Meggan hatte sich bisher kaum um Geldangelegenheiten gekümmert. Besser, sie hatte sich nicht darum kümmern müssen. Für sie war immer gesorgt worden. Das Geld war einfach immer da, wenn sie es brauchte. Bisher hatte sich ausschließlich ihr Vater mit diesen für Meggan administrativen Aufgaben gewidmet. Nie hatte sie sich in der Vergangenheit über diese für sie eher langweiligen Finanzthemen Gedanken gemacht.
Meggan war in der Beziehung vollkommen sorgenfrei aufgewachsen. Das kam ihr nicht zuletzt während der Schulzeit zugute. Unbelastet von finanziellen Zwängen und Nöten konnte sie sich voll auf die Schule konzentrieren. Ihre Lernergebnisse waren dementsprechend überdurchschnittlich gut. Nach Abschluss der Schule war auch Meggan Lynskey, wie vor ihr schon ihr Vater, zum Trinity College in Dublin gegangen. Dort studierte sie sieben Semester Medizin, bis vor einigen Jahren ihre Mutter plötzlich gestorben war. Helen Lynskey war an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt. Und bevor die Krankheit überhaupt diagnostiziert und erkannt worden war, war es bereits zu spät. Die Metastasen hatten sich bereits auf weitere Organe ausgebreitet. Nach der Diagnose ging dann auch alles sehr schnell. Kaum drei Monate später starb Meggans Mutter bereits. Damals konnte sie ihren Vater, der auch nach so vielen Ehejahren seine Frau immer noch abgöttisch liebte und an ihr hing, nicht in seinem Schmerz und seiner Trauer allein lassen. Zu dem für ihren Vater so schmerzlichen Zeitpunkt beschloss Meggan, ein Semester mit dem Medizinstudium auszusetzen, um nach einem halben Jahr dann wieder einzusteigen. Dabei war es bisher geblieben. Irgendwie hatte sie die Kurve nicht wieder erwischt, nach Dublin zurück zu gehen und das Studium fortzusetzen.
Ein Grund mochte auch gewesen sein, dass sie es genoss, endlich mal für eine längere Zeit sesshaft zu sein. Meggans Vater war nämlich Zeit seines Lebens im auswärtigen Dienst tätig gewesen. Von diesen Auslandsaufenthalten hatte er viele seiner Exponate mitgebracht. Die Uhren, das Porzellan und einige Skulpturen aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen schmückten jetzt Lynskey –Manor .
Nach seiner Zeit im auswärtigen Dienst nutzte Howard seine dort geknüpften umfangreichen Kontakte für den Handel mit Waren aller Art. Das war für ihn ein lukratives Geschäft ohne geringstes Risiko. Er fungierte sozusagen nur als Vermittler zwischen Nachfrage und Angebot und erzielte dabei ausgesprochen lukrative Margen.
Häufig hatten Meggan und ihre Mutter Howard Lynskey bei seinen Auslandsaufenthalten begleitet, so dass Howards Tochter den Großteil ihrer Kindheit in den unterschiedlichsten Ländern verbracht hatte.
Das hatte neben den vielen Unannehmlichkeiten durchaus auch Vorteile gehabt. So fiel es Meggan leicht, fremde Sprachen zu erlernen oder sich neuen Situationen zu stellen. Sie war zwar nicht extrovertiert, aber man konnte sie absolut als kontaktfreudig bezeichnen.
Während ihres Studiums in Dublin war sie eine intensive Beziehung eingegangen mit ihrem damaligen Studienkollegen Brendan McGee. Für Meggan war es schon eine ernste Sache gewesen und sie hätte sich durchaus ein Leben mit Brendan nach dem Studium vorstellen können. Beide waren unzertrennlich gewesen. Brendan studierte ebenfalls Medizin, war aber bereits einige Semester länger am College als Meggan. Bis dann eines Tages seine Examina anstanden. Brendan erklärte Meggan kurz und knapp und ohne große Emotionen, dass ihre Beziehung ein Fehler war, und dass er seine Zeit nun für die Vorbereitung auf die Klausuren benötige und dass Schluss sei.
Einfach so.
Von Jetzt auf Gleich.
Ohne große Worte.
Als sei es das Normalste der Welt.
Beziehungen werden geboren, Beziehungen werden aufgelöst.
Schluss - Aus - Ende.
Es hatte nie wieder einen Kontakt zu Brendan gegeben.
Keinen Brief, keine Mail, keine SMS, kein Anruf.
