Der Professor war ein starker, wenn auch heimlicher Raucher. Und alle rauchten, bis auf Eva und Ernst den Lautisten, den Karl oft Autisten nannte, einer, der überhaupt kein Laster zu haben schien. Wenn Eva herausbekam, dass Franz geraucht hatte, sagte sie: Nein, das gibt´s nicht, was hast du für einen schwachen Charakter! Und jetzt hab´ ich aber genug!, oder so ähnlich, und echauffierte sich stets darüber, dass Franz sie diesbezüglich so wenig respektierte, denn sie machte sich schon ein wenig Sorgen um ihn. Eva war sicher um mehr als zwanzig Jahre jünger als Franz. Und sie musste schon irgendwie aufpassen auf ihn, denn er war auch etwas zu dick und kriegte keine Luft, wenn er die Treppen hochstieg.
Eva spielte die Pardessus de Viole. In Fachbüchern ist zu lesen: „The pardessus de viole is the highest-pitched member of the violfamily of instruments. It is a bowed string instrumentwith either five or six strings and a fretted neck. The pardessus first appeared in the early 18th century, and was commonly played by women, particularly in French-speaking countries.“ Und Eva war nun einmal eine Frau. Meine Aufgabe jedenfalls war es, mit ihrer Stimme unisono auf der Flöte mitzuhalten. Das war nicht immer ganz leicht. Und ich sollte nur sie dabei ansehen, wenn ich spielte. Das war auch nicht immer ganz leicht. Karl lachte und ätzte oftmals während der Pausen, dass die Pardessus de Karfiol (sic!) heute wieder einmal hinterher war. (Er hätte Eva lieber in der Küche gesehen) Und die, die um ihn herumstanden, lachten zynisch.
Die Stimmung im Flugzeug war wahrlich ausgelassen. Man bestellte gläserweis Sekt und kriegte Sandwiches dazu. Was für ein Leben! Da es Februar war, waren wir Musiker beinahe die einzigen Fluggäste und der Flieger gehörte uns. Einige legten sich quer über die Sitze und versuchten zu schlafen. Aber es gab so starke Turbulenzen, dass sie sich wieder ordentlich hinsetzen und anschnallen mussten, während sich das Luftschiff wegen des starken Windes nach allen Regeln der Kunst zu verwinden anschickte. Karl erzählte indes lautstark schmutzige Witze und der Professor lachte ganz hoch dazu oder kicherte in sich hinein. Eva wurde permanent rot und sagte, Karl wäre ein Schweindl. Das aber stachelte diesen zu Höchst-leistungen an und er ließ so richtig die Sau heraus, indem er sein ganzes gesammeltes Repertoire tiefer Zoten aus seiner Kiste holte.
In Madrid angekommen, bestiegen wir, nach kurzer Stadtbesichtigung und einem ausgiebigen Mittagessen den Zug nach Santander. Jeder von uns hatte Einzelabteil im Schlafwagen, ein unglaublicher Luxus für diese Zeit. Es gab ein schmales Bett, ein Nachtkästchen und einen ebenso schmalen Spiegel-kasten, der sich öffnen ließ und der dahinter eine winzige Toilette samt Waschbecken verbarg, sehr zu meinem Erstaunen. Dieser Zustand wollte mir schon gefallen, dachte ich und er mochte so lange wie möglich anhalten.
Santander, einst wichtige Hafenstadt für Kastilien sowohl für das Mittelalter als auch für den beginnenden Handel mit der Neuen Welt. Wir waren in einem Vier-Sterne-Hotel untergebracht, probten am Nachmittag eine Stunde und gaben abends ein zweistündiges Konzert in der nach einem Brand nach 1941 abgebrannten wiedererbauten Kathedrale. Das Publikum schien begeistert und amüsierte sich über die obskuren Ansagen Evaleins, wenn sie etwa Hans Neusiedlers Hupf Auff oder Wascha Mesa ankündigte. Innsbruck ich muss dich lassen nahm es hingegen ehrfürchtig auf. Das durfte bekannt gewesen sein. Mit diesem Lied endete das Konzert. Jeder von uns bekam dafür eintausendreihundert Schilling bar auf die Hand. Damit ließ sich schon einiges anfangen. Gehen wir allesamt essen, schlug der Professor vor. Gute Idee! Meine Bestellung im Restaurant fiel bescheiden aus, wollte ich doch so viel wie möglich auf dieser Tournee sparen. Und wann würde ich wieder so leicht zu so viel Geld kommen?
