„Wieso lächelst du denn?“, fragte sie mich und warf mich aus meinen Gedanken.
Hatte ich gerade gelächelt?
„Wie heißt du?“
Erneut beeindruckte mich diese feste Stimme, doch gleichzeitig wurde auch meine Angst größer.
„Sam“, brachte ich hervor und versuchte hilflos, ihrem Blick standzuhalten. Mein Herz hämmerte in meiner Brust. Wahrscheinlich würde sie mich bald auch töten.
Doch als ich meinen Namen ausgesprochen hatte, veränderte sich die Stimmung im Raum schlagartig. Niemand sagte mehr ein Wort und die einzigen Laute, die noch ertönten, waren die verzweifelten Schreie von Jaydens Schwester. Aus dem Kontext heraus schloss ich, dass sie gerade sexuell vergewaltigt wurde.
William lächelte die Frau schadenfroh an: „Der Kleine heißt genauso wie du.“
Ihr Name war also auch Sam. Ich entnahm ihrer Mimik, dass unser gemeinsamer Name ihr missfiel.
„Ich hab gefragt, warum du gelächelt hast“, wiederholte sie schroff und legte den Revolver auf ihrer Schulter ab.
Verzweifelt versuchte ich in meinem Kopf wahllose Wörter zu einem Satz zu formen, doch leider wusste ich selbst keine Antwort auf ihre Frage. In meinem Hals bildete sich ein Kloß, der immer größer zu werden schien.
„Gefällt es dir, wenn ich Menschen töte?“
Sie stellte diese Frage nicht rhetorisch, sie wollte wirklich wissen ob dem so war. Für meinen Kopf war das alles viel zu surreal, als könnte ich über so eine Frage nachdenken.
„Ich denke, der Kleine gehört zu den Jungs, die auf Frauen mit Waffen stehen“, sagte William und lachte spöttisch auf.
„Ist das so? Mach ich dich geil, wenn ich Menschen das Hirn rausblase?“
Nun war ihre Stimme rau und tief, als wolle sie mich verführen. Immernoch bekam ich kein Wort über meine Lippen und wieder wusste ich nicht, wie ich mit dieser Situation umgehen sollte.
„Willst du es mal versuchen? Es ist nicht so schwer, wie es aussieht“, bot mir Sam höflich an, als würde sie mir nur das Schnipsen beibringen wollen.
„Ich …“, brachte ich hervor und verfiel wieder in meine Versteinerung. Während mein Körper regungslos war, rasten die Gedanken in meinem Kopf umher. Nichts gelang mir mehr zu begreifen.
„Komm her. Es wird dir gefallen.“
Vorsichtig ging sie auf mich zu, als würde sie mich sonst wie ein Rehkitz verscheuchen und streckte mir die Hand entgegen. Als sie feststellte, dass ich mich immer noch nicht rührte, griff sie grob nach meinem Oberarm und zog mich auf die Beine. In wenigen Schritten stand ich mit wackeligen Beinen vor Jayden und starrte in seine ängstlichen Augen.
William Conner hatte sich neben Sam gesellt, ohne dabei Aidan aus den Augen zu verlieren und flüsterte ihr zu: „Sam, was hast du vor?“
Anstatt auf die Frage zu reagieren, drückte sie ihren Körper von hinten an mich heran, sodass ich ihre Brüste spüren konnte. Sie nahm meinen Arm wie ein Tennislehrer in die Hand.
„Ich werde dir zeigen, wie es geht.“
Ihre Stimme war so nah an meinem Ohr, dass ich eine Gänsehaut im Nacken bekam. Noch nie war ein Mädchen so dicht an mir gewesen. Behutsam legte sie ihren Revolver in meine Hand und richtete ihn auf Jayden.
Eine gewisse Anspannung baute sich in William auf. Es schien ihm nicht zu gefallen, dass Sam mir ihre Waffe gab. Seine Vorsicht war unbegründet. Nicht einmal im Traum würde ich daran denken, die Waffe gegen die beiden zu richten. Dafür war ich von ihnen viel zu sehr eingeschüchtert. Sam wusste das. Da war ich mir sicher.
