1 ...7 8 9 11 12 13 ...26 Er aber hatte das Gefühl, etwas zu weit gegangen zu sein.
„Ich weiß, er ist ja ein ganz netter Kerl, aber du selbst hast doch immer gesagt, dass du in den nächsten zehn Jahren auf keinen Fall heiraten willst. Ich sehe keinen Grund, warum du diesen Vorsatz aufgeben solltest.“ Nach einer Pause sagte er: „Ich mach‘ mir ein Frühstück. Willst du auch was essen?“
„Was gibt’s denn?“
„Was du willst. Eier, Weißbrot, Schinken, Käse. Ich stelle alles auf den Tisch.“
Philipps Wohnung war mit ihren 65 Quadratmetern zwar nicht besonders groß, sie war aber sehr durchdacht eingeteilt. Von der Eingangstüre kam man in einen kleinen Windfang, der in einen garconniereartigen Wohn- und Küchenbereich mündete. Ein großer Esstisch in der Mitte ließ den Raum sehr gemütlich wirken. Die Kochnische war funktionell ausgestattet und mit Kühlschrank, Mikrowellenherd und einem kleinen Kochfeld genau auf die Bedürfnisse von Philipp ausgerichtet, der sich zu Hause nur Kleinigkeiten zubereitete und meistens irgendwohin ins Gasthaus essen ging. Von diesem zentralen Wohnbereich ging ein kleiner Gang weg, von dem aus man das Bad und das Schlafzimmer erreichte.
„Weißt du was“, fiel Julia plötzlich ein, „ich mach‘ uns eine Eierspeise, das hast du in der Früh immer am liebsten gehabt, daran hat sich doch nichts geändert?“ Sie stellte eine Pfanne auf den Herd, gab etwas Butter hinein und verrührte vier Eier in einem Glas. „Übrigens, ich muss dir was sagen! Ob du’s hören willst, weiß ich nicht, aber ich sag’s dir trotzdem. Ich hab‘ letzte Woche Mama getroffen. Sie ist schon die längste Zeit wieder allein. Wir sind in ein Café gegangen und haben ziemlich lange geredet. Mit ihrem Freund hat es angeblich schon sehr bald nicht mehr richtig geklappt. Sie lässt dir übrigens schöne Grüße ausrichten und mitteilen, dass sie auch dich ganz gern wieder einmal sehen würde.“
Julia blickte Philipp an, um zu sehen, wie er diese Nachricht aufnahm. Sie wusste, dass die Scheidung nach wie vor der wundeste Punkt in seinem Leben war.
„Ist das dein Ernst, sie will mich sehen? Was heißt, sie will mich sehen? Sie hätte mich die letzten acht Jahre jeden Tag sehen können, wenn sie es gewollt hätte. Aber wenn sie glaubt, ich tue jetzt so, als sei nichts passiert, dann täuscht sie sich.“ Philipp wusste selbst, dass er die Scheidung und alles, was damit zusammenhing, nie richtig verarbeitet hatte und er war sich nicht sicher, ob ihm das je gelingen würde. Für ihn war Sarah, seine Ex-Frau, die Person, die sein Leben kaputt gemacht hatte. Deshalb konnte er auch nicht begreifen, dass sie nun glauben konnte, man könne das Geschehene einfach so wegwischen.
„Du brauchst deshalb nicht gleich auszuflippen. Vielleicht sollte ich überhaupt nicht mehr kommen. Bei allem, was ich sage, drehst du gleich durch“, beschwerte sich Julia.
„Du solltest einmal mitkriegen, wie es aussieht, wenn ich wirklich durchdrehe!“, erwiderte Philipp und ergänzte: „Ehrlich gesagt, halte ich es für überhaupt keine gute Idee, wenn Sarah und ich uns sehen. Es ist zwischen uns einfach zu viel Porzellan zerschlagen worden, zumindest auf meiner Seite, als dass man sich dann treffen könnte und ein wenig Smalltalk betreibt, als ob nichts gewesen wäre. Solltest du den Kontakt mit deiner Mutter jetzt wieder intensiver pflegen, kannst du sie nächstes Mal ja fragen, was das Ganze soll.“ Philipp sagte das, weil er genau wusste, dass Julia in den letzten Jahren so gut wie keinen Kontakt zu Sarah gehabt hatte. „Ich sehe jedenfalls keinen Grund, mich mit ihr zu treffen.“ Beim letzten Satz glaubte Philipp, ein leichtes Stechen in seiner Brust zu fühlen, wie er es seit der Zeit der Scheidung nicht mehr gespürt hatte. Damals hätte er alles dafür gegeben, einmal mit Sarah vernünftig reden zu können, um die Katastrophe abzuwenden.
