1 ...7 8 9 11 12 13 ...37 „ Um es kurz zu sagen, sie hassen mich. Ich bin eine Fremde und die einzige, die Amileehna ins Vertrauen zieht. Das muss jeden misstrauisch machen. Und dann habe ich noch ein Verhältnis mit einem Man von der Leibgarde und mache mir nicht mal die Mühe, es zu verbergen. Das passt nicht ganz ins Bild, oder?“
„ Wenn sich jemand dir gegenüber ungebührlich verhält, solltest du das der Königin sagen“, meinte Rheys streng. „Du bist immerhin ein Gast des Königs und jeder muss dich respektieren.“
Jessy biss sich auf die Lippe. Sie sollte ihm wohl besser nicht sagen, dass Königin Sílean ihr ständig nahe legte, sich von Amileehna fern zu halten. Dass die Damen ganz offen über sie lästerten und schimpften machte ihr nichts aus. Aber sie wollte der Prinzessin nicht noch mehr Schwierigkeiten machen.
„ Ich komme schon zurecht“, sagte sie.
„ Hattest du einen schlimmen Traum?“ fragte Rheys unvermittelt. „So schlimm wie damals?“
„ Nein“, antwortete sie und drehte den Kopf, um ihm ins Gesicht schauen zu können. „Es ist vorbei, ganz bestimmt. Mach dir keine Sorgen.“
„ Gut. Denk nicht mehr daran. Konzentriere dich heute auf dein Pferd. Lando wird dir alles abverlangen.“
Jessy seufzte. Zu gerne hätte sie einmal einen ganzen Tag hier mit ihm verbracht, ohne Verpflichtungen oder Trainingseinheiten. Aber Rheys' unerschöpfliche Energie duldete kein Ausruhen. Er und auch die anderen Wölfe hatten es sich zum Ziel gemacht, aus ihr eine Kriegerin zu machen. Egal, was es kostete.
„ Du wirst mir hoffentlich nicht zuschauen, oder?“ fragte sie, während Rheys aufstand und begann, sich anzuziehen. „Ich will eigentlich niemanden dabei haben, wenn ich mir alle Knochen breche.“
„ Blödsinn“, gab er zurück. „Es ist ein Pferd und kein verrückter Drache. Und es gibt eine Menge Arten, herunterzufallen ohne sich zu verletzen.“
„ Na dann bin ich ja beruhigt“, sagte Jessy zweifelnd.
Albin richtete sich auf und streckte die Arme zur Decke. Seine Rückenwirbel knackten und sofort entspannten sich die Muskeln. Den ganzen Morgen hatte er über dem Tisch gekauert und geschrieben, jetzt sehnte er sich nach etwas Bewegung. Auch die staubige Kammer voller Bücher, in der er saß und deren kleines Fenster nur wenig Tageslicht hereinließ, beengte ihn nun. Entschlossen streute er Sand auf den letzten Abschnitt seines Schriftstücks, um die Tinte aufzusaugen. Als er das Blatt hob und vorsichtig schüttelte, rieselte der Sand zu Boden und ein einziges, ordentlich geschriebenes Wort fiel ihm ins Auge. Birkenhain. Er lächelte und legte das Blatt beinahe zärtlich zwischen die ledernen Buchrücken zu den anderen Bögen. Erst wenn seine Aufzeichnungen über ihre Reise komplett waren, würde er alles mit Schnur und Stoff zu einem Buch binden. Sie hatten so viele Dinge gesehen und erfahren, von denen man in Westland keine Ahnung gehabt hatte. Es wäre Verschwendung gewesen, all das nicht niederzuschreiben. Und er hatte seine Zeichnungen, getrocknete Blätter von unbekannten Pflanzen und konservierte Insekten aus allen Gegenden, in denen sie gewesen waren. All das ergab eine Sammlung, die das Wissen der Westländer ungemein bereichern würde. Auch wenn mancher in der Eisenfaust das für Unsinn hielt, Albin war stolz darauf. Er wusste, dass Tychon sein Tun gefördert hätte. Der Gedanke machte ihn froh und schmerzte gleichzeitig.
Vor ihrem gemeinsamen Abenteuer war Albin ein Schatten gewesen und bis dahin hatte er nicht einmal gewusst, ob Tychon von seiner Existenz wusste. Doch dann waren sie Freunde geworden. Tychon hatte ihn immer unterstützt und Albin hatte sich auf seine Zukunft als Kronrat an der Seite des Prinzen wirklich gefreut. Sein Leben hatte einen neuen Sinn bekommen, denn zum ersten Mal wurde er geschätzt. Aber dann war alles anders gekommen. Und jedes Mal, wenn Albin schrieb wurde er daran erinnert. Tychon war tot und jeden Tag vermisste Albin ihn aufs Neue. Nur einmal wollte er hören, wie sein Freund mit energischen Schritten in die Kammer trat und sagte: „Sehr gut, Albin!“ Aber es blieb still und nur die alten Bücherregale knackten ab und zu in der trockenen Luft. Doch es gab auch Erinnerungen, die Albin seinen Schmerz vergessen ließen. In Birkenhain, einem Waldläuferdorf mitten in den Ostländischen Wäldern, hatte er Ami zum ersten Mal geküsst. Niemals würde er vergessen, wie sie ausgesehen hatte. Der Mond hatte ihr helles Haar zum Leuchten gebracht und sich in ihren Augen gespiegelt wie in dem stillen Teich, an dessen Ufer sie gestanden hatten. Und ihre Lippen hatten so süß geschmeckt. Sein ganzes Leben lang würde er sich daran erinnern. Er hatte den Arm um sie gelegt und die Zartheit ihres Körpers gespürt, in dem so viel Stärke schlummerte.
