James lachte leise. „Ja, ich dachte schon er wird nie laufen. Er war wirklich spät dran, im Vergleich zu Sarah. Aber nun ist er der Beschützer seiner Schwester. Es hat auch sein Gutes gehabt, dass Sarah so krank geworden ist. Ich bin jeden Tag dankbar dafür, dass sie lebt und dass wir alle eine so wundervolle Familie sind. Ihr seid das Kostbarste, was ich habe.“ Er küsste Josie sanft und schob das Laptop weg.
Josie drängt sich an ihn, saugte seine Nähe und Liebe auf, wie eine Ausgehungerte. Sie liebten sich langsam und sanft und schliefen dann eng umschlungen ein.
Am nächsten Morgen war Lucy schon in der Küche und bereitete das Frühstück für alle. Josie lächelte sie an und bemerkte, wie schlecht Lucy aussah. Sie hatte tiefe graue Schatten unter den Augen, ihre Wangen waren eingefallen und ihr Blick war traurig und dunkel.
Josie legte die Hand auf ihre Schulter. „Lucy, wie geht es Dir? Hast Du schlecht geschlafen? Oder noch Alpträume?“
Lucy wand sich unter der Berührung. Eine Träne lief ihr über die Wange. „Kann ich gleich mit Dir reden? Ich muss Dir was sagen!“
Josie sah sie erschrocken an. Ihr wurde mit einem Mal bewusst, dass sie sich nur mit sich selbst beschäftigt hatte. Dabei musste es Lucy noch viel schlimmer gehen, schließlich war sie in den Fängen der Boko Haram gewesen. Und war diesem dreckigen Kerl Tage lang hilflos ausgeliefert. Sie wollte Lucy in den Arm nehmen, doch diese wich zurück. Sie konnte Berührungen noch nicht ertragen, auch wenn sie von Josie kamen. „Natürlich können wir reden. Gleich, wenn die Anderen weg sind?“ Lucy nickte und wischte sich die Träne weg, danach ging sie in ihr Zimmer. Anscheinend wollte sie nicht, dass die Anderen ihre Traurigkeit bemerkten.
Josie klopfte leise an ihre Zimmertür, nachdem sie James und die Kinder verabschiedet hatte.
„Ja bitte?“
„Darf ich hereinkommen?“
„Ja, natürlich. Komm rein Josie.“
„Was ist denn, Lucy? Möchtest Du nicht nach England, ist es das?“
Lucy schüttelte den Kopf. Sie saß am Schreibtisch und drehte sich langsam zu Josie um. „Setz Dich doch,“ sie deutete auf das frisch gemachte Bett.
„Ich habe meine Periode nicht bekommen. Seit drei Monaten nicht. Ich habe immer gehofft, es ist nur wegen dem Stress, aber jetzt ist mir morgens immer übel. Ich glaube, ich bin schwanger. Ich wollte es nur nicht wahrhaben. Ich habe es verdrängt und noch keinen Test gemacht. Ich habe mich nicht getraut. Josie, kannst Du mit mir in die Apotheke fahren und einen Test kaufen und bei mir bleiben? Ich habe solche Angst. Ein Kind von diesem Schwein wächst in meinem Bauch. Was soll ich nur tun?“ Sie fing an bitterlich zu weinen. In Josies Kopf drehte sich alles. Schwanger, von diesem Fiesling? „Ok, Lucy. Willst Du mit zur Apotheke, oder soll ich schnell allein fahren?
“Nein, ich komme mit. „Gemeinsam gingen sie zum Wagen und fuhren zur Apotheke. Es war ein heißer Tag, der Himmel war tiefblau und man hätte sich auf einen Pool-Tag freuen könne, doch die beiden Frauen saßen ohne zu reden im Auto und nahmen von dem sonnigen Wetter und der Umgebung nichts wahr. Sie kauften gleich zwei Test von unterschiedlichen Herstellern.
Dann fuhren sie den gleichen Weg wieder schweigend zurück. Lucy hielt die Schwangerschaftstests so fest in der Hand, dass der Karton ganz eingedrückt war und ihre Knöchel weiß hervortraten.
Josie legte eine Hand beruhigend auf ihren Oberschenkel und tätschelte ihn sanft und sagte:“ „Warum machst Du ihn nicht schon mal auf und liest die Gebrauchsanweisung?“
Josie wollte sie ablenken, was natürlich ein schwacher Versuch war.
Doch sie kamen ja nicht umhin, sie mussten sich mit der Situation auseinandersetzen und sehen, was das Resultat war.
