"Ich kümmere mich mal um den Freundeskreis."
Vor Jahren hat die Polizei den ganzen Kreis vermessen und eingeteilt. Eine Art Navigationssystem erstellt. Diese unsichtbaren Gitternetzlinien überzogen auch das schöne Windeck, die Perle im Rhein-Sieg Kreis. Flächenmäßig wohl die größte Gemeinde im Regierungsbezirk Köln, war sie gleichzeitig einwohnermäßig und finanziell die Letzte und Kleinste. Fast dreißig Kilometer lang zog sie sich kurz hinter Eitorf beginnend entlang der Sieg in Richtung Rothaar Gebirge. Das hieß nicht so, weil hier rotschöpfige Germanen oder Iren lebten. Nein, das kam von rod und Hard, was soviel wie gerodeter Kamm bedeutete. Das ganze Siegerland war früher mal Bergbauregion. Ganze Wälder wurden für Holzkohle geschlagen, damit die Eisen-Hütten Tag und Nacht das Erz aus dem Gestein schmolzen. Das Gebiet war keltischer Siedlungsraum. Schon die hatten 1000 v. Chr. Eisenerz geschmolzen. Der Name des Flusses Sieg kam auch aus dem Keltischen, Sikkere bedeutet schneller, reißender Fluss.
Die Sieg war wunderschön, konnte für ungeübte Schwimmer aber auch sehr gefährlich werden. Windeck liegt in NRW und grenzt an Rheinland Pfalz. Das war auch der Grund, weshalb es etwas gedauert hatte, bis der Fund des Pizza-
Taxis dem Mord an Hans Bückler zugeordnet werden konnte. Ein anderes Bundesland bedeutet mehr verfluchten Papierkram. KK Ilse war also auf dem Weg in den letzten Zipfel dieser Gemeinde. 200 Meter weiter endete ihre Amtsgewalt. Sie suchte einen gewissen Roman K., der lebte in einem winzigen Kaff, zu klein um Ort zu sein, war es ein sogenannter Weiler. Drei Häuser mit Kneipe nennt man Dorf, drei Häuser ohne Kneipe nennt man Weiler. Erkennt man an den grünen Ortsschildern. Der Typ wollte gerade mit seinem Hund eine Runde drehen.
Ilse ging mit.
"Wir sind hier schon in Rheinland Pfalz, hier ist kein Leinenzwang, mein Hund darf hier frei laufen!"
"Deswegen bin ich auch nicht von Siegburg hierher gekommen. Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten. Es geht um den Mord an Hans Bückler. Ihre Telefonnummer war in seinem Handy gespeichert. Sie kannten ihn?"
"Ja, wir haben manchmal zusammen gefeiert. Aber ich war mehr oder weniger nur Zaungast bei diesen Treffen."
"Was für Treffen?"
"Amical des anciens nennen die das. Mein Halbbruder Jean hat mich immer mitgenommen. Wenn er zu Besuch kommt, wohnt er manchmal bei mir."
"Manchmal?"
"Meine Frau kann ihn nicht ab. Sie wechselt sich mit ihren Schwestern bei der Pflege ihrer Mutter ab, ist sie nicht da, schläft Jean auf der Couch."
"Ihr Halbbruder ist Franzose?"
"Ja, ich bin ein Besatzungskind, wir lebten nach dem Krieg in der französisch besetzten Zone. Aber dürfen Sie hier überhaupt Fragen stellen? Wir sind nicht mehr in NRW?"
"Wir unterhalten uns nur. Ich kann Sie aber auch vorladen?"
"Nein, war nur ein Scherz. Mein Humor ist etwas dunkel pigmentiert."
"Was ist das für eine Amical?"
"Ehemalige Fremdenlegionäre, treffen sich mehrmals im Jahr. Kein offizieller Verein. Alles sogenannte 83er. Einige aus Deutschland, Belgien, England und wie mein Halbbruder Jean halt aus Frankreich. Erzählen von damals, singen, trinken und essen recht gut!"
"Warum immer am 30. April?"
"Das ist der höchste Feiertag in der Legion. Das war diese berühmte Schlacht in Mexiko 1863. 65 Fremdenlegionäre gegen 2000 Mexikaner.
Dieser Kampf, den nur drei Mann überlebten, wurde zum Symbol für Opfer- und Heldentum hochstilisiert. Jedenfalls wird der Tag in Frankreich groß gefeiert. In den Legionsstandorten ist dann Tag der offenen Tür."
"Was sind Dreiundachziger?"
"Die Einheit war wohl im Rahmen einer Friedensmission (FMSB) 1983 im Libanon stationiert. Die hatten einige Verluste. Jean war damals Unteroffizier. Hans war zwar nicht in seinem Zug, der war Scharfschütze. Aber irgendwas verbindet die beiden. Nur hat er nie erzählt was. Ich weiß eh sehr wenig über ihn. Nur das Nötigste. Aber er ist ein feiner Kerl. Sie glauben doch nicht, dass einer seiner Freunde Hans ermordet hat?"
