„…gen unter schwerem Feuer …“
Eine Explosion zerriss die Meldung, die Gillespie nur unvollständig gehört hatte und es war wieder still.
„Alpha-Four-One, bitte kommen, Alpha-Four-One, kommen, over.“
Gillespie wartete einige Augenblicke und wiederholte seinen Funkruf. Als wieder nichts zu hören war und der Helikopter nur noch zwei Kilometer vom Kampfschauplatz entfernt war, wechselte er auf die Kommandofrequenz und nahm Verbindung mit der Basis auf. Er kam jedoch nicht dazu, Bericht zu erstatten, da plötzlich eine ganz andere Stimme in seinem Ohrhörer war und mit eiskalter Stimme zu sprechen begann. Gillespie sah durch die Kanzel seines Cockpits nach draußen und konnte die Angreifer jetzt schon mit freiem Auge sehen, wie sie auf dem Schneefeld langsam vorrückten und mit aller Macht eine Gruppe von Gesteinsbrocken in dem anschließenden Geröllfeld unter Beschuss nahmen. Hinten entsicherten die Crew Chiefs die schweren Gatling-Kanonen und machten sich bereit, einen wahren Regen aus Tod und Verderben auf die Angreifer niedergehen zu lassen. Gillespie hörte immer noch die Stimme, die ruhig Befehle vorgab und sein Gesichtsausdruck verhärtete sich.
„Bitte wiederholen, Adam-Three-Two. Ich soll was ? “
Erneut vernahm Gillespie die Worte und konnte nicht glauben, was er da hörte.
„Negativ, Three-Two. Die werden abgeschlachtet da unten. Wir müssen dringend evakuieren, over.“
Nun wurde die Stimme lauter und eindringlicher, die Botschaft blieb aber dieselbe.
„Sofort abbrechen, ich wiederhole, sofort abbrechen. Kehren Sie sofort zur Basis zurück und verwickeln Sie sich in keinerlei Kampfhandlungen. Das ist ein Befehl! Haben Sie das verstanden, Kilo-Three-Two?“
Gillespies Kehle war wie ausgetrocknet, er brachte kein Wort heraus. Der Hubschrauber näherte sich der Geröllhalde aus westlicher Richtung und befand sich nur mehr wenige Meter von den größeren Gesteinsbrocken entfernt. Der Pilot konnte vereinzelt Bewegung dort unten zwischen den Steinen erkennen.
„Mike, wann verdammt eröffnen wir das Feuer?“ brüllte einer der Crew Chiefs hinten im Laderaum. Er hatte ein Überangebot an Zielen und konnte sich kaum noch zurückhalten. Doch Gillespie hörte ihn nicht. Als er den Blackhawk nur wenige Meter über den unter schwerem Beschuss liegenden Amerikanern in einen unruhigen Schwebeflug übergehen ließ, erkannte er einen der Deltas unten am Boden. Der Mann schoss auf die Angreifer und deutete zwischen den Feuerstößen immer nach oben zum Hubschrauber. Gillespie konnte das Weiße in den Augen des Mannes erkennen, der wild gestikulierend auf die Landefläche zeigte und dem Hubschrauber bedeutete, endlich aufzusetzen. Gillespie war unschlüssig, ob er den klaren Befehl missachten und einfach die Männer evakuieren sollte. Während mehrere Projektile die kugelsichere Kanzel des Hawks trafen, betätigte er wieder das Funkgerät.
„Adam-Three-Two, hier werden alle draufgehen, wenn ich jetzt einfach abhaue. Dieser Befehl kann nicht Ihr Ernst sein, over.“
Die wütende Stimme des Befehlshabers der Basis in Kasachstan widerlegte diese Vermutung.
„Verdammt, Gillespie, wenn Sie nicht sofort da abhauen, dann stelle ich Sie höchstpersönlich vors Kriegsgericht und erschieße Sie anschließend. Mission sofort abbrechen, sofortiger Abbruch! Der Befehl kommt von ganz oben und ich werde ihn nicht noch einmal wiederholen, kapiert!“
Noch einmal trafen sich Gillespies Blicke mit denen des Sergeants unten am Schlachtfeld für einen endlos anmutenden Augenblick. Dann schloss Gillespie die Augen und wandte sich angewidert ab. Er erhöhte die Leistung der Turbinen und zog die Nase hoch.
„Roger!“ würgte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, als er zur Seite wegkippte und im Schutz des Abhanges Richtung Westen davonflog.
