Der scheinheilige Schlauschwätzer, von ihm lässt sich der Vater nicht belehren. Wahrscheinlich braucht er wieder Geld, will einleitend alle Welt zum rechten Glauben bekehren, anstatt arbeiten zu gehen.
Die Mutter bittet den Schwager, Platz zu nehmen. Maral holt aus der Küche heißen Tee. Auf dem Tisch steht eine Schale mit Süßigkeiten. Der Onkel greift beherzt ein Praliné. Er starrt Maral aufdringlich an. Seine Augen – tiefgründig stechend – dringen ihr durch Mark und Bein. Maral wird schwindelig. Sie möchte sich am liebsten verschleiern.
Kenne ich ihn?, fragt Ephraim unverbrämt. Lebt er koscher, keusch, befolgt den Talmud. Du schweigst. Ist er Christ? Ephraim springt auf, verharrt im Gebet, verbeugt sich rhythmisch wie eine Gummipuppe. Maral empfindet sein frömmelndes Gebaren albern und lächerlich.
Der Vater kommt ihr zuvor, sagt trocken: Nein, Christ ist er nicht, bloß Islamist.
Hölle und Teufel, die Bombe geplatzt, Armageddon, Weltuntergang: Armer Bruder, ist das dein Ernst?
Spaßig find ich ´s selber nicht.
Was werdet ihr tun?
Wir laden Mahmoud und seine Eltern zum Essen ein. Du bist natürlich auch eingeladen, Ephraim.
Mit Terroristen an einen Tisch? Wer sich den Misthaufen zum Gaste nimmt, darf sich nicht wundern, wenn seine Speisen verdorben sind. Wir Juden dürfen niemals wieder Opfer sein!
Wer krampfhaft sich bemüht, kein Opfer sein zu wollen, wird schnell zum Täter.
Es geht um die Reinhaltung des nationaljüdischen Charakters.
Es geht vor allem um unsere Tochter.
Deren Jungfräulichkeit ist keine Morgengabe wert.
Jetzt wirst du beleidigend, Ephraim.
Beschwert euch bei eurem Muezzin.
So primitiv bist du nicht.
Keine Ahnung habt ihr, in welchem Sumpf ihr watet. Es geht um die Reinheit des Judentums.
Sei unbesorgt, Maral konvertiert zum Islam.
Aber das ist es ja! Die vermehren sich ungehemmt, sind bald in der Überzahl. Da bleibt uns nur, radikal auszuweisen oder in einem Ständestaat diktatorisch zu regieren.
Wir leben aber in Israel und nicht im Deutschen Reich.
Ohne mich! Ephraim rennt auf die Straße, knallt die Türe zu.
Die Einladung zum Essen fiel Mahmoud schwer seinen Eltern zu überbringen. Sie haben ihn erstaunt angeschaut. Sie ahnten nicht, dass Maral Jüdin ist. Er wusste nicht, wie er das ihnen schonend beibringen sollte.
Du heiratest doch eine Frau, die gottgläubig ist?, erwartet die Mutter von ihm.
Aber selbstverständlich glaubt sie an einen Gott.
Einen Gott? An Allah, den Allerbarmer ...?
So direkt nicht. Allah oder Jahwe, wir alle stammen von Abraham ab, sind Schwestern und Brüder.
Eine Jüdin bringst du ins Haus? Man wird euch nicht in Ruhe lassen. Mir träumte, Geier stürzten von allen Seiten ins Land. Wir sollen die Gejagten sein. Es gibt viele palästinensische Frauen, die gläubig sind. Warum muss es eine Jüdin sein?
Ich sprach mit unserem Imam. Maral wird konvertieren, unsere Kinder werden erzogen im Geiste des Islam. Es muss doch Möglichkeiten geben, auch hier in Frieden glücklich zu leben.
Viel Geld haben sie deinem Bruder geboten, damit er sein Land verlässt. Deinem Onkel Grund und Boden weggenommen in Ost-Jerusalem. Und du heiratest eine Jüdin? Was sagen denn ihre Eltern dazu?
Sie haben euch zum Essen eingeladen. Bitte Mutter, sag zu und überzeuge den Vater, du weißt, er spricht nicht mit mir, hält mir vor, ich wäre lasch, nicht kämpferisch genug, würde mich der Apartheid-Politik des israelischen Staates fügen.
Mein Junge, ich bin sehr stolz auf dich. Natürlich will ich nur dein Bestes. Aber wenn du in dein Verderben rennst, muss ich dich aufhalten dürfen, das ist meine Pflicht. Heirat beruht auf Zuneigung und Harmonie. Das mag ja rein menschlich bei euch gegeben sein. Nur die Verhältnisse, die sind nicht so.
Ich respektiere ihren Glauben und sehe kein Problem.
Mein lieber Junge, du bist zwar studiert, aber du weißt nicht viel vom Leben.
