Vor dem Schnitt mussten die Sensen und Sicheln auf dem Dengelstuhl gedengelt (geschärft) werden und der mit Erde ausgestattete Dachboden für das Aufschütten der Frucht hergerichtet werden. Die Mäuselöcher wurden mit nasser Erde und Stroh verschmiert und dann der ganze Dachboden mit einem Gemisch aus warmem Kuhdung und Wasser mit einem alten, ausgedienten Weißwodl (Schrubber) und Peimpstl (Pinsel) aufglent (aufgetragen). Einen Tag vorher hatte Zwumpl die Fußböden im Haus und auf der Gredn (Vorraum) aufglent (frisch überzogen), während seine Mutter die Säcke flickte.
Wie immer, wurde im Schnitt das angebaute zeitige (reife) Getreide gefechst (geerntet). Die Männer mähten mit dem Sengstrechel und schärften diesen mit einem Wetzstein. Die Frauen banden die Garben und stellten je neun Garben zu einem Fruchtmandl zum Trocknen auf. Anschließend wurde das Feld zwischen den aufgestellten Fruchtmandln mit einem Holmirechen abgestreift, damit keine Ähre verloren ging. Die kleinen Kinder lagen währenddessen in der Hitze oft unter einem Bleinkert (Decke) in der Fuhring (Mulde) oder spielten mit Erdbrocken oder Insekten und aßen Erde. Beim Gehen war es wax, sodass ihre Fußsohlen schmerzten . Wenn sie in den angrenzenden hohen Kukuruzfeldern verschwanden, begann die Angst der Mütter.
Als im Müliplitschler-Haus gedroschen wurde, war der Geid vom Vortag noch nicht nüchtern, was man an seinem schief aufgesetzten Hut sah. Wie öfters, wenn er den Rahm ablieferte, hatte er sich am Vortag im Gasthaus betrunken. Das Pferdegespann wartete, an einem Baum angehängt, vor dem Gasthaus auf ihn. Erst spät an diesem regnerischen Abend in der Dunkelheit stieg er betrunken auf den Pferdewagen, schlug die Pferde, sodass sie erschreckt im Galopp davonliefen und die Milchkannen nur so hin und her schärfelten (purzelten) und er vom Wagen fiel. In der Dunkelheit liefen die Pferde allein weiter, verfingen sich im Wald, sodass ein Jäger sie befreien musste. Zuhause versuchten sie angeschirrt samt ihrer Anhängevorrichtung und dem Wagen in den trockenen Stall zu laufen, sodass ein Stück der Mauer herausgerissen wurde. Patschnass war der Geid nach langer Zeit zu Fuß heimgekommen und hatte zitternd geschrien: „Mutter, die Hexen haben mich übergehabt.“
Ständig kreisten die Gedanken vom Geid, genauso wie bei allen Familien, angstvoll über die Sudetenkrise und einen bevorstehenden Krieg und sein bevorstehendes Schicksal. Der Geid befürchtete, bald einberufen zu werden. Was würde dann aus seiner Familie werden? Am meisten Sorgen machte er sich um seine Kinder Martha und Adolf, seinen geistig behinderten Sohn. Wer würde für Adolf, seinen behinderten Sohn, der als Kind in die Froas (Frais) gefallen war, sorgen, wenn er nicht mehr da war?
Um sich zu beruhigen und sich von seiner Furcht abzulenken, suchte er wie öfters Trost im Alkohol. Während der Arbeit wurde den Männern Most gereicht, aber der Geid wusste, dass im kühlenden Brunnen der Uhudler-Wein für das Mittagessen, in einem Amper (Kübel) heruntergelassen, hing. Jedes Mal, wenn er vom Dachboden herunterstieg, kurbelte er mit einer Kurbel den Wein vom Brunnen heraus und trank, sodass er bald stänkerisch wurde.
Als die Goatl mit dem Geid schimpfte: „Trink nicht so viel Wein, du bist betrunken“, schrie er zurück: „Ich werde nicht betrunken, ich vertrag viel Wein, ich bin geeicht.“
Stefan Resner ärgerte, dass es hier keinen Strom gab. In seinem Ärger schrie er: „Wenn ihr Strom hättet, ginge alles leichter.“ Angriffslustig erwiderte der Geid: „Was brauchst du dich prahlen mit dem Strom, wenn in eurer Gemeinde drei Familien gleichzeitig dreschen, fällt das Stromnetz wegen Überlastung aus.“
„Du sei ruhig, warum kommst du nicht schneller vom Dachboden zurück“, entgegnete Resner wütend.