Für die Orchestermusiker war das ein Klacks. Jeder von ihnen spielte nebenher noch in ein, zwei oder sogar drei Ensembles. Das machte zusätzlich zum Hauptverdienst einiges aus. Und noch dazu steuerfrei, im Ausland verdient! Und die Tournee sollte zehn Tage dauern und wir spielten jeden Tag, bis auf einen einzigen, an dem wir auch einmal zur freien Verfügung hatten. Der Professor blickte zufrieden in die Runde am Gabentisch , an dem alle artig aßen und warf einen Blick in die Karte für den Nachtisch. Zauberhaft, flüsterte er Eva ins Ohr, was es da alles gibt, nicht war, Evalein? Im Übrigen schien ihm die Gelegenheit jetzt günstig, seine Gattin an dieser Stelle gleich zu fragen, ob er denn nicht heute zur Feier des Tages doch auch wenigstens eine einzige Zigarette hier am Tisch rauchen dürfte, immerhin war sie in ausgelassener Stimmung. Nein, kommt überhaupt nicht infrage, schmetterte Evalein sein Ersuchen heftig ab, und dann, wie immer, das ist ja zum Speiben etc. und sei nicht so ein schwacher Charakter und so weiter! Zack! Damit war die Sache vom Tisch.
Die anderen, bis auf Ernst, grinsten in sich hinein und dachten sich ihr Teil. Als ich jedoch kurz danach die Toilette aufsuchte, traf ich eben dort auf den Professor, wie er vorm Spiegel stand und hastig rauchte. Er lachte verlegen. Gefällt´s dir, fragte er dann?, und meinte wohl, die Reise, die Konzerte und alles eben. Ich dachte nicht lange nach. Ja, es gefiel mir. Karl war auch hinzugekommen und bemerkte grinsend sofort, was los war. Aha, Rauchpause? Hihihi, machte Franz infantil und nickte. Wann kommt denn der Schwanzera, fragte er den Professor, und grinste. Er meinte den Sänger, Stefan Svancera. Der Professor kicherte wieder. Ach, der Stefan wird erst in Leon dabei sein, weißt du. Er ist selber mit einer Sängerin auf Tournee in Deutschland, sagte er. Naja, wenn einer einen solchen Namen hat, dem muss er natürlich alle Ehre machen, lachte Karl und schloss die Tür hinter sich. Hihihi, kicherte der Professor. Das konnte er wirklich überzeugend.
In Alter Musik wurde immer wieder versucht, eine "Blickrichtung auf den Menschen" zu vermitteln, das heißt, die Musik menschlicher, harmonischer, natürlicher, lebendiger zu gestalten. Mit Hilfe "neuer" Kompositionsweise,- der Text und die Musik wurden aufeinander abgestimmt-, wurden etwa Messen sinngemäß und gotteswürdig vertont. Hauptsächlich in Klöstern, sogenannten Schulen der Musik und an Adelshöfen komponierten Kapellmeister und Organisten Oden, Psalmen, Hymnen und Motetten. Mit Hilfe der Musik und der "neuen" Kompositionsweise wurde Gott gepriesen und die durch Polyphonie erreichte Ausdruckskraft und Vielfältigkeit wurden dazu benutzt, die Musik sozusagen heiliger zu machen und würdig, um in Messen den religiösen Geist der vergangenen Zeit auszudrücken.
Es gab aber nebenher auch sogenannte "scherzi musicali", kleine kurze Musikstücke über Wein, Vorgänger der heutigen Sauflieder, aber immer alles huldigend und odenartig musikalisch dargestellt. Karl und Peter hingegen priesen Gott jedenfalls auf ihre eigene Art und Weise. Nach dem ausgiebigen Abendessen verabschiedeten sie sich und begaben sich in eine der zahllosen Spielhallen, oder Spielhöllen, wie Eva sie nannte, um hier die Tageslosung auf lasterhaft elegante Art bei Spiel und Brandy wieder los zu werden. Und schließlich hatte man morgen ja wieder ein Konzert, das was einbrachte. Als sie schließlich spätnachts leicht angeheitert ins Hotel zurückkehrten, sangen sie lauthals „Innsbruuuck ich muuss dich laaassen – ich faaahr dahin mein Straaaßen – in fremde Land dahin – mein Schnaps ist mitgekooommen – ich bin schon ganz benooommen – wo ich im Elend bin“, umarmten sich und lachten lauthals dazu.
Am nächsten Tag ging es per Bahn nach Valladolid. Im Abteil freundete ich mich mit Fritz der Posaune näher an. Wir entdeckten dieselben Interessen an uns, die Berge. Fritz war natürlich um etliche Jahre älter und schon viel in der Welt herumgekommen, nicht nur mit dem Orchester. Seine letzte Bergtour führte ihn und seine Gattin auf den Kilimandscharo. Ich war weg! Mein Gott, das wollte ich auch alles machen, wenn ich… und so, na ja, später einmal, dachte ich dann. Karl hielt derweil im Nebenabteil mit seinen Jüngern Peter und Willi Hof. Es ging um den Flötenständer, den wir im Gepäck mit uns führten, und der aus vier hölzernen Stangen auf einer Bodenplatte bestand, die ich stets neben mir auf der Bühne stehen hatte, um die Flöten, die darauf steckten, gleich griffbereit zu haben, denn oft verlangte ein Stück zwei verschiedene Instrumente. Das war ganz praktisch mit diesem Ständer, die Flöten ruhten auf unterschiedlich langen Holzstäben und konnten somit leicht heruntergenommen werden, wenn man sie brauchte.
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