Sie beugte sich vor und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Er schlang seine Arme um sie. „Ich habe Dich auch lieb Mama.“
Bridget stand auf und machte das Licht aus. Die Tür ließ sie angelehnt. Bradley war in der Küche und hatte schon das Geschirr gewaschen. Bridget war ziemlich verwirrt. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Dieser Mann schien perfekt zu sein. Er goss ihnen beiden noch Rotwein ein und reichte ihr ein Glas. Er stieß mit ihr an und sah ihr dabei fest in die Augen. „Thomas ist ein liebenswürdiger Junge. Sie haben ihn gut erzogen, Bridget, Sie können stolz auf sich sein.“ Bridget errötete verlegen.
„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ja, Thomas ist ein toller Junge, er macht es mir einfach, zumindest meistens.“ Sie lachte. „Und er hat es sichtlich genossen mit Ihnen heute Abend. Vielen Dank für das Messer! Er hat sich schon lange so eins gewünscht, aber ich fand es immer zu gefährlich.“
Bradley lachte leise. „Ja ich weiß, Mütter sind meistens übervorsichtig und packen die Kinder in Watte. Aber, sagen Sie, wo ist sein Vater? Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen zu nahetrete.“
„Nein, nein, ist schon gut. Thomas Vater hat uns verlassen, als ich schwanger war.
Er hat seinen Sohn nie kennengelernt und auch nie nach ihm gefragt. Ich weiß nicht einmal, wo er lebt. Ob er überhaupt noch lebt.“ Bridget lachte verlegen.
„Das tut mir sehr leid! Ich hoffe, er findet in unserem Fußballverein einen Ausgleich und neue Freunde.“
„Ja, da bin ich mir ganz sicher. Ich danke Ihnen für ihre Freundlichkeit, Bradley.“
„Nennen Sie mich ruhig Brad, wie die Kinder. Sollen wir uns nicht duzen? Ich fand den Abend wirklich sehr schön und das Essen war köstlich. Aber jetzt gehe ich besser.“
„Vielen Dank für den schönen Abend, Brad. Ich hoffe, Du kommst uns mal wieder besuchen.“
Bradley war schon an der Tür. Er wollte einer möglichen unangenehmen Situation ausweichen, indem er räumliche Distanz schuf.
„Sehr gerne Bridget. Vielleicht grillen wir das nächste Mal, wenn das Wetter mitmacht.“ Er öffnete die Tür und trat hinaus.
„Das ist eine gute Idee. Bis zum nächsten Mal. Auf Wiedersehen.“
„Gute Nacht, Bridget. Schlaf gut!“
Er verschwand in der Dunkelheit.
Bridget schloss die Tür und ging lächelnd ins Wohnzimmer zurück. Sie trank ihren Rotwein aus und ging dann ins Bad um sich bettfertig zu machen. Ihr Herz hüpfte freudig bei der Aussicht auf weitere schöne Tage mit diesem Mann.
Brad ging zu Fuß nach Hause. Die frische Luft tat ihm gut. Diese Bridget war einsam, es wird ein leichtes Spiel, sie herum zu kriegen. Und ein weiterer Pluspunkt war, dass kein Kontakt zu Thomas Vater bestand. Somit waren eventuelle Komplikationen ausgeschaltet.
Die Erinnerung an Thomas glänzende Augen, wie sie ihn ansahen, so unschuldig vertrauend, erregten ihn. Er stellte sich vor, wie er ihn ins Bett brachte, zudeckte, küsste. In dieser Minute traf er eine Entscheidung und fasste einen Plan.
Benjamin war gebürtiger Syrer. Aber seine Familie war bereits vor 20 Jahren nach England ausgewandert.
Lange vor dem Krieg. Doch er wurde vom syrischen Militär eingezogen, als er fünfundzwanzig Jahre alt war. Er kämpfte und tötete und war sich selbst nicht sicher, ob er damit leben konnte, oder nicht. Er war froh, als er wegen einer Verletzung aus dem Militärdienst ausschied und von einem ehemaligen Vorgesetzten aus der Armee als Fahrer angeheuert wurde. Als er zusagte, wusste er nicht, was er fahren würde. Es war ihm auch egal. Er machte einfach, was man ihm auftrug. Er hatte schon genug mit sich selbst zu tun. Die nächtlichen Flashbacks raubten ihm den Schlaf. Er nahm Beruhigungsmittel und rauchte ab und zu einen Joint. Er war jetzt zweiunddreißig Jahre alt, trug einen Vollbart und war von durchtrainierter Statur. Sein erster Auftrag führte ihn nach Italien, wo er minderjährige Flüchtlinge abholen sollte. Er sollte nur die Jüngsten holen und nur die Unbegleiteten.