Daraufhin wurde der Geid zornig und lallte: „Du Siebengscheiter, wegen dir und deinem Hitler wird es bald Krieg geben im Sudetenland. Im nächsten Moment erhob er die rechte Hand, salutierte so heftig, dass sein Hut herunterfiel und schrie: „ Ein Volk, ein Reich, ein Führer, derselbe Dreck wie ender (früher). Heil Moskau, den Hitler soll der Teufel holen.“
Marthas Blut stockte, ihr Herz drohte zu zerspringen. Wie gerne hätte Martha jetzt, wie sonst auch immer, wenn ihr Vater zuhause über Hitler schimpfte, den Volksempfänger laut aufgedreht, dass ihn niemand hören konnte. Denn nachdem der Geid von Stefan Resner nach dem Kirchenbesuch vor allen Kirchengehern ob seiner Unwissenheit blamiert wurde, hatte er sich sofort einen Volksempfänger beschafft. Martha hatte es jedem erzählt, damit alle wissen sollten, dass sie nun auch gut informiert seien.
In Stefan Resner pulsierte das Blut vor Zorn. Eine derartige öffentliche Beleidigung des Führers konnte er nicht hinnehmen. Er empfand es als seine Bürgerpflicht, seine Loyalität gegenüber dem Führer darzutun, und den Geid anzuzeigen. Stillschweigend hoffte er, sich dadurch beim NSDAP-System beliebt und Karriere zu machen.
Im selben Moment ging er weg, um eine Anzeige zu machen, obwohl sich alle anderen bemühten, ihn im Hinblick auf die zukünftige Verwandtschaft davon abzuhalten, insbesondere die Goatl. Als Stefan Resner sah, wie sehr Martha weinte, meinte er nur lapidar, Ordnung und Zucht seien das Gebot der Stunde. Dann war er eiligst verschwunden.
Als der Geid kurze Zeit später von der Gestapo abgeführt wurde, schien jeder Winkel im Dorf verstummt zu sein. Die auf der Gossn stehenden Zuschauer flüsterten sich ängstlich hinter vorgehaltener Hand ein paar Worte zu und verschwanden. Auf dem Dorfplatz, wo früher unbekümmert über alles gesprochen wurde, traute sich niemand mehr über das NS-System zu schimpfen, Martha schnürte es beim Abführen ihres Vaters die Kehle zu. Wie ein Verbrecher wurde er vor aller Augen abgeführt. Wie würde sie mit dieser Schande weiterleben können? Sie hatte irgendwie auf ein Wunder gehofft, dass ihm jemand zu Hilfe eilen würde und es sich als ein böser Scherz herausstellen würde, aber umsonst. Nun konnte sie ihren Verdienst bei der mehrmonatigen Grünarbeit in Deutschland, welche sie bereits mit einem hiesigen Parteiführer vereinbart hatte, vergessen. Dabei hatte sie sich bereits, so wie es im Dorf üblich war, schon von ihren Verwandten verabschiedet.
Die Goatl begann zu schluchzen: Gerade jetzt, in der gnädigsten Zeit, muss das geschehen“, jammerte sie. Noch immer optimistisch drehte sich der Geid zu seiner Familie um und schrie angeheitert: „Wir kommen wieder.“
Auch die Eheleute Ertl waren schockiert und wären aus Schande am liebsten im Boden versunken. Dass Stefan Resner imstande war, eine solche Tat rücksichtslos an ihrer zukünftigen Verwandtschaft zu begehen, erschütterte sie.
Bald darauf wurden im Dorf auch andere Personen verhaftet und die ersten Hausdurchsuchungen durchgeführt, sodass viele ahnten, dass das vermeintlich gute Schlangengesicht lange Schatten warf. Niemand traute sich mehr öffentlich über die NSDAP zu schimpfen, denn sofort wurde ihnen von den neuen Machthabern gedroht: „Wenn du nicht spurst (folgst), kommst du ins KZ.“ Keiner im Dorf wusste, was „KZ“ bedeutete. Mangels Information stellten sich die Leute das KZ wie ein Arbeitslager vor.
Kurz hatte Karl sich umdrehen wollen, als er einen stechenden Schmerz in seinem verletzten Bein gespürt hatte. Das alte, durch Holzwürmer durchlöcherte Holzbett mit dem Strohsack erinnerte ihn an Martha. Er hatte mit ihr hier im ghoam (Geheimen) eine glückliche Zeit verbracht. Er fühlte sich geborgen in der vertrauten Ruhe und Abgeschiedenheit und dem Wohlgefühl in seiner Heimat. Augenblicklich fiel er in einen tiefen Schlummer und seine Träume holten ihn zurück in jene glückliche Zeit mit Martha in dieser vertrauten Umgebung.
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