„He, was soll das, verdammt!“ brüllte einer der Crew Chiefs, doch Gillespie hörte ihn kaum. Tränen verschleierten seinen Blick auf die Instrumente, als er die Schreie auf der Frequenz des Bodenteams noch einmal in seinem Ohrhörer vernahm. Gillespie klinkte sich nach einem letzten Schrei aus der Frequenz aus und erhöhte den Schub weiter. Nie würde er diese Schreie vergessen, das wusste er. Und er sollte Recht damit behalten.
Als er den Hubschrauber abdrehen sah, brach für First Sergeant Steven Crowe eine Welt zusammen. Ungläubig schnappte er sich das Mikro des Funkgerätes, ignorierte die wie zornige Insekten durchs Geröll rasenden Querschläger und betätigte die Sprechtaste.
„Verdammt, was soll das! Holt uns hier raus, wir können nicht mehr lange durchhalten. Ich wiederhole: Dringende Evakuierung, over.“
Der Hubschrauber flog weiter und raste den Abhang hinunter. Crowe starrte ihm ungläubig hinterher, als er erneut die Sprechtaste drückte und ins Mikro brüllte.
„Alpha-Four-One an Adam-Three-Two! Der verdammte Heli verpisst sich gerade. Was soll das? Sagen Sie dem Irren, er soll sofort wieder hier hochkommen und uns hier rausholen, zum Teufel.“
Crowe wartete und feuerte über die Schulter des Deltas, der vor ihm kniete und das Funkgerät trug. Er kontrollierte hastig, ob das Gerät defekt war, da es nur noch statisches Rauschen von sich gab. Erneut drückte er die Sprechtaste und holte Luft für eine weitere gebrüllte Meldung, als direkt hinter Corporal Sanchez eine Mörsergranate einschlug. Das Krachen der Explosion zerriss die Luft und die Druckwelle schleuderte Crowe nach hinten. Die Schrapnelle der Granate fetzten durch die Felsbrocken und schickten einen weiteren Delta-Operator zu Boden. Immer noch hielt Crowe die Sprechtaste gedrückt, als er das kaum noch menschlich klingende Kreischen des Corporals hörte, der beinahe die gesamte Wucht der Granate abbekommen hatte.
Crowe ließ das Mikro los und kam mühsam wieder auf die Beine. Sein Gehör funktionierte nur eingeschränkt, war durch die andauernden Explosionen und den Granatentreffer schwer beleidigt. Er fand seinen Karabiner und sah sich kurz um. Sanchez kreischte nicht mehr, sondern lag regungslos in einer sich immer weiter ausbreitenden Blutlache. Beide Beine des Corporals und der größte Teil seines Unterleibes waren nicht mehr da. Der Mann war tot. Crowe war wie in Trance, als er durch den kleinen Ring stolperte, den die großen Felsbrocken bildeten und in dem sich sein Team verschanzt hielt. Er hörte immer weniger, sein Helm hatte sich mitsamt seinem Headset verabschiedet und er schien das Kommando über seine Truppe zu verlieren.
Dann sah er den ersten Chinesen um einen der Felsbrocken biegen und schoss ihm direkt ins Gesicht. Geräuschlos fiel der Mann nach hinten um, sein Sturmgewehr flog durch die Luft und landete irgendwo hinter Crowe. Hastig blickte er sich um und sah die Handgranate, die von einem der Felsbrocken abprallte und etwa zwei Meter neben ihm liegen blieb. Crowe hechtete nach vorne, ergriff die Granate und schleuderte sie aus dem Felskessel heraus. Er hörte die Explosion nur sehr dumpf, die Schreie der Chinesen hörte er nicht. Kurz blickte er sich um und zählte vier Mann, die noch aufrecht standen oder knieten und sich wehrten. Der Rest des ursprünglich zwölf Soldaten umfassenden Delta-Teams lag regungslos oder tot zwischen den scharfen Felsbrocken. Hier, zwischen diesen Felsen würden sie es keine zwei Minuten mehr machen, wusste Crowe und fasste seinen Entschluss. Er tippte den vier Männern auf die Schultern und deutete nach Westen. Die Männer nickten und folgten ihm. Ihren toten Kameraden nahmen sie so schnell es ging Magazine und Handgranaten weg, dann schlüpften sie zwischen den westlichsten Felsbrocken hindurch und ließen den Kessel hinter sich.
Crowe stürmte voran und erschoss einen Chinesen, der von rechts auftauchte. Ein zweiter gab noch einen Schuss ab und fällte Sergeant Willy MacKenzie, der umfiel wie ein Stein. Es blieb bei diesem einen Schuss, bevor eine Salve aus Staff Sergeant Boyers M4 ihm den Kopf wegsprengte.
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