„Fass am besten mit beiden Händen …“, riet sie mir und führte meine linke Hand zur Waffe: „… und halte sie gut fest. Der Rückschlag ist beim ersten Mal ein wenig erschreckend.“
„Sam, was zum Teufel machst du da?“, fragte William sie erneut flüsternd.
Aus dem Badezimmer ertönte ein lauterer Schrei von Sofie. Endlich schien Jayden sie wahrzunehmen. Verzweifelt fing er an zu weinen und senkte seinen Blick auf Noahs Leiche. Er konnte es nicht begreifen. Ich war mir sicher, in ihm tobten die Gedanken noch schlimmer als in mir. Vor ein paar Minuten war doch alles noch gut gewesen. Voller gespannter Erwartung hatte der Noah-Clan in die Zukunft geblickt, und was war jetzt?
„Du trägst Wut in dir, hab ich recht?“, fragte mich Sam. Ihr angenehm warmer Atem war so nah an mir.
Sie legte ihren Kopf auf meiner Schulter ab und aus meinem Augenwinkel sah ich ihren Blick.
„Ich möchte, dass du dich auf diese Wut konzentrierst. Die Wut wird dein Katalysator sein, um den nächsten Schritt zu verdauen.“
Was für eine Wut hatte ich? Wen sollte ich hassen? Sollte ich Gott hassen, weil er mir meine Eltern genommen hatte? Sollte ich meine Mitschüler hassen, weil sie mich nicht integrierten oder sogar drangsalierten? Warum sollte ich diese Wut an Jayden auslassen? Er konnte nichts dafür, dass Daniel ein schlechter Vater gewesen war.
„Dein Kopf sagt dir, dass du nicht töten darfst, aber das ist keine Entscheidung, die du selbst getroffen hast. Es wurde dir so beigebracht. Die Menschen brechen andauernd ihre eigenen Regeln. Schon in dem Moment, als du geboren wurdest, wurdest du von dem Virus namens Mensch infiziert. Dieser Virus macht dich arrogant. Wir halten uns für etwas Besseres. Für etwas Großartiges. Soll ich dir sagen, was wir sind?“
Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, wie Aidan den Kopf hob. Anscheinend wollte er die Antwort auch wissen.
„Wir sind Monster.“
Ihre Stimme wurde ganz tief: „Wir sind Abschaum. Die meisten Menschen wollen das nicht wahrhaben, doch ich akzeptiere meine Natur. Ich glaube, du gehörst zu den Menschen, die begreifen, dass man unsere Welt nicht mehr retten kann. Willst du wirklich weiter so vor dich hinleben, in der Hoffnung, du könntest irgendwann glücklich werden? Dein Leben lang hast du dich unterdrücken lassen. Eine Hand wäscht nicht die andere. In unserer Welt pinkeln wir uns gegenseitig ans Bein und wer am meisten pinkelt hat gewonnen.“
Nun konnte ich William Conners Blick auf mir spüren.
„Dein Leben lang wurdest du gefickt, doch jetzt kannst du endlich mal zurückficken“, stimmte er mit Sam ein. Ihre Worte brannten in meinem Herzen, als wäre mein ganzes Leben nur auf diesen Augenblick ausgelegt. Es gab nicht mehr viel zu denken. Letztendlich würde ich auf keinen grünen Zweig mehr kommen. Immerhin stand ich schon da, mit der Waffe in der Hand. Viel Zeit zum Nachdenken würde mir nicht mehr bleiben.
Vielleicht würde mein Leben sogar in den nächsten Minuten enden. Sie konnten mich nicht am Leben lassen. Ich kannte ihre Namen und wäre als Zeuge eine zu große Gefahr. Warum sollte ich nicht abdrücken? Warum sollte ich weiterhin ein guter Mensch sein? Es würde nur ein Zucken mit dem Finger sein und Jayden wäre von diesem Albtraum befreit. Wenn auch nicht durch meine Hand, Jaydens Schicksal war es, heute zu sterben.
Noch ein letztes Mal holte ich tief Luft und ging den Satz meiner Mutter im Kopf durch:
Keine halben Sachen …
Dann drückte ich ab.
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