"Wir stehen noch am Anfang der Ermittlungen. Es ist alles etwas nebulös. Hat Hans eigentlich viel geraucht?"
"Meines Wissens war er Nichtraucher, warum?"
"Ach, nur so."
"Sagen Sie mir bitte, wann die Leiche zur Beerdigung freigegeben wird, ich möchte die Kameraden informieren. Ich denke, die werden alle kommen.
Einer für alle, und alle für einen war so ein Spruch von denen."
"Werd ich machen, leinen Sie die Töle gefälligst an, wir sind wieder in NRW!"
Ilse grinste dabei, sie hatte doch einiges erfahren. Und die Gäste bei der Beerdigung würde sie sich auch vornehmen.
Lagebesprechung in Siegburg.
Die Ermittlungen gingen schleppend voran.
Da einige der zu Befragenden im Ausland residierten, musste jedes Mal um Amtshilfe ersucht werden. Und das dauert in Europa. Stift Maier1 hatte einen Glückstreffer gelandet. Kommissar Zufall führt manchmal zu erstaunlichen Ergebnissen. Er hatte den Job, Flüge und Passagierlisten am Airport Frankfurt zu checken. Und er wurde fündig. Zwei Tage vor dem Mord waren zwei Libanesen von Paris aus nach Deutschland eingereist. Die hatten einen Leihwagen der Firma Sixt genommen. Und waren am Folgetag nach dem Ereignis wieder abgereist. Auf dem Rückweg von Frankfurt nahm er die kürzeste Strecke durch den Westerwald. Über Flamersfeld kam er auch durch Weyerbusch. Der Ort ist bekannt, weil dereinst ein gewisser Friedrich Wilhelm Raiffeisen hier sein Wirken begann. Die Idee der genossenschaftlichen Selbsthilfe hatte der Sozialreformer Raiffeisen bereits zu seiner "Weyerbuscher" Zeit verwirklicht, wo er während der Hungersnot 1846 Brot für die Armen backen ließ und 1847 einen Brotverein gründete. Schon kurz nach seinem Amtsantritt hatte er hier eine Schule erbauen lassen, zwei weitere Schulen in Nachbarorten folgten. Zudem betrieb er zur besseren Erschließung der Region den Bau einer Straße von Weyerbusch über Flammersfeld, Rengsdorf und Heddesdorf zum Rhein, später auch bis Hamm (Sieg). Diese Straße, die zum Teil mit der heutigen B 256 identisch ist, wurde am 23. März 1984 Historische Raiffeisenstraße benannt. Sie verbindet seine Wirkungsstätten vom Geburtsort bis zum Raiffeisendenkmal in Neuwied. Er sorgte für die Aufforstung der Wälder und den Bau der Westerwaldbahn.
Da Maier ganz dringend noch seine Spesen verbraten musste, kehrte er in das Hotel Sonnenhof an der B 8 ein. Das war ein sehr gediegenes Gastronomie Objekt mit mehr als gutbürgerlicher Küche. Aber Papa Staat zahlte ja. Des Kaisers Rock ist eng, aber warm. Einer Eingebung folgend fragte er nach Hotelgästen der letzten Tage. Und siehe da, die beiden aus dem Nahen Osten waren tatsächlich dort abgestiegen. Sie hatten Besuch von einem Landsmann, jedenfalls unterhielten sie sich in ihrer Muttersprache. Soweit erinnerte man sich. Mit dem Personal sprachen sie in Englisch. Am Tag und zu der Zeit des Mordes waren sie im Hotel. Sie hatten sich frühzeitig auf ihre Zimmer zurückgezogen. Nein, niemand hat gesehen, dass sie das Haus verlassen hätten. Nur die Tatsache Libanese zu sein, ist aber nicht strafbar. Jedenfalls nicht in Deutschland. Und in einem Hotel zu nächtigen ist auch nicht verboten. Libanesen gelten als erstklassige Kaufleute. Ja man sagt ihnen nach, sie hätten das Geschäftemachen erfunden. An der Levante führten jahrtausendalte Handelsrouten vorbei. Möglicherweise waren sie auch nur zufällig aus geschäftlichen oder familiären Gründen zur Mordzeit in Weyerbusch, wo das gestohlene Pizzataxi abgefackelt aufgefunden wurde. Man könnte die deutsche Botschaft oder das französische Konsulat in Beirut um Amtshilfe bitten, doch mit welcher Begründung?
Die Frage, ob einer von ihnen Hans Bückler erschossen hätte, würden sie vermutlich verneinen. Und objektive Beweise waren zur Zeit Mangelware.
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