„Am Krötenteich, keine zwei Tagesmärsche von hier entfernt in Richtung Nordosten“, sagte König Theobald und wurde daraufhin sogleich von seinem speichelleckenden Gefolgsmann dafür gelobt, dass er das sogar auswendig wusste. Der König grinste daraufhin selbstgefällig und zeigte mit beiden Daumen auf sich selbst.
Albin überlegte scharf. In dieser Gegend war er noch nie. Es wäre sicher ratsam gewesen, eine Landkarte zu besitzen, für den Fall, dass er sich verlaufen oder in einer peinlichen Situation einmal das Toilettenpapier ausgehen würde. Und wenn er schon die ganze Welt retten sollte, konnte er doch mindestens etwas Unterstützung von den Nutznießern bekommen. „Kann ich von Ihnen eine Landkarte haben, eure Majestät?“ fragte er, in der Hoffnung, dass es noch nicht strafbar war, dem König um etwas zu bitten. Alle Gesetze des Königreichs Splinarsa kannte er schließlich auch nicht auswendig.
Der König beäugte ihn etwas misstrauisch und war so gar nicht geneigt, Albin irgendeinen Wunsch zu erfüllen. Wahrscheinlich hätte er lieber einem Sarka (seltene biglundische Spezies, die es sich seit dem dritten biglundischen Zeitalter zur Lebensaufgabe gemacht hat, alle haarigen Tiere von Parasiten zu befreien) dabei zugesehen, wie er dabei war, einen Kultz (gewöhnliche und sehr behaarte biglundische Spezies) zu entlausen (es handelte sich hierbei um ein gängiges Sprichwort für eine äußerst langweilige Beschäftigung.
„Das würde meine Arbeit erleichtern und eure Macht damit schneller sichern“, ergänzte Albin, der diesen König von Minute zu Minute weniger leiden konnte, aber ihn wenigstens durchschaut hatte und diesen Umstand nun auszunutzen wusste.
Der König überlegte wieder eine kurze Zeit lang und kam dann recht spät zu folgendem Schluss: „Wohlan! Deine Logik ist durchaus verzwickt und zuweilen sogar verwirrend, Hinterwäldler!“
Albin wusste nicht so recht, was er dazu noch sagen sollte.
„Aber ich gewähre dir diesen einen Wunsch, denn ich bin gütig“, ergänzte der König mit einer weit ausschweifenden Geste, die den Eindruck erzeugte, als hätte er Albin soeben sein halbes Königreich vermocht. Mein Diener soll sie dir geben. „Nomox!“
Der speichelleckende Begleiter des Königs, der während des ganzen Gespräches zwischen ihm und Albin aufgrund des latenten Stuhlmangels in den königlichen Audienzräumlichkeiten stehen musste, gab ihm die Landkarte, welche er dem König gerade gezeigt hatte, um ihm zu verdeutlichen, dass sich sein Königreich in Biglund befand. Der königliche Obermagier stand daneben und schüttelte dabei leicht den Kopf und verdrehte dabei die Augen, da er wusste, dass dies die einzige Landkarte in königlichem Besitz war. Er war jedoch nicht dumm genug, offen zu widersprechen. Albin nahm die Landkarte dankbar an.
„So und jetzt scher dich weg! Mein Friseur kommt gleich. Wache!“, bellte der König.
Albin zögerte nicht lange, seinem Wunsch Folge zu leisten und verließ die Audienzräumlichkeiten, begleitet von einer stämmigen Wache, die sich während des Gespräches hinter einem alten Vorhang im Raum versteckte, um in einem Notfall dem König augenblicklich zur Seite stehen zu können. Die Wache begleitete Albin zurück durch die vielen Gänge hinaus bis an den Empfangsschalter. Die Dame am Empfangsschalter würdigte die beiden keines Blickes, denn sie war soeben während ihrer Arbeitszeit in eine seichte Lektüre namens „Trockenzonen“ vertieft, in der es unter anderem um eine Frau ging, die für ihr Leben gerne Toilettenschüsseln in öffentlichen Bedürfnisanstalten ableckte. Albin ging wortlos an ihr vorbei aus dem Gebäude.
„Wenigstens habe ich jetzt eine Landkarte“, dachte Albin. Er sah sich ein wenig auf dem Marktplatz um und überlegte sich, was er in der Stadt Braksop unternehmen könnte, wo er schon mal da war. Allmählich hatte er großen Durst. Zu seinem Glück befand sich ein Wirtshaus direkt gegenüber. Besonders einladend sah es zwar von außen nicht aus, doch Albin hatte keine Wahl, wenn er vor der Fortsetzung seiner Reise noch einen Schluck zu sich nehmen wollte. Über der breiten, glaseingefassten Tür des Wirtshauses stand der Name des Wirtshauses: „Zum betrunkenen Kobold“. Die Schrift hing in Form von provisorisch aneinander genagelten Holzbrettern vom Dach des Gebäudes herab. Es wirkte schäbig. Albin betrat das Wirtshaus.