Er stand auf und löschte die Kerzen auf dem Tisch, die er anzünden musste, obwohl draußen heller Tag war. Dann schloss er die Tür hinter sich und stieg die schmale Treppe hinauf. Draußen blendete ihn der Sonnenschein und die frische Luft belebte ihn sofort. Manchmal konnte er es nicht glauben, dass er früher jede freie Minute in dieser Kammer verbracht hatte. Bald würde das Mittagessen in der Großen Halle aufgetragen und im Hof wurde es allmählich ruhiger. Doch anstatt sich zum Palast zu wenden, ging er hinüber zum Bergfried. Hier aß er meistens zu Mittag. Unter den Edelleuten war er nicht mehr gern gesehen. Auch wenn das Essen in der Halle eine Möglichkeit war, einen Blick auf Ami zu werfen, vermied er es, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er hatte seinen Platz im Kronrat verloren, der ihm aufgrund seiner Abstammung zugestanden hatte, und eigentlich keine Aufgabe am Hof. Sein Vater hatte an der Verschwörung zum Mord an Tychon Anteil gehabt und war als Verräter hingerichtet worden. Das bedeutete für Albin, seinen Erben, eigentlich ein Leben im Exil. Doch der König duldete ihn in der Burg, weil er sich durch seine Tapferkeit im Kampf gegen Skarphedinn ausgezeichnet hatte.
In den letzten Monaten hatte er an seinen Aufzeichnungen gearbeitet, doch im Hintergrund tat er noch mehr. Unauffällig versuchte er ständig die Stimmung im Kronrat auszuloten und die verschiedenen Mitglieder einzuordnen. Waren sie Ami wohl gesonnen oder würden sie versuchen, ihr das Leben schwer zu machen? Er trieb sich auch viel in der Hauptstadt Ovesta herum, die zu den Füßen des Burgberges lag, und versuchte die Meinung des Volkes zu ergründen. Alles, was er erfuhr, berichtete er Ami. Meistens in Briefen, denn die Königin tat alles, um ihn von ihrer Tochter fernzuhalten. Albin würde vielleicht nicht Kronrat an Tychons Seite sein, aber er würde Ami dabei helfen, eine gute Königin zu werden. Und sie vor ihren Feinden schützen. In Wahrheit wollte er noch viel mehr tun, doch all diese Wünsche waren so unerfüllbar wie eine Reise zu den Sternen. Während sie zusammen geritten waren, hatte er manchmal geglaubt, seine Träume könnten wahr werden und Ami würde mit ihm fortgehen, ihre Prinzessinnenwürde hinter sich lassen und an seiner Seite ein anderes Leben führen. Doch das war nun natürlich nicht mehr möglich. Früher hatte er sie aus der Ferne angehimmelt und obwohl sich alles geändert hatte, war dieser Umstand genau wie vor ihrem Abenteuer. Im Augenblick wurde nicht über eine Heirat der Prinzessin gesprochen und das erleichterte Albin. Doch er wusste auch, dass dieser Tag kommen und dass er hier an ihrer Seite bleiben würde. Ganz egal, wen sie heiratete. Denn er kam dafür natürlich nicht in Frage. Er war vernünftig genug, all das einzusehen. Seiner Liebe zu ihr tat das jedoch keinen Abbruch.
Mit einem kurzen Nicken begrüßte er Kaj und Rojan, die bereits an dem langen Tisch im Schatten des Turmes saßen und aßen. Dann ließ er sich nieder und streichelte Raba. Rheys’ Hündin lebte seit ihrer Rückkehr aus dem Norden im Bergfried und nicht mehr im Zwinger bei den anderen Hunden, die von der Königsgarde für Jagd und Kampf gezüchtet wurden. Sie war sozusagen im Ruhestand und lag nun entspannt unter der Bank, wo sie den Sonnenschein genoss. Dennit schob ihm einen Bierkrug herüber. Meistens aßen sie schweigend, doch das machte Albin nichts aus. Die Männer waren seine Freunde und der Bergfried war der einzige Ort in der Burg, wo er sich wirklich wohl fühlte. Beim Ausspionieren der Kronräte und der geschwätzigen Höflinge kam ihm sein jahrelanges Dasein als unscheinbarer Winzling gelegen. Obwohl er größer geworden war, konnte er sich immer noch in stille Winkel drücken und so unauffällig in Räumen bewegen, dass niemand ihn wahrnahm. Aber man beobachtete ihn und er musste immer damit rechnen, von jemandem angegriffen zu werden. Trotz der Hinrichtung der Verräter von damals, gab es noch immer Männer in der Eisenfaust, denen alles zuzutrauen war. Hier bei den Wölfen jedoch wusste Albin, dass er sicher war.
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