Plötzlich schwirren schwebende, mechanische Kugeln um mich rum und piepsen nervig. Verängstigt versuche ich, sie abzuschütteln, als wären es lästige Fliegen, die es zu vertreiben gilt. Ohne Erfolg.
Mein Blick bleibt an einer Leinwand hängen, die aussieht, wie eine dieser riesigen Werbeflächen, auf denen bei uns immer die Burger- oder Autowerbungen laufen. Hier werden komische Zeichen eingeblendet, die ich noch nie zuvor gesehen habe, bevor ein Bild von einer Frau erscheint.
Mir bleibt der Mund offen stehen. Das bin ich – ohne Scheiß. Zumindest sieht mir das Mädchen auf dem Video zum Verwechseln ähnlich. Ihr Blick ist mir aber fremd. Es sieht so aus, als wäre sie in Gedanken versunken. Und dann dreht sie den Kopf, als hätte etwas ihre Aufmerksamkeit erregt. Kurz blitzt so etwas wie Sehnsucht in ihren Augen auf.
Im nächsten Moment verschwimmt das Bild und wird durch eine Animation von Raumschiffen ersetzt, die aufeinander feuern, was in einer gewaltigen Explosion endet. Okay, was hat das zu bedeuten?
Der Typ, der immer noch hinter mir steht, stupst mich an und bedeutet mir, weiterzugehen.
Erst jetzt kapiere ich, dass das der ultimative Moment für eine Flucht wäre. Ich denk lieber nicht länger drüber nach, sonst kneife ich noch, deshalb schnappe ich mir eine der Kugeln, die mir immer noch vor der Nase rumschwirrt, und werfe sie einem dicken Alien mit Rüssel an die Birne.
Als er sich umdreht, zeige ich mit meinem Unschuldslamm-Blick auf meinen Hintermann, alias vormals hüllenlos – zumindest am Oberkörper – der total verblüfft aussieht, dass ich das gewagt habe.
Der Rüssel-Alien versteht wohl keinen Spaß, denn er kommt brüllend auf uns zu. Die Gefährten meines Entführers kommen ihm sogleich zu Hilfe und stoppen den fuchsteufelswilden Typen, bevor er ihn verkloppen kann.
Das ist meine Chance. Als sie am Diskutieren sind, stehle ich mich davon und sprinte los. Jemand brüllt etwas und schon kommen mehrere gleich gekleidete Soldaten auf mich zugelaufen. Die