Am Hafen bot sich ihm ein elendes Bild. Die Flüchtlinge waren allesamt in schlechter körperlicher Verfassung. Sie waren weit gereist unter schrecklichsten Bedingungen und voller Angst. Manche hatten es nicht geschafft und waren entweder unterwegs an Entkräftung gestorben oder ertrunken.
Die Kinder, die er herausfischte, waren verängstigt und müde. Die Behörden und Hilfskräfte ignorierten ihn, fast, als seien sie froh, dass sich jemand der Kinder annahm, wo die Regierung eh nicht wusste, wohin mit ihnen. Ein Platz für einen unbegleiteten Minderjährigen kostete den Staat das dreifache von einem Erwachsenen. Wenn sich jemand ihrer annahm, so wurde es geduldet und nicht hinterfragt. Man begründete es damit, dass die Kinder bereits Familienangehörige in Europa hätten, die sich ihrer annahmen. Rein statistisch galten sie als verschwunden, wenn ihr Aufenthalt nicht aktenkundig war. Und die Überprüfung konnte die italienische Regierung weder personell noch finanziell leisten. Es war das reinste Chaos, wenn die Boote ankamen. Die meisten von ihnen kamen aus Afghanistan, Libyen, Pakistan und Nigeria. Sprachen, die er weitestgehend bei Auslandseinsätzen der Armee gelernt hatte. Er konnte sich mit den meisten Kindern deshalb verständigen. Sie folgten ihm vertrauensselig zu seinem LKW. Da die Kinder auf ihrer weiten Reise schon so einiges erdulden mussten, nahmen sie die Fahrt in einem dunklen LKW ohne zu murren in Kauf.
Der Mann hatte ihnen schließlich versprochen, sie zu ihren Verwandten oder Pflegeeltern in Sicherheit zu bringen. Die dreiundvierzig Kinder waren zwischen sechs und sechzehn Jahre alt. Benjamin, wunderte sich einen kurzen Moment, wie so kleine Kinder die lange Flucht bewältigen konnten. Doch dann stieg er ein und fuhr los und dachte nur noch an das Geld, welches man ihm für die Fuhre versprochen hatte. Zehntausend Riesen, das war eine Menge Holz. Allerdings bekam er das Geld nur, wenn er die Kinder unbeschadet über die Grenzen nach England brachte. Die Fahrt würde vier Tage dauern, meistens würde er nachts fahren, denn tagsüber war es zu heiß im Laderaum. Tagsüber stand er abseits der befahrenen Routen im Schatten eines Baumes, öffnete hin und wieder die Hecktüren und gab den Kindern zu essen und zu trinken. Dann verschloss er den Laderaum wieder und legte sich in eine Hängematte oder in die Fahrerkabine. Er wusste, dass er die Hecktür alle zwei Stunden kurz öffnen musste, um Sauerstoff hinein zu lassen. Es war einmal einem Fahrer passiert, dass alle gestorben waren, weil er sich nicht an den Zeitplan gehalten hatte.
Benjamin fühlte sich zerrissen. Auf der einen Seite war er ein eiskalter Hund, auf der anderen Seite, berührten ihn die ängstlichen Augen der Kleinsten hinten, in seinem Laderaum. Wenn er die Hecktür öffnete und sie ihn übermüdet, hungrig und mit leeren Augen ansahen. Was mussten diese kleinen Geschöpfe schon durchgemacht haben. Sie hatten das einfach nicht verdient. Zwei Kinder hatten es ihm ganz besonders angetan. Ein kleines Mädchen mit lockigem Haar und ein kleiner Junge mit schmutzigem Gesicht. Sie saßen ganz vorne, an der Tür und er sah sie jedes Mal, wenn er anhielt. Vier Tage lang, alle zwei Stunden diese Blicke aushalten. Sie brannten sich in sein Gedächtnis und ließen ihn auch nachts nicht mehr los. Er träumte von ihnen und im Traum vermischten sich die Bilder des Krieges mit ihrem Schicksal. Am nächsten Morgen holte er die zwei aus dem Laderaum und erlaubte ihnen, bei ihm im Führerhaus zu sitzen. Das war zwar gegen die Regeln, aber er scherte sich einen Teufel darum. Er hatte nur die Aufgabe, die Kinder nach England zu bringen und dort in einem abgelegenen Dorf abzugeben. Und genau das würde er tun.
Beim nächsten Stopp telefonierte er mit seinem Chef. Dieser war beruhigt, dass Benjamin bereits die erste Landesgrenze reibungslos überquert hatte. Er war auch sehr angetan, dass der Fahrer den vorgegebenen Zeitplan bisher einhielt. Das hatten nur wenige bisher geschafft.
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