1 ...8 9 10 12 13 14 ...37 „ Ich habe heute Nachmittag keine Wache“, sagte Dennit. „Gehen wir ins Kriegerlager und suchen uns ein paar Jungen zum Würfeln?“
Albin wischte die letzten Reste Bratenfett auf seinem Teller mit einem Stück Brot auf und stopfte es sich in den Mund. In letzter Zeit hatte er unglaublichen Hunger. Trotzdem nahm er nicht zu. Er übte sich regelmäßig mit Dennit im Schwertkampf, saß häufig im Sattel und half manchmal auch im Stall mit. Seine Muskeln wurden immer stärker und sein Körper schien kein Fett mehr anzusetzen, nachdem er es erst einmal verloren hatte.
„ Eigentlich wollte ich in die Stadt“, antwortete Albin.
Abends unternahm er häufig etwas mit Dennit. Sie gingen in Gasthäuser in Ovesta oder spielten und tranken im Kriegerlager. Dennit war immer gut gelaunt und sein Charme lockte Männer und vor allem junge Frauen an, die gerne mit den beiden jungen, kampferprobten Helden von den Nebelklippen ihre Zeit verbringen wollten. Albin hielt sich dabei stets zurück und überließ Dennit das Reden - und auch die Frauen. Aber es machte ihm trotzdem Spaß. Heute hatte er jedoch andere Pläne.
„ Es gibt eine Versammlung in der Stadt. Die Eigentümer der wichtigsten Handelshäuser treffen zusammen um irgendwelche Abkommen mit dem Südland zu besprechen. Da möchte ich mich umhören.“
„ Sei bloß vorsichtig bei deiner Schnüffelei“, sagte Talis. Albin hatte bereits gelernt, seine grimmige Miene nicht misszuverstehen. Er war ein ebenso aufrechter Kerl wie die anderen. „Irgendwann findest du dich im Straßengraben wieder - mit einem eingeschlagenen Schädel.“
„ Ich passe schon auf“, antwortete Albin. Er klopfte auf den Dolch an seinem Gürtel. Ein Schwert trug er nicht, wenn er sich in der Stadt herumtrieb, das wäre zu auffällig gewesen. Und er ritt auch nicht auf seinem prächtigen schwarzen Hengst Arro, sondern ging zu Fuß. So konnte er ohnehin besser hören, worüber die Menschen in den Straßen sprachen. Im Großen und Ganzen war man in Ovesta sehr angetan von der Idee, dass eine Frau auf dem Thron sitzen sollte. Die Leute mochten Amileehna und achteten ihren Mut beim Kampf gegen Skarphedinn. Er hörte kaum jemals etwas Schlechtes über sie. Aber bis zu Tychons Tod hatte man die Prinzessin kaum wahrgenommen. Jetzt konnte niemand genau einschätzen, wie sie war und ob sie eine gute Königin sein würde. Diese Ausgangslage fand Albin eigentlich günstig und das hatte er ihr auch schon gesagt. Er nutzte jede Gelegenheit um sie zu bestärken, denn die Aufgabe, die sie erfüllen musste, machte ihr große Angst. Das wusste er, auch wenn sie es niemals zugeben würde. Und er würde alles tun, um ihr Mut zu machen.
Die Große Halle war bereits voller Menschen, als Albin durch das Eingangsportal eintrat. Nach seinem Ausflug nach Ovesta hatte er sich in seiner kleinen Wohnung im Prinzenbau noch gewaschen und umgezogen und nun bahnte er sich einen Weg durch die Menge zu seinem Platz am unteren Ende der Tafel. Hier saßen die Wölfe, die keinen Dienst hatten zusammen mit ein paar jungen Männern, die gerade ihre letzten Monate im Kriegerlager verbrachten. Jeder von ihnen, ganz egal ob von edler Herkunft oder nicht, hoffte, in die Königsgarde aufgenommen zu werden. Deshalb nutzten sie jeden Moment um Althan von ihren Qualitäten zu überzeugen. Albin wusste, dass es aber nicht der bald ausscheidende Anführer der Garde war, sondern Rheys, der sich gewissenhaft die Männer aussuchte, die in Zukunft Amileehna und ihre Familie schützen würden. Die meisten wagten es aber nicht, Rheys ungefragt anzusprechen.
