet sein“, sagte die Königin und ihr Tonfall machte deutlich, dass Jessy nichts weiter dazu zu sagen hatte. Sie wandte sich ab und rauschte aus dem Zimmer. Die schwere Tür schloss sich geräuschvoll hinter ihr und Jessy atmete auf.
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