Nun konnte das Aufladen beginnen. Beim Bepacken stand ein Mann auf dem Wagen und schichtete die gereichten, aufgespießten Heuhaufen fachgerecht. Die Kinder mussten nachrechen. Die gesamte Fuhre harkte der Bauer persönlich am Ende nochmals sauber ab, denn sie sollte eine schöne, gerade Ladung sein.
Krumme Heufuhren wurden belacht, und der Bauer war froh, wenn er möglichst ungesehen die Scheune erreichte.
Daheim hatten die Frauen und Kinder das Heu auf dem Heuboden festzutreten. Das Herumtrampeln auf dem warmen Heu in der Scheune bei der großen Hitze war natürlich mühevoll sowie eine unbeliebte Tätigkeit und ließ den Schweiß rinnen.
Bei beständigem und schönem Wetter konnte man das gesamte Heu in 14 Tagen einbringen, allerdings unter der Bedingung, täglich Gras zu mähen und getrocknet heimzufahren. Es waren meist einige Wiesen gleichzeitig zu bearbeiten. Das bedeutete Stress und Hetze für die Bauern. Bei schlechtem und ungünstigem Wetter dauerte es bis zu vier Wochen und oft noch länger. Am Ende des Tages luden die Landwirte ihre Arbeitsgeräte auf, platzierten die Kinder auf den Leiterwagen und spannten die Tiere an. So zockelten Mensch und Tier in ihre Höfe. Die Leute waren mit den Gedanken schon in den Ställen beim Füttern der Tiere und Ausmisten der Ställe.
Beängstigend war es, wenn die Heuarbeiten von einem herannahenden Gewitter gestört wurden. Der dann oft einsetzende mächtige Wind behinderte die Ladearbeiten, und der nachfolgende Regen machte die ganze vorige Arbeit nutzlos. Wie man sieht, brachte die Heuernte für das bäuerliche Landvolk insgesamt eine übergroße Hetze mit sich.
Unschwer zu erkennen ist daher, dass sie für eine werdende Mutter in den letzten Wochen völlig ungeeignet ist. Nun besaß meine Familie kein eigenes Pferd. Mutter hatte daher an diesem heißen Augusttag die beiden Kühe vor einen hohen Leiterwagen gespannt und war in den frühen Morgenstunden mit ihren beiden Söhnen ins Heu gefahren. Ihr Stück Wiese lag dicht am Busch, gleich hinter dem Vertauschungsfleck und hieß die Siebenruten.
Es war ein Donnerstag. Die Kinder hatten Ferien und zeigten sich als eine gute Hilfe für die Mutter beim Nachharken und Zügeln der Tiere.
Der Vater begann seine Arbeit als Schmied schon im Morgengrauen gegen sechs Uhr in der Dorfschmiede. Er schärfte die Pflugschare der Bauern und reparierte ihre Eggen, Heuwender, Häckselmaschinen oder die Zinken der Heugabeln.
Er traf gewöhnlich nach seiner ersten Schicht am späten Nachmittag mit dem Fahrrad auf dem Feld ein, um der Mutter zur Seite zu stehen. Heute war ein besonderer Tag für die vierköpfige Familie. Mutter wartete schon einige Tage auf ihr drittes Kind. Trotzdem fuhr sie wie an den vergangenen Tagen in die Heuernte und begann, das in Schwaden liegende Heu aus seinen langen Reihen zu kleinen Haufen zusammen zu harken. Die beiden Jungen halfen ihr mit dem Rechen und den Zügeln wie gewohnt. Als es Zeit wurde aufzuladen, bekam sie das Ziehen im Bauch, welches sie bereits seit dem frühen Morgen gespürt hatte, in kurzen Abständen und immer heftiger.
Der Wagen war zur Hälfte gefüllt. Sie gab Anweisungen, wie der Große ihr das Heu zureichen sollte. Schwerfällig begab sie sich dann auf die erste Stufe des Wagens. Ehe sie aber auf die Heufuhre klettern konnte, um den oberen Teil fachmännisch zu laden, wurden plötzlich ihre Kleider nass. Erschrocken glaubte sie, ihr Kind hier auf der Wiese zu bekommen. Schweiß trat auf ihre Stirn. Zitternd vor Erregung entschloss sie sich, schnell zu handeln. „Junge, lauf über die Wiese und hinten an den Gärten vorbei in die Schmiede. Sag dem Vater, er soll schnell kommen. Es geht jetzt los“, rief sie dem Älteren zu. Sie zeigte auf ihren großen Bauch und beide Jungen machten erstaunte Gesichter. Der Große fasste sich ein Herz und rannte in die Schmiede.
