Jessica bedankte sich für die wohlwollenden Worte.
«Leisten Sie mir doch anschliessend im Salon etwas Gesellschaft. Wir können dort gemeinsam von ihrem köstlichen Nachtisch essen und in aller Ruhe einen Kaffee trinken.»
Keine zwanzig Minuten später sassen die beiden Frauen auf weichen bequemen Sesseln im kleinen Salon, der durch die mächtige Bücherwand eher einer Bibliothek glich. Sie hatten einen direkten Blick auf das Feuer im Kamin. Das Ambiente war sehr gemütlich. Beatrice hatte ihre Schürze abgelegt und war offiziell in den Feierabend gegangen. Vor wenigen Minuten servierte ihnen Maja einen frisch gebrühten Kaffee. Dazu gab es Tiramisu. Nachdem was beim Abendessen vorgefallen war hatte sie die Lust auf ihren Lieblingsnachtisch verloren. Sie ass bloss eine Dessertgabel voll und stellte den Teller bei Seite. In diesem Jahr wurde Jessica zweiundfünfzig Jahre alt. Die meisten schätzten sie um einiges jünger ein. Sie hatte noch immer schöne Gesichtszüge und eine straffe Haut. Obwohl sie sportlich nie besonders aktiv gewesen war, behielt sie ohne grosse Anstrengungen ihre schlanke Figur. Jessica war eine anmutige Frau und sie hatte etwas Sinnliches an sich. Sah man sich Fotos ihrer Mutter an, so war Jessica ihr Abbild.
An diesem Abend wollte sie von Beatrice in Erfahrung bringen wie es ihren beiden Kindern in den letzten Jahren unter der Obhut ihres Grossvaters ergangen war. Durch ihre langen Europareisen hatte sie nur am Rande mitbekommen wie es um ihr Privatleben bestellt gewesen war. Vor etwas mehr als einem Jahr, das hatte sie durch die Boulevardpresse erfahren, verlobte sich ihre Tochter Chloé mit dem Sohn eines Medienmoguls aus San Francisco. Die Hochzeitsvorbereitungen fanden jedoch ein plötzliches Ende, weil Chloé das Interesse an ihrem Freund verlor. Die genauen Gründe kannte Jessica nicht. Häppchenweise bröselte Beatrice heraus, was sie darüber wusste. Im Gegensatz zu ihrem Bruder war Chloé in Liebesbeziehungen eigentlich immer die verantwortungsvollere, vernünftigere gewesen. Tobias war ein Playboy, das Vermögen der Familie verprasste er für Freizeitvergnügen, in Nachtclubs, für teure Autos von denen er schon mehr als eines zu Schrott gefahren hatte und für teure Geschenke an schöne Frauen. Vielen hatte er das Herz gebrochen. Tobias kokettierte früher oft damit nicht arbeiten zu müssen und zeigte dies auch in der Öffentlichkeit. Seit einiger Zeit so berichtete Beatrice, sei er ruhiger und reifer geworden. Nur trinke er hin und wieder zu viel und dann schlage er über die Stränge. Gewisse Anlagen seines Vaters wurden ihm wohl mit auf den Weg gegeben. Eigentlich sehnte er sich nach einer warmherzigen und liebevollen Frau mit der er Kinder haben konnte. Seinen Weg und seine Bestimmung musste er jedoch noch finden. Ihm fehlte es an Strukturen, denn er lebte lange Zeit in den Tag hinein. Der Tod seines Grossvaters habe Tobias und Chloé tief erschüttert. Sie wohnten lange Zeit gemeinsam als Familie in der Stadtvilla. Nach dem Mord zog Chloé aus, da sie die vertraute Umgebung nicht mehr ertrug. Für sie war Gregory wie eine Vaterfigur. Schon als Chloé noch ein Kind war hatte ihre Mutter schwer Zugang zu ihr gefunden. Sie war hoch intelligent, introvertiert, sehr eigen und eine Einzelgängerin. Wenn andere Kinder draussen spielten und herumtobten, sass sie lieber drinnen, las ein Buch oder hörte sich alte Geschichten ihres Grossvaters oder von Beatrice an. Zuerst waren die Geschwister vehement gegen eine Hochzeit zwischen Gregory und Madeleine Brock. Später verstanden sich aber beide, zur grossen Überraschung anderer, recht gut mit ihr. Es war ihrer Stiefmutter gelungen, ihr Vertrauen zu gewinnen. Für Jessica blieb das absolut unverständlich. Selbst Beatrice stand Madeleine freundlich gesinnt gegenüber. Sie hielt sie nicht für Gregorys Mörderin.
«Es klingt vielleicht komisch.» erklärte sie. «Und nehmen Sie es mir nicht übel, doch ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen das Madeleine ihren Vater getötet hat. Denn ich weiss, sie hat ihn abgöttisch geliebt.»