Kurz darauf war dann auch die Nachricht vom Tod ihrer Mutter gekommen. Zwei Trennungen von zwei lieben Menschen. Das war auch für Meggan zuviel gewesen und hätte sie fast aus der Bahn geworfen. Damals war sie froh über die Frage ihres Vaters, ob sie ihm für einige Zeit beistehen könne. Doch daraus waren nun schon mehr als 2 Jahre geworden.
„Also gut“, fuhr Meggan weiter fort „wenn Sie mich bei meinen ersten Entscheidungen unterstützen, wie Sie angeboten haben, wäre ich einverstanden. Schließlich möchte ich dich, Vater, nicht enttäuschen bei meinen ersten monetären Gehversuchen.“
„Dann ist ja alles geklärt. Was ist jetzt konkret zu tun, Victor?“, fragte Howard Lynskey.
„Ich werde morgen die entsprechenden Verträge vorbereiten und die notwendigen Konten und Depots auf Namen Ihrer Tochter einrichten. Ich würde, falls es Ihnen auskommt, morgen Abend erneut zu Ihnen kommen, um die Verträge und sonstigen Unterlagen von Ihrer Tochter unterschreiben zu lassen.“
„Ich bin morgen Abend zwar nicht im Haus, ich glaube aber, dass ich nicht gebraucht werde. Reicht es aus, wenn meine Tochter Meggan anwesend ist?“
„Ja, ich benötige die Unterschriften lediglich von Ihnen, Meggan. Ist es Ihnen recht, wenn ich morgen Abend noch mal reinschaue?“
„Klar, gleiche Zeit?“
„Abgemacht, ich freue mich“, bestätigte Victor.
„Wir danken Ihnen nochmals recht herzlich, Victor, für die unkonventionelle Art und Weise der Beratung. Das hat uns ausgesprochen gut gefallen und überzeugt. Ich werde das in jedem Fall lobend bei meinem Freund Artur òToole erwähnen“, versprach Howard Lynskey.
Da es schon spät war, wählte Victor für den Rückweg von Letterkenny nach Doochary nicht den Weg durch den Nationalpark, den er nun üblicherweise nahm, sondern fuhr über die Hauptstraßen, die R250 Richtung Fintown und hinter Fintown weiter über die R252 nach Doochary und in Doochary hinter der Gweebarra Brücke links ab in die rechte Uferstrasse bis zum Haus seiner Mutter.
Auf dem gesamten Heimweg fühlte Victor sich federleicht. Er wurde von einem Glücksgefühl übermannt, das er bisher nicht kannte. Das irritierte ihn zutiefst. War es nur die Tatsache, dass seine Arbeit anerkannt worden war?
Oder war da noch etwas anderes?
Meggan?
Noch nie war er so lange in Gegenwart eines so attraktiven Mädchens gewesen. Noch nie hatte er bis dahin irgendetwas durch die Anwesenheit einer Frau gespürt. Er hatte doch bisher nur mit seiner Mutter mehr als fünf Sätze am Stück gesprochen.
Aber an diesem Abend war alles anders gewesen.
Was war das für ein Gefühl? Victor war verwirrt. Er kannte sich nicht aus.
Er merkte nur, es war ein gutes Gefühl, geheimnisvoll aber nicht unangenehm. Nervosität überkam ihn. Oder war es Angst vor dem nächsten Abend? Nein Angst war das falsche Wort, es war eine Mischung aus Ehrfurcht, Respekt, Bammel und Vorfreude.
Meggan, Meggan – immer wieder ging ihm dieser Name durch den Kopf.
Mit ihrer ganzen Ausstrahlung hatte sie ihm gegenüber gesessen. Niemals hatte er eine ähnlich attraktive Frau gesehen. Ihre langen blonden Haare, die so gar nicht irisch aussahen, sondern eher bei Frauen mit skandinavischen Wurzeln vermutet werden konnten, hatte sie offen getragen. Sie hingen wie ein Schleier aus Samt von ihrem Kopf herab bis weit zu ihren Schulterblättern. Eine eng geschnittene Bluse über einem weißen T-Shirt betonte ihre weibliche Figur. Sie war schlank, eher sportlich mit langen makellosen Beinen. Ihr Gesicht war perfekt geschnitten und ihre blauen, wachen Augen strahlten eine wohltuende Wärme aus. Victor ertappte sich dabei, dass ihm noch nie soviel Details an einer Frau aufgefallen waren wie an diesem Abend bei Meggan.
Noch nie hatte er eine Frau wissentlich so genau beobachtet, geschweige denn, sich Einzelheiten von ihr eingeprägt. Darin hatte er auch gar keinen Grund gesehen. Was sollte das bringen?
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