Der Vater und unser Nachbar kamen so schnell es ging im Einspänner mit einem braunen Pferd davor. Die Mutter wurde vorsichtig auf den Wagen gesetzt. Der Schneidermeister verborgte heute Pferd und Wagen zu diesem Ereignis und fuhr sein Gefährt gleich selbst zur Wiese, für alle Fälle. Dann half er den beiden Jungen mit dem Heu, während die Kutschfahrt der Eltern in die kleine Kreisstadt führte, nur eine Handvoll Kilometer entfernt. Für Mutter, deren Wehen nun regelmäßig in wenigen Minuten kamen, schien dieser Weg kein Ende zu nehmen. Sie war hochrot, hockte mehr als sie saß und wurde vom Vater gehalten.
Auf den Nachbarfeldern stützten sich die Bauern neugierig auf ihre Rechen und hielten die Hand schützend über die Augen. „Was um alles in der Welt ist denn heute bei dem Schmied los?“, forschte der alte Wendisch und sah seine Frau an. Die zuckte mit den Schultern:„ Wenn das man nichts mit dem Wochenbett der Frau zu tun hat. Sie ging schon ziemlich stark und hat auch bis zuletzt geackert, die Arme. Ein Wunder, dass sie das Kleine nicht auf der Wiese entbunden hat.“ „Das dünne Schneiderlein kümmert sich um die beiden Burschen. So etwas hat man ja noch nicht gesehen. Was will der denn bei der Feldarbeit? Den bläst doch ein Gewittersturm glatt von der Wiese“, lästerten die anderen Leute und wandten sich kopfschüttelnd ihrer Arbeit zu.
Am Nachmittag kurz nach der Kaffeezeit wurde im Mütterhaus durch die Hebamme Frau Zehkorn eine kleine Tochter entbunden. Diese Frau half noch vielen Kindern auf die Welt. Sie hatte in ihrem Haus zwei Entbindungszimmer eingerichtet.
Ein notdürftig eingerichtetes Krankenhaus und einen Arzt gab es in der großen Kreisstadt. Für die Bauern war es zu umständlich, dorthin zu fahren. Natürlich war die Ausstattung des Hauses dürftig und auf das Notwendigste beschränkt. Der Entbindungsraum im linken Flureingang hatte vor dem Krieg schon so ausgesehen: Rechts an der Wand stand der grüne Kachelofen, in der Mitte ein altes Feldbett, von dem man den Umriss in der Dielenfärbung noch Jahre später wahrnehmen konnte und links, gleich neben dem Eingang, ein Tisch als Wickelkommode. Den Sonnenschein hielten zerschlissene Jalousien zurück und tauchten den Raum in ein fahles Dämmerlicht. Über der Kommode an der Wand hingen Tapeten mit Kindermotiven. Bälle, Rasseln und Teddys, bunt durcheinander. An den Wänden klebten Tapeten, man sah an abgeriebenen Stellen unter ihnen alte Zeitungsreste mit russischen Schriftzeichen. An eine Renovierung dieser Räume konnte damals nicht gedacht werden, denn es gab wichtigere Dinge, wie das tägliche Brot zu besorgen und den Kindern auf die Welt zu helfen, dem Leben wieder Sinn zu geben.
Als Mutter und Kind nach einigen Tagen wieder zu Hause waren, verlief der Ablauf des Tages anders als gewohnt. So eine Entbindung in der Haupterntezeit und ein Kind so kurz nach dem Krieg war kein Ereignis, das die Familie sonderlich begrüßte. Zunächst begannen die beiden Großen, inzwischen acht und neun Jahre alt, viele Fragen an die Eltern zu stellen:
„Bleibt die Kleine jetzt bei uns oder bringst du sie wieder zurück?“, machte sich der Ältere die Hoffnung, dass es so wird wie früher.
„Woher kam die kleine Schwester eigentlich? Wieso wurde sie überhaupt zu uns gebracht? Wir haben doch schon zwei Kinder“, grenzte sich der Jüngere ab. Beide hatten in den vergangenen Jahren genug durchgemacht.
Sie wollten jetzt ein wenig Ruhe in ihrem Leben, eine Zeit, wo die Mutter wenigstens am Abend mehr für sie da war. Die beiden waren kurz nacheinander noch in der alten polnischen Heimat geboren. Erst als es hieß, man solle die deutschen Ostgebiete verlassen, begann eine schreckliche Zeit für die Mutter und die beiden kleinen Kinder. Die Mutter hatte in kurzer Zeit ihr Hab und Gut zu packen, das in zwei großen Koffern Platz hatte, dabei Federbetten und das Nötigste für die Kinder. Mit Pferd und Wagen flüchtete auch sie wie so viele andere im kalten Winter bei Schnee und Eis über die Oder. Vater war zu dieser Zeit schon in Richtung Russland als Soldat unterwegs.
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