Albin nickte ihr zu und lächelte. Frau Dhanea erschien hinter Amileehna wie ein düsterer Schatten. Es war Zeit für die Prinzessin zu gehen, denn das Essen war vorbei. Bis sie sich von der Tafel abwandte, ruhte ihr Blick auf Albin. Dann verschwand sie.
„ Du wirst noch einen elenden Hungertod sterben, wenn du während jeder Mahlzeit nur die Prinzessin anstarrst“, sagte Dennit und schob ihm einen Teller zu. Die Stimme riss Albin aus seinen Gedanken und plötzlich hörte er wieder den Lärm und der Halle. Der Geruch des Essens stieg verführerisch in seine Nase und sein Magen rumorte. Er machte sich wortlos über seine Mahlzeit her.
„ Ich glaube nicht, dass die Gefahr besteht“, sagte Rheys spöttisch. „Wenn sie nicht mehr zu sehen ist, schlingt er alles in sich hinein, was auf dem Tisch steht.“
Es störte Albin nicht, dass sich die Wölfe über ihn lustig machten. Sie alle wussten, dass seine Liebe zu Amileehna alles andere als Schwärmerei war. Sie hatten gesehen, wie er mehr als ein Mal sein Leben für sie riskiert hatte. Deshalb respektierten sie ihn um so mehr und sahen ihn als Mitglied ihrer Truppe an, auch wenn sie das niemals laut ausgesprochen hätten. Albin spürte hinter ihren höhnischen Worten keine Bosheit. Während er aß und trank, verließ auch das Königspaar die Tafel und die Stimmung in der Halle löste sich spürbar. Ein paar junge Hofdamen kamen an ihren Tisch herüber und schäkerten mit den Männern. Die meisten der Gardisten waren von niederem Stand, doch irgendetwas an ihnen zog die Frauen an wie der Fackelschein die Nachtfalter anzog. Auch Jessy, die in ihrer Männerkleidung auffälliger war als im buntesten Kleid, setzte sich zu ihnen. Das Gelächter und der lauter und schneller werdende Rhythmus von Trommel und Flöte machten Albin müde. Außerdem hatte er viel Wein getrunken und das führte immer dazu, dass er sich wie ein Zuschauer fühlte, der gar nicht Teil dieser gut gelaunten Gruppe war. Er ertappte sich dann dabei, wie er die weiten Ausschnitte der Damen betrachtete und darüber nachdachte, wie sich diese weiße Haut wohl anfühlen mochte. Er beobachtete, wie sie lachten und sich bewegten, während sie mit Männern sprachen und wusste nicht genau, ob er es abstoßend oder faszinierend fand. Jessy war ganz anders, nicht nur, weil sie sich nicht herausputzte, wie die anderen. Albin fand sie sehr hübsch mit ihrem langen braunen Haar und den dunklen Augen. Aber für ihn war sie so etwas wie eine Schwester - viel mehr als eine Freundin. Sie konnte er nicht so ansehen wie die anderen Frauen. Nun stand sie von der Bank auf und beugte sich herunter um Rheys etwas zu sagen. Er antwortete nicht, schaute sie nicht einmal an, aber irgendetwas passierte zwischen ihnen, das Albin noch sehr viel interessanter fand als das offenkundige Getändel der anderen. Es war fast unsichtbar, manchmal flüsterten sie oder warfen sich Blicke zu. Es gab kaum jemals eine Berührung, die jemandem hätte auffallen können. Trotzdem bestand eine Vertrautheit zwischen ihnen, die er nicht verstehen konnte. Kyra und Bosco ließen kaum die Finger voneinander, meistens saß sie auf seinem Schoß und Bosco machte schmutzige Witze und vergrub das Gesicht in ihrem üppigen blonden Haar. Die beiden lachten zusammen, tanzten und neckten sich. So etwas konnte er nachvollziehen. Falls er Amileehna jemals nahe genug kam, würde er sie mit Zärtlichkeiten überschütten, so viel wusste er.
Langsam wurden der Lärm und die Hitze von Kerzen und Feuerschalen erdrückend und Albin wollte gerade aufstehen, da setzte sich eine junge Frau neben ihn. Er blinzelte verwirrt über die plötzliche Nähe. Ihr schweres Parfum stieg ihm in die Nase.
„ Guten Abend, Herr Albin“, sagte sie und lächelte. Ihre Lippen glänzten. Albin konnte sich nicht erinnern, ob er sie kannte. Seine Gedanken steckten in einem zähen Morast aus zu viel Wein und ungestillten Sehnsüchten fest.
