Es duftete herrlich nach frischen Brötchen, doch Marco wurde die Anspannung, die schon seit Tagen auf ihm lastete, einfach nicht los. Seine Hände zitterten leicht.
„Ich muss heute noch mal ins Büro, ich werde etwas später zu dieser Vernissage kommen. Tut mir leid.“
Corinna stöhnte innerlich auf. Doch sie wagte nicht Marco eine Szene zu machen. Die Abfuhr heute Morgen hatte sie schwer getroffen, trotzdem schluckte sie die Bemerkung, die sie auf der Zunge hatte, hinunter.
„Was meinst du wann du da sein wirst?“ fragte sie äußerlich gelassen.
„Ich schätze gegen zwei werde ich da sein. Wirst du das rote Kleid für mich anziehen? Darin finde ich dich besonders sexy.“ raunte er Corinna über den Tisch zu.
Versöhnlich lächelte Corinna Marco an.
„Für dich doch immer. Und zur Wiedergutmachung führst du mich dann heute Abend noch zum Essen aus.“
Marco lächelte, bot Corinna eine Zigarette an, nahm sich dann auch eine aus seinem Etui und schlenderte auf den Balkon. Tief zog er den Rauch ein und seine Gedanken wanderten schon wieder in Richtung Arbeit. Kurze Zeit später trat Corinna neben ihm und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
„Bis später dann. Ich muss noch mal bei mir vorbei und hab keine Lust wieder stundenlang im Stau zu stehen. “
Sie fingerte ihre Handtasche vom Sessel und verließ kurz darauf Marcos Wohnung. Marco tauschte den Bademantel gegen seinen Jogginganzug, warf die Tür ins Schloss und stand kurze Zeit später auf der Straße. Tief atmete er die kühle, frische Luft ein. Nachdem er einige Minuten gelaufen war, merkte er, wie die Anspannung langsam nachließ. Sein Kopf wurde freier und mit weit ausholenden Schritten lief er den gewohnten Weg zu einem kleinen Waldstück. Hier und da hörte man Vogelgezwitscher und die ersten warmen Sonnenstrahlen tanzten durch das erste zarte Grün der Bäume. Gutgelaunt erreichte er nach gut einer Stunde wieder sein Zuhause. Nach einer kurzen Dusche machte er sich auf den Weg ins Büro.
Marco und Tobias waren eineiige Zwillingsbrüder. Bis auf die Frisur sahen sie vollkommen gleich aus. Geheimnisse zwischen Ihnen gab es nicht. Nie hatte es bisher einen größeren Streit zwischen ihnen gegeben. Das lag vielleicht daran, dass sie sich auch charakterlich ähnlich waren. Im Gegensatz zu Marco war Tobias aber eher ernsterer Natur. Genau wie Marco war auch er selbständig und er liebte seinen Beruf als Landschaftsarchitekt über alles.
Finanziell gab es keinen Grund zu klagen. Beide verbrachten ihre Freizeit überwiegend in ihrer eigenen kleinen Blockhütte am Ammersee, malerisch gelegen im bayrischen Wald. Dort konnten sie fernab des Alltags beim Segeln so richtig die Seele baumeln lassen.
Tobias saß am Computer und schrieb Rechnungen. Missmutig schaute er auf den Monitor. Im Hintergrund versuchte ein Moderator gute Laune in die Wohnungen der Menschen zu zaubern. Tobias hatte die Balkontür weit aufgerissen, um die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings hereinzulassen. Eine leichte Brise zog an Tobias vorbei. Seine Aufmerksamkeit wurde vom lauten Gezwitscher eines Spatzenpaares gestört, das aufgeregt auf seinem Balkon hin und her tanzte. Die Unbekümmertheit dieser kleinen Geschöpfe belustigte ihn, als es im gleichen Moment laut an der Tür klopfte. Verdammt, er hatte noch immer nicht die Zeit gefunden, die Klingel zu reparieren. Tobias öffnete die Tür und schaute seinem Ebenbild genau ins Gesicht.
„Na, alter Junge. Wie geht’s dir denn so?“ begrüßte Marco seinen Bruder und schlug ihm freundschaftlich auf die Schultern, während er an Tobias vorbei ins Wohnzimmer schlenderte und sich in einen Sessel fallen ließ.
Mit gerunzelter Stirn folgte sein Bruder ihm.
„Diese verdammte Buchführung macht mich noch ganz fertig.“ stöhnte er und
setzte sich wieder an seinen Schreibtisch.
Er lehnte sich zurück und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar.
„Ich werde dich erlösen und schlag dir eine Spritztour zum Wannsee vor. Und wenn wir zurückkommen helfe ich dir bei deiner Schreibarbeit. Bist du dabei?“
Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken willigte Tobias ein. Kurze Zeit später heulten die Motoren der beiden schweren BMW Maschinen auf und beide lenkten ihre Motorräder auf die Straße stadtauswärts.