Das Essen mit Mahmouds Eltern verlief ohne Zwischenfall. Sie wussten sich alle zu benehmen. Jeder war höflich. Gesprochen wurde nicht viel. Die Eltern von Braut und Bräutigam fühlten füreinander, trotz aller Glaubensunterschiede, zunehmend Sympathie. Mahmouds Vater sprach, unser aller Urvater Abraham speiste gern an einem Tisch mit beiden Söhnen, Ismael und Isaak, die sich gegenseitig zwar nicht mögen. Im Grunde glauben wir an den gleichen Gott und pochen zu sehr auf kleine Unterschiede.
Marals Vater neigte zustimmend sein Haupt. Aber Onkel Ephraim, der, wenn auch verspätet, doch noch gekommen war, sprach von tiefen Gräben, die zuzuschütten für beide Seiten nachteilig sei, sie würden der Entwässerung dienen, seien gewissermaßen gottgegeben und somit unabänderlich, um Fäulnis zu vermeiden.
Maral und Mahmoud saßen eng beieinander, schauten sich in die Augen. Vergaßen die anderen um sich herum, glaubten, es müsse auch in Israel möglich sein, das Leben auf Liebe aufzubauen.
Trotz aller Querelen, die Hochzeit fand statt. Es kamen zwar nicht alle Geladenen, trotzdem wurde gefeiert, gelacht und getanzt nach jüdischen und islamischen Bräuchen. Der Staatspräsident hat ein Glückwunschtelegramm gesandt. Hetze, Gewalt und Rassismus haben in der israelischen Gesellschaft keinen Platz, schrieb er auf seiner Facebook-Seite. Ein frommer Wunsch des alten Herrn, denn draußen, zweihundert Meter entfernt, hat auf richterliche Anordnung ein Polizeikordon den Hochzeitssaal und die Gegend abgesperrt. Eine aufgebrachte Menge schrie laut von Rassenschande, hielt Transparente hoch und drohte mit Straßenkampf. Unter den Demonstranten war Ephraim, der Onkel der Braut. Er hat dem Schlamassel nicht nur zugeschaut, er hat unverhüllt am lautesten gebrüllt: Tod den Arabern!
Aber es gab auch Gegendemonstranten, junge Leute mit Blumen in den Händen, die dem Brautpaar alles Gute wünschten und friedlich Lieder sangen.
Maral und Mahmoud leben heute mit sieben Kindern glücklich und zufrieden. Sie lesen im Tanach und im Koran, folgen der Belehrung des Talmud und achten die Bräuche der Sunna. Kein Thema bei ihnen für Zank, Streit und Missgunst.
Und leben sie noch in Israel, dann ward es wirklich zum gelobten Land.
Fit für den Markt, seit Kindesbeinen läuft es darauf hinaus, sich selbst ins rechte Licht rücken, Gesicht zeigen. Ohne Scheu, frank und frei immer dabei, wo die Action ist. Keine verkniffenen Mienen, nicht in Melancholie versinken, zumindest niemals zeigen, wenn du mal unten bist.
Ich! gehöre dazu. Ich! mache mit. Ich! bin völlig ungebunden. Ich! will und werde wie ihr ein Selfie durch und durch sein. Ich brauche niemanden in der Welt, stütze mich durch mich selbst, vertraue nur mir allein, bin unabhängig und frei. Und somit, darauf könnt ihr euch verlassen, im Großen und Ganzen, für alles voll einsetzbar. Ich halte aus, ich halte durch, ich habe Empfehlungen zuhauf. Für das gehobene Management bin ich – und einzig nur ich – prädestiniert. Als Überflieger, Quereinsteiger, Senkrechtstarter gehe ich Risiken, unkalkuliert, niemals ein. Ich beherrsche die Spieltheorie, habe auf dem Gebiet promoviert, spiele Klavier, übernehme die Lösung jeglichen Problems. Vom Start weg, sekundenschnell von Null auf Hundertzehn. Ich schneide nicht auf, das habe ich nicht nötig. Und wenn es sein muss, dann bin ich unbequem, beinhart, stecke auch mal ein, aber gleich drauf gibt ´s Schmackes zurück, Stück um Stück teile ich aus. Ich weiß, nur einer kann gewinnen, nur einer der Sieger sein und das bin ich. Verzweifelt nicht. Mit mir steht ihr stets im Rampenlicht. Wo ich bin, ist vorne. Ich stelle mich niemals hinten an, ich kenne keinen Vordermann. Ich, icher, am ichesten!
Viele möchten wissen, wie ich das mache. Aber das verrate ich nicht. Da muss jeder selbst darauf kommen, sich seinen Weg selber bahnen. Der einzelne Wolf ist stark, im Rudel wird mir viel zu viel gejault. Ihr braucht mich nicht so bittend anzuschauen, ich verrate nicht mehr. Habt doch Vertrauen, ihr werdet schon sehen. Deutschland braucht Selfies in Hülle und Fülle, um in der globalen Welt zu bestehen. So wie die Amis und die Asiaten, diese gerissenen durch und durch rabiaten, weltgewandt, hochbrisant, bis ins Mark und Bein gewitzt, aus deren Holz bin ich geschnitzt.
Читать дальше