„ Guten Abend“, antwortete er, ohne es wirklich zu merken. Sie rückte noch ein Stück näher. Er konnte die Sommersprossen auf ihren Brüsten sehen. Ruckartig stand er auf und stieß dabei so heftig gegen den Tisch, dass ein paar Becher umfielen. Sein Gesicht brannte und war bestimmt tief rot verfärbt.
„ Ich wollte gerade gehen“, murmelte er und versuchte, seine zu langen Beine unter der Bank herauszuziehen.
„ Wie schade“, antwortete das Mädchen. „Ich hatte auf einen Tanz mit Euch gehofft.“
Ohne ein weiteres Wort floh Albin aus der Halle. Er hatte das Gefühl, zu ersticken und erst die kühle Nachtluft linderte die Panik ein wenig. Schwer atmend lief er ein paar Schritte und lehnte sich dann an die Mauer. Er hatte keine Angst vor Frauen, im Gegenteil. Nichts reizte ihn mehr, als ihren sämtlichen Geheimnissen endlich auf den Grund zu gehen. Aber er liebte Amileehna und allein der Gedanke daran, ein anderes Mädchen zu berühren, schmerzte ihn. Niemals würde er ihr wieder in die Augen schauen können. Die große Schwierigkeit bestand nur darin, dass sein Körper mit diesem ehrbaren Vorsatz ganz und gar nicht einverstanden war.
Früh am nächsten Morgen ging Albin gedankenverloren über den Hof. Die Sonne schickte gerade die ersten zaghaften Strahlen über die Zinnen. Ein barfüßiges Dienstmädchen fütterte die Hühner und der Duft von frisch gebackenem Brot wehte ihm entgegen. Doch viel regte sich noch nicht um diese Zeit, besonders nicht im Palast, den er jetzt betrat. Die Große Halle war frisch gefegt, die Tische gereinigt und nichts erinnerte mehr an den gestrigen Abend. Die Diener waren schon in der Morgendämmerung aufgestanden um die Spuren des abendlichen Gelages zu beseitigen und eventuelle Übernachtungsgäste, die den Weg in ihre Betten nicht mehr gefunden hatten, hinaus zu werfen. Der Hof würde erst in etwa einer Stunde hier zum Frühstück erscheinen. Wer vorher etwas essen wollte, ging direkt in die Küche. Dort war Albin bereits gewesen und hatte sich von Kyra mit noch warmen Brötchen und süßer Marmelade füttern lassen. Er stand immer früh auf. Während ihrer Reise hatte er ein sicheres Gespür dafür entwickelt, wann der Morgen graute und wachte davon auf, auch wenn die Vorhänge in seinem Fenster das Licht aussperrten. Als er nun durch die menschenleeren Gänge wanderte, war er sich sicher, dass der Mann, den er aufsuchen wollte, auch schon seit geraumer Zeit wach war. Die Palastwachen nickten ihm freundlich zu. Hier im ersten Stock, wo die Kronräte ihre Wohnungen hatten, durfte er sich frei bewegen. Schließlich erreichte er sein Ziel und klopfte an die Tür. Drinnen hörte er eine gedämpfte Unterhaltung, und dann ertönte eine laute Stimme.
„ Nur herein!“
Albin öffnete und betrat das karg eingerichtete Arbeitszimmer von Fabesto. Der Mann hob überrascht die buschigen grauen Augenbrauen, als er Albin sah.
„ Guten Morgen, mein Junge“, sagte er. „Du bist früh auf den Beinen.“
„ Ich wollte etwas dringendes mit dir… Euch besprechen“, antwortete Albin und warf einen Blick zu Fabestos Gesprächspartner hinüber. Es handelte sich um Terent, ein anderes Mitglied des Kronrats aus einem alten Adelsgeschlecht. Albin wusste nicht genau, wo er ihn einordnen sollte. Er hatte alle Kronräte genau beobachtet und konnte einschätzen, ob sie Amileehna einmal nützlich sein oder gegen sie arbeiten würden. Aus Terent wurde er jedoch nicht schlau.
„ Guten Morgen, Herr“, sagte er höflich und verneigte sich leicht. Er spürte den amüsierten Blick des fein gekleideten Mannes auf sich und war wieder einmal froh darüber, dass die meisten Menschen in der Burg ihn für einen dummen Jungen hielten.
„ Waren wir fertig, Terent?“ fragte Fabesto nun.
„ Bitte, ich möchte dich nicht länger aufhalten“, sagte er und wandte sich der Tür zu. Dabei klopfte er Albin im Vorbeigehen auf die Schulter. Obwohl Albin groß genug war, um ihm in die Augen zu schauen, tat er es nicht, sondern blickte respektvoll zu Boden. „Sicher hat unser kleiner Archivar hier wichtiges mit dir zu besprechen.“
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