Seit zwei Tagen regnete es fast ununterbrochen. Der April war recht kühl gewesen doch jetzt Anfang Mai erhielt endlich die Sonne die Oberhand. An ihrem Geburtstag letztes Wochenende waren Sylvie und Lea schon früh mit dem Motorrad zu einer Spritztour aufgebrochen. Es war einfach herrlich bei strahlendem Sonnenschein, blühenden Apfelbäume am Straßenrand, und im Schatten des ersten zarten Grüns, sich den Wind um die Nase wehen zu lassen. Abends hatte Sylvie sie in ein exquisites Fischrestaurant eingeladen und beide schlemmten sich stundenlang durch die Speisekarte. Zu später Stunde rundeten sie den herrlich Tag noch bei Lea mit einem guten Tropfen Wein ab. Die Nacht war mild und beide hatten bis spät in der Nacht gelacht und über Gott und die Welt philosophiert. Wie jedes Jahr färbte das neue Beginnen von Leben ein wenig auf Lea ab. So oft Ihre Arbeit es zuließ, fuhr oder lief sie stundenlang durch die erwachende Natur.Eines Abends stand sie völlig durchnässt vor der Haustür und konnte ihren Hausschlüssel nicht finden.
Obwohl es nicht ihre Art war, fluchte sie nun laut vor sich hin.
„Verdammt noch mal, wie kann man nur den Schlüssel vergessen.“
Wieder einmal war sie sich Ihrer Schwäche bewusst, wie schusselig sie doch war. Es half nichts, der Schlüssel war nicht da. Kleine Regenbäche liefen über ihr Haar und langsam den Rücken herunter. Sie war spazieren gewesen und hatte natürlich auch keinen Regenschirm dabei. Sie hätte Sylvie anrufen können, doch warum sollte ihr Freundin immer für ihre Schusseligkeit hinhalten? Nein, diesmal musste sie da alleine durch, irgendwo hatte sie doch einen Ersatzschlüssel hinterlegt. Aber wo? Angestrengt überlegte sie, während der Regen unaufhörlich auf sie niederprasselte. Erst mal ins Trockene, war ihre nächste Überlegung. Langsam wurde es dunkel. Geduckt lief sie rüber zur alten Scheune, in der sie allerlei kaum gebrauchte Dinge untergestellt hatte. Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, schrie sie laut auf. Mit einigen geschmeidigen Sprüngen landete Shiva direkt vor ihren Füssen. Sie beachtete Leas unschöne Verwünschungen überhaupt nicht und strich miauend um ihre Beine. Vom Vorbesitzer waren noch einige Ballen Heu übrig geblieben. Nachdem Lea die nassen Kleider ausgezogen und gegen ihre alte Gartenkleidung getauscht hatte, setzte sie sich frustriert auf einen Ballen Heu. Auf einem Querbalken lag ein Kofferradio und ihre schlechte Laune ließ
etwas nach, nachdem eine beruhigende Musik erklang. Shiva sprang auf ihren Schoß und Lea kraulte gedankenverloren ihr Fell. Neben ihr lagen noch die Reste einer alten Zeitung, in der sie vor einigen Tagen junge Veilchen für ihre Freundin eingepackt hatte. Plötzlich hatte sie eine Idee. Eine Annonce, jawohl, sie würde eine Anzeige aufgeben. „Für eine abenteuerliche Reise durch Deutschland in einem Wohnmobil suche ich einen aufgeschlossenen, unverheirateten, gebildeten Herrn zwischen 30 – 35 Jahren. Bedingung: Selbstversorger, kein Schnarcher. Dauer der Reise: ca. 4 – 5 Wochen. Interessiert? Dann sende eine E-Mail an: Lea web.de Sie lehnte sich zurück und fingerte eine Zigarette aus ihrer Etui, zündete sie an und blies den Rauch gedankenverloren nach oben. Natürlich würde man sich erst mal kennen lernen müssen, immerhin waren ja noch einige Wochen Zeit bis zum Reisebeginn. Mit einem Ruck sprang sie auf und Shiva rutschte missmutig von ihrem Schoss. Im gleichen Moment fiel ihr auch wieder ein, wo sie ihren Ersatzschlüssel hatte. Sie fingerte ihn hinter einem losen Stein in der Scheunenwand hervor, lief rüber zum Haus, schloss die Haustür auf und ließ sofort heißes Badewasser ein. Im Schein der Kerzen, die sie im Bad aufgestellt hatte und der nostalgischen Musik nahmen ihre Pläne konkrete Züge an. Sie nippte an einem schweren Rotwein und schloss träge die Augen.
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