Das von Beatrice zu hören verschlug Jessica beinahe die Sprache. Sie räusperte sich.
«Wie können Sie sich da nur so sicher sein?»
«Ich habe sie zusammen erlebt. Sie war ihm gegenüber wohl gesinnt. Da war keine Habgier in ihren Augen. Ihre Absichten waren ehrlich. Sie hat ihren Vater ein Stück weit gebändigt. Er war zufriedener und hatte seine verloren geglaubte Lebensfreude zurückgewonnen.»
Das Holz knisterte im Kaminfeuer.
«Glückliche Liebe sagen Sie?»
Diese Frau war lediglich auf sein Vermögen aus. Welcher alte Mann würde sich nicht geschmeichelt fühlen wenn er von einer jungen Schönheit umgarnt wird.
«Und diese ganzen Streitereien? Es gibt genügend Aussagen die das bekräftigen. Für mich klingt das nicht nach einer harmonischen Beziehung.»
«Ja, sie stritten sich. Ihr Vater hatte mir als ich ihn das letzte Mal sah erzählt, dass sie ihre Probleme überwunden hätten.»
«War sie schwanger?» wenn, dachte Jessica, so musste es Beatrice wissen.
«Wo haben sie das aufgeschnappt?»
«Chloé hat es vorhin beim Abendessen erwähnt. Auch, dass Madeleine mit Tobias eine Affäre gehabt haben soll.»
Fast hätte Beatrice ihre Tasse Kaffee die sie in der Hand hielt verschüttet. Sie lachte und schüttelte ungläubig den Kopf.
«Nein, nein, nein. Meine Güte, das ist völliger Humbug!»
Sie unterdrückte ihr Gelächter. «Tobias und Madeleine, sie verhielten sich eher wie Geschwister, mehr war da nicht! Madeleine war schwanger, das Kind ist von ihrem Vater, daran gibt es keinen Zweifel. Ich weiss von der Vasektomie. Deswegen verlangte er einen Test von ihr, darüber hatten sie unter anderem gestritten. Dieser Test bestätigte jedoch eindeutig seine Vaterschaft.»
Zum einen fiel ihr ein Stein vom Herzen, aber zum anderen blieb da noch eine gewisse Skepsis. Es gab Fälle, wo es trotz einer Vasektomie zur Schwangerschaft kam, doch das geschah eher selten.
«Wäre es möglich gewesen den Test zu fälschen?»
«Sie mögen Madeleine wirklich nicht.»
«Es ist für mich ein Rätsel, warum Chloé eine solche Geschichte erfinden sollte.»
«Das kann ich mir auch nicht erklären.»
Sie unterhielten sich noch fast eine weitere Stunde über das Leben von Jessicas Kindern und den Geschehnissen der letzten Zeit. Trotz aller Sympathie die Beatrice Madeleine entgegenzubringen schien, konnte Jessica von ihrer Abneigung nicht wegkommen. Alleine die Tatsache, dass Madeleine irgendwo auf der Flucht war und das Kind ihres Vaters austrug liess sie erschaudern. Dies auch aus absolut egoistischen Beweggründen, denn die Möglichkeit bestand, dass dieses Kind irgendwann den Anspruch auf sein rechtmässiges Erbe geltend machen könnte.
Der Himmel war sternenklar. Die Nacht vermochte den aufgeheizten Boden etwas abkühlen zu lassen. Daniel stampfte durch das hohe Gras eines halb überwucherten Weges. Er war unterwegs zu der kleinen Holzbaracke unten am Seeufer. Nachdem er seine Kontrollrunde ums Haus gedreht hatte, war er beim Tor gewesen. Verärgert musste er feststellen, dass Adam nicht auf seinem Posten sass, sich geschweige denn in der Nähe dessen aufhielt. Seit über einer halben Stunde suchte er nun wütend nach ihm. Es schien Adam nicht mal in den Sinn gekommen zu sein, wenigstens die Kette mit dem Schloss am Tor anzubringen. Angelehnt hatte er es einfach zurückgelassen. Dabei wusste er genau wie sehr sich Jessica vor ungebetenen Gästen fürchtete. Sie hatte ausdrücklich darauf bestanden, einen Wachmann beim Haupteingang zu Lion House zu haben. Früher hatten sich immer wieder Paparazzi aufs Grundstück geschlichen um das Gelände auszukundschaften und heimlich Bilder von Familienmitgliedern zu schiessen. Als sich Daniel der Baracke näherte, konnte er den Geruch von Tabak ausmachen. Er verliess den Pfad dem er bis hierhin gefolgt war und ging stattdessen rings um den Schuppen herum. Dabei stolperte über eine lose Bodenplatte. Als er wieder hoch sah, entdeckte er Adam und ging ihm zornig entgegen.
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