Lucy verschwand gleich nach ihrer Ankunft im Bad. Josie kochte einen Kaffee für sie beide und merkte, wie ihre Hände zitterten. Es schien endlos zu dauern, bis Lucy wieder aus dem Bad kam. Die Test-Sticks in der Hand, ganz bleich um die Nase.
Die Journalistin nahm ihr die Plastikstäbe aus der Hand. Schwanger. Beide Tests zeigten dasselbe Resultat.
Lucy begann zu weinen. Josie nahm sie in den Arm, auch wenn sie wusste, dass es eine große
Überwindung für Lucy war, das zuzulassen.
Josies Magen krampfte sich zusammen. Verdammt. Schwanger, von diesem Ungeheuer. Wie sollte Lucy das aushalten. Abtreiben, oder das Kind austragen? Jede Entscheidung war eine deprimierende.
„Hast Du Dir schon Gedanken gemacht, Lucy? Was Du tun willst? Es behalten oder abtreiben oder es austragen und zur Adoption freigeben?“
Lucy setzte sich langsam aufs Sofa.
„Vielleicht ist es schon zu spät und ich kann gar nicht mehr abtreiben,“ sagte sie leise.
„Soweit ich weiß, gelten in solchen Fällen andere Regeln, Lucy. Aber vielleicht könntest Du auch einem kinderlosen Ehepaar helfen und das Kind zur Adoption freigeben. Das Würmchen kann ja nichts dafür und Du fühlst Dich vielleicht besser, als wenn Du es abtreiben lässt.“ Josie sah sie aufmunternd an und versuchte zu lächeln was ihr aber nicht wirklich gelang.
Lucy schaute sowieso auf den Boden und kriegte den kläglichen Versuch nicht mit.
„Ich denk drüber nach!
Manchmal will ich, dass dieses Etwas aus mir verschwindet und ich nicht immer an diese scheußliche Zeit erinnert werde, aber dann tröstet es mich auch, dass da etwas in mir heranwächst. Aber behalten will ich es glaube ich nicht, Josie. Ich kann es nicht. Ich würde jeden Tag nach einer Ähnlichkeit mit dem General suchen und wenn ich etwas entdecken würde, würde ich es nur hassen. Das wäre ungerecht.“ Lucy sah Josie traurig an.
Josie legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Du weißt, egal, wie Du Dich entscheidest, ich stehe hinter Dir! Und James auch. Solltest Du Dich für eine Abtreibung entscheiden, James wird Dir den Besten Arzt besorgen, den er kennt, glaube mir. Und niemand wird blöde Fragen stellen, das verspreche ich Dir!“
Josie machte eine kurze Pause. Dann sagte sie:“ Vielleicht sagst Du Philip und Sarah erstmal nichts., bis Du dich für eine Lösung entschieden hast, in Ordnung?“
Lucy nickte und sah wieder zu Boden. Dann sprach sie mit leiser, unsicherer Stimme: “Und wenn ich mich entscheide, das Kind zu behalten?
Müsste ich dann gehen, oder darf ich bei Euch bleiben?“ Sie sah Josie hoffnungsvoll an und
Tränen rannen über ihre Wangen.
„Natürlich darfst Du bleiben, Lucy, was für eine Frage. Wir sind doch eine Familie!“ Sie gab Lucy einen Nasenstüber und beide lachten erleichtert.
„Komm, lass uns was kochen für heute Abend, dann freuen sich James und die Kinder.“
Sie gingen in die Küche und bereiteten Sarahs und Philips Lieblingsessen vor. Spaghetti Bolognese.
Die Brasilianerin Linda Guerillarno kam aus ärmlichen Verhältnissen. Sie trieb sich deshalb abends in den Bars herum, wo viele US Soldaten verkehrten. Eines Tages hatte sich dann tatsächlich ein US Soldat in die rassige Frau verliebt und sie geschwängert. Das Mischlingskind nannten sie Claudia. Ihr Vater sagte immer, sie sei so wunderschön wie Claudia Schiffer, dabei hatte das hellbraune Kind nichts mit dem deutschen Model gemeinsam.
Ihre Haare waren zwar nicht so kraus wie die des Vaters, doch man konnte die schwarzen Gene nicht verleugnen.
Claudias Vater verließ die Familie drei Jahre später, weil er woanders stationiert wurde. Am Anfang rief er noch hin und wieder an, doch auch das versiegte nach ein paar Monaten. Fünf weitere Jahre schickte er Linda Geld, doch danach hörte auch das auf. Als alleinerziehende Mutter eines Mischlingskindes war Linda geächtet in ihrem Dorf. Sie war eine Soldatenschlampe. Einen brasilianischen Mann zu finden war damit unmöglich und andere Männer fanden jüngere und ungebundene Frauen ohne Kinder wesentlich attraktiver.
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