Während alle Anwesenden sich langsam zu ihren Sitzen begaben, ertönte Trommelklang und man erhob sich, als der König eintrat. Die Gespräche verstummten und die Köpfe neigten sich voller Ehrerbietung. Albin sah jedoch auf. Seit er nicht mehr an den Sitzungen des Kronrats teilnehmen durfte, sah er den König nur selten. Der einst so respekteinflößende Mann hatte sich stark verändert. Der Verlust seines Sohnes hatte ihn altern lassen. Er wirkte beinahe gebrechlich, sein Haar war schütter geworden, seine Wangen grau und eingefallen. Vor einiger Zeit hatte ihn eine mysteriöse Krankheit heimgesucht, die seine linke Körperseite zeitweise lähmte und ihn zwang, am Stock zu gehen. Jessy sagte, das Blut in seinem Gehirn fließe womöglich nicht mehr richtig und deshalb seien darin gewisse Bereiche beschädigt worden. Albin fand das alles hochinteressant. Die Menschen in Jessys Welt schienen unheimlich viel über den menschlichen Körper zu wissen. Trotzdem gab es für so ein Leiden auch dort keine Heilung. Zu diesem Schluss konnte auch jeder einfache Westländer kommen, wenn er den König ansah. Ami würde wahrscheinlich früher die Krone tragen müssen, als sie ahnte…
Der König verharrte einen Moment, wie er es immer tat. Die Königin trat in den Saal und Albin hörte die Hofdamen anerkennend murmeln, wie immer, wenn sie Kleid und Frisur ihrer Herrin bewunderten. Ihr Mann rückte ihr den Stuhl zurecht, eine liebevolle Tradition, die er trotz seiner Schwäche nicht aufgegeben hatte. Königin Sílean verzog keine Miene, ließ den Blick ihrer kalten schmalen Augen aber abschätzend über die versammelten Menschen wandern, als wolle sie prüfen, ob sich auch ja kein unerwünschter Gast eingeschlichen hatte. Albin zog instinktiv den Kopf ein, aber sein rotes Haar ließ sich nur schlecht verbergen. Dann betrat die Prinzessin die Halle und das Wispern und Murmeln schwoll noch einmal an. Ob es wohlwollend war oder nicht konnte Albin nicht genau beurteilen. Seine Konzentration kam ihm in diesem Moment immer etwas abhanden, denn sein Blick hing an Ami und er konnte kaum etwas anderes wahrnehmen. Heute trug sie ein hellgrünes Kleid mit goldenen Stickereien. Die Farbe ließ sie blass wirken, aber das Gold brachte ihre Augen zum Strahlen. Das Kleid war eng aber hochgeschlossen und sie sah darin aus wie eine Puppe. Ihr Haar war aufgesteckt und Diamanten glitzerten darin. Sie war wunderschön, doch Albin interessierte sich nur für den müden und angestrengten Ausdruck in ihrem Gesicht. Sie sah niemanden an und setzte sich still auf ihren Platz. Das Essen begann, doch Albin merkte kaum, wie die Teller vor ihm abgestellt wurden. Wie immer aß Ami kaum und beteiligte sich so wenig wie möglich am Tischgespräch. Er sah genau, wie oft ihre Mutter ihr etwas zuflüsterte und dabei immer ärgerlicher wurde. Natürlich sollte die Prinzessin mit den Kronräten und deren Frauen an der Hohen Tafel eine Unterhaltung führen und ihre Intelligenz und gute Erziehung präsentieren. Doch sie wusste nie, was sie sagen sollte und hasste das Essen, bei dem sie angestarrt wurde wie Ware an einem Marktstand. Jeden Abend schaute Albin zu ihr hin, bis sie irgendwann den Blick von ihrem Teller hob und sich in der Halle umsah. Sie schaute hinüber zu Jessy und als nächstes zu ihm, als wollte sie jeden Tag aufs Neue sichergehen, dass ihre Freunde hier waren. Albin lächelte ihr zu und sie erwiderte es, doch dann wurde sie von einem Tischnachbarn abgelenkt. Als sie das nächste Mal herüber sah, schnitt er eine Grimasse. Ami kniff die Lippen zusammen um ein lautes Lachen zu unterdrücken. Ihr Gesicht entspannte sich. Obwohl zwischen ihnen hundert Menschen saßen, hatte Albin das Gefühl, dass sie ganz allein waren und ihre gesamte Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet war. Sie brauchte kein Wort zu sagen, er konnte all ihre Gefühle und Gedanken an ihrem Gesicht ablesen, so gut kannte er es. Er hob den Finger um ihr zu zeigen, dass sie einen Moment warten sollte. Dann zog er ein kleines Glas mit einem Korken aus seiner Tasche. Schnell versicherte er sich, dass Ami noch immer herüber sah. Sie beugte sich ein wenig vor und runzelte die Stirn, wie immer wenn sie neugierig oder gespannt war. Albin schüttelte das Glas ein wenig, um den Insassen etwas zu beleben. Dann öffnete er es und heraus flatterte ein kleiner gelb-blauer Schmetterling. Er hatte ihn an diesem Nachmittag gefangen. Kaum jemandem fiel das kleine Tier auf, das sich wie ein schillerndes Blütenblatt durch die stickige Luft bewegte und zur Decke aufstieg. Albin schaute nur auf Ami. Er sah, wie Überraschung und Freude ihre Miene erhellten und sein Herz zog sich zusammen. Wie gerne hätte er diese Freude für immer in ihr Gesicht gezaubert. Damit sie jede Minute ihres Lebens glücklich sein konnte. Aber dazu gehörte viel mehr, als einen Schmetterling fliegen zu lassen. Ami hatte ihre Tischnachbarn völlig vergessen und beobachtete, wie er nun immer höher flatterte und schließlich durch eine der Fensteröffnungen nach draußen verschwand. Sie schaute zu Albin zurück und ihre Lippen formten das Wort „Danke.“
Читать дальше