Schon der erste Eindruck verdeutlichte: Es war das schmutzigste, verwahrloseste, schmuddeligste und verlumpteste Wirtshaus, das Albin je gesehen hatte. Doch es gab wenigstens Malzbier. Albin ging direkt an den Tresen, an denen sich bereits ein paar wild aussehende Männer und darunter sogar ein Zwerg mit seiner Axt breit gemacht hatten und gerade damit beschäftigt waren, sehr betrunken zu sein und sich gegenseitig regelmäßig in unbestimmten Zeitabständen wüste Blicke zuzuwerfen. Der Zwerg hielt dabei seine Axt fest umklammert, denn als rassische Minderheit hatte er in diesem Laden im Streitfalle die schlechtesten Karten. So war das nun mal in Biglund.
Vielleicht war es schlicht die unbescholtene Naivität eines Dorfbewohners, die Albin trotz seiner Feigheit Raum dafür ließ, sich in diesem düsteren Wirtshaus nicht nur länger als zwei Sekunden lang aufzuhalten, sondern tatsächlich sogar noch ein Getränk zu bestellen. Denn vollkommen unbeirrt von der überaus heiklen Situation ging Albin an den Tresen und bestellte bei dem dickbäuchigen Wirt mit der total verschmutzten Schürze hinter dem Tresen einen großen Humpen Malzbier zu einem Preis, der mit großem Abstand das Anständigste in diesem ganzen Laden zu sein schien. Nachdem Albin mit einem mürrischen Knurren des Wirtes das nichtgespülte Glas vorgesetzt bekam, verringerte sich dieser Abstand jedoch ganz erheblich.
Die anderen Tresengäste blickten derweil nach und nach immer argwöhnischer zu ihm hinüber. Die Selbstverständlichkeit, mit der jemand, der weder Schläger, noch Säufer oder Zuhälter war und obendrein viel zu anständig aussah, in diesem Laden einfach an den Tresen ging und mitten unter ihnen ein Malzbier bestellte, versetzte sie scheinbar in eine kurze Schockstarre. So langsam merkte aber auch Albin, dass er hier am Tresen zumindest nicht ganz willkommen war und weil er keine Lust auf Streit hatte, setzte er sich sofort weg an einen der schmutzigen Tische in einem der dreckigen Winkel in einer der zwielichtigen Ecken des schäbigen Wirtshauses.
Sämtliche anwesenden Gäste des Wirtshauses machten es sich mehr und mehr zur Lieblingsbeschäftigung, ihn misstrauisch, schief, böse oder grimmig anzustarren. Sogar der Wirt machte nach einer Weile dabei mit. Dabei hätte eher Albin die Gäste anstarren müssen, so unglaublich seltsam wie diese waren. Einer davon hatte ein Gesicht mit einer Schnauze, zwei halb angebissenen, weit abstehenden Ohren und fünf dunkelrosaroten Hörnern am Kiefer, an denen stellenweise Dreck, Blut oder Speichel klebte. Der Rest sah auch nicht deutlich vertrauenerweckender aus. Albin fragte sich, ob er irgendeinen viel zu deutlichen Flecken an seiner Kleidung oder etwas Dreck im Gesicht hatte, doch das war es nicht. Ihm war nicht gut zumute in der Gesellschaft dieser Gestalten, doch ein Malzbier musste einfach sein und bestellt hatte er es ohnehin schon. Und abgesehen von der Temperatur des Getränkes und dem restlichen Dreck am Glas schmeckte es gar nicht mal so schlecht, dass er es wieder zurück an den Tresen bringen wollte, um dort sein Geld zurückzuverlangen und damit aller Voraussicht nach schneller eine Schlägerei zu riskieren, als er blinzeln konnte. Also versuchte Albin irgendwie, es sich schmecken zu lassen und blickte in irgendeine Richtung des Wirtshauses, aus der ihm noch kein böser Blick zugeworfen wurde, was sich als schwierig herausstellte.
Auf dem Tisch entdeckte er eine unmittelbar an selbigem klebende Speisekarte. Er mochte sich eigentlich nicht vorstellen, welche Grausamkeiten er hier vorgesetzt bekommen würde, doch es war immerhin eine Stelle, auf die er seinen Blick werfen konnte, ohne jemanden in dieser verfallenen Spielunke zu verärgern und zum Streit aufzufordern. Albin befreite die Speisekarte von den seit Monaten festgesetzten Bierresten und öffnete sie an einer Stelle, die seine Finger am wenigsten verklebte. Dann sah er wieder nach oben und erschrak.
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