„Na gut, falls wir uns sehen, werde ich es ihr sagen. Aber reden könntest du doch mit ihr, oder?“
Philipp wollte dazu nichts mehr sagen. Julia nahm die noch brutzelnde Pfanne von der Herdplatte und Vater und Tochter setzten sich an den Tisch zu einem reichlichen Frühstück mit allem, was dazugehörte. Für Philipp war es eine richtige Wohltat. Julia erzählte ihm noch hundert Dinge von Walter und ihrem Studium, diesmal, ohne dass er gleich "ausflippte“.
Nachdem Julia gegangen war, blieb Philipp nachdenklich zurück. Die Mitteilung, dass Julia mit Sarah zusammen gewesen war und dass diese sich auch mit ihm treffen wollte, konnte er nicht richtig einordnen. Er legte sich aufs Bett, schloss die Augen und wie von selbst wanderten seine Gedanken zurück zu seiner Ehe mit Sarah.
Sie hatten sich sehr jung kennen gelernt. Er war neunzehn gewesen und Sarah hatte gerade ihren achtzehnten Geburtstag gefeiert. Bei der Geburtstagsfeier eines Freundes waren sie einander vorgestellt worden, er war allein gekommen, sie mit irgend einem Typen, der andauernd unpassende Bemerkungen machte und um jeden Preis aufzufallen suchte. Philipp hatte Sarah, der an ihrer Begleitung offensichtlich nicht allzu viel lag, noch am selben Abend ins Herz geschlossen. Ihr helles, ungeniertes Lachen, die Art, wie sie sprach und wie sie sich bewegte, das alles fesselte ihn so unmittelbar, dass er sich Hals über Kopf in sie verliebte. Bei Sarah dauerte es zwar etwas länger, aber nach ein paar Verabredungen war für beide klar, dass sie ihre Zukunft gemeinsam gestalten wollten. Ein Jahr später heirateten sie und ein gutes halbes Jahr danach kam ihre Tochter Julia zur Welt, ein Kind, das ihr gemeinsames Glück vollkommen machte.
Nur etwas fiel Sarah damals nicht ganz so leicht, nämlich, dass sie ihre gut bezahlte Arbeit in einer Versicherung aufgeben musste. Zudem hatte sie damals gerade gute Chancen gehabt, sich in ihrer Firma wesentlich zu verbessern, und zwar sowohl was die Stellung als auch was die Bezahlung betraf. Das Kind machte diesen Ambitionen ein plötzliches Ende. Sie fand sich aber schließlich damit ab und das Leben mit Julia bot ihr genügend Ersatz für die entgangenen beruflichen Chancen. Als Julia drei Jahre als war, begann sie wieder, in geringem Umfang zu arbeiten. Sie erledigte Schreibarbeiten für einen Rechtsanwalt, womit sie einen kleinen Teil zum Familieneinkommen beisteuerte.
Je länger ihre Rolle als Mutter für sie die Hauptbeschäftigung bildete, desto deutlicher zeigte sich allerdings, dass es ihr schwer fiel, die finanzielle Abhängigkeit von Philipp, die damit verbunden war, zu ertragen. Obwohl Philipp sie diesen Umstand nicht spüren ließ, wuchsen damals die Spannungen in der Beziehung. Als Julia größer wurde, verstärkten sich Sarahs Ambitionen, aus ihrem Leben mehr zu machen. Nach etwa sieben Jahren Ehe teilte sie Philipp mit, dass sie studieren wolle. Philipp war darüber nicht erfreut, da er sich denken konnte, dass damit Stress für die ganze Familie verbunden war, aber er hatte auch nichts Grundsätzliches dagegen. Außerdem lag es nicht in seiner Natur, Sarah vorzuschreiben, was sie zu tun oder zu lassen hatte.
Sarah übte ihre Teilzeitarbeit weiter aus, während sie im Studium gute Fortschritte machte. Die ganze Situation war aber gespannter als vorher, da sie die dreifache Belastung durch die Betreuung von Julia, ihre Arbeit und das Studium immer stärker spürte. Es ergab sich immer öfter, dass sie am Abend noch weg war, um mit ihren Kommilitonen zu lernen oder eine Arbeit zu schreiben, was dazu führte, dass Philipp die Aufgabe erbte, Julia zu betreuen und zu Bett zu bringen. Die Ablenkung Sarahs von ihren häuslichen Pflichten führte in regelmäßigen Abständen zu abendlichen Streitgesprächen, bei denen sie immer weniger Verständnis dafür aufbrachte, vor allem auf ihre Mutterrolle fixiert zu werden, was Philipp nicht akzeptieren konnte, da er sich zwar seinerseits sehr um Julia kümmerte, dies aber auch von seiner Frau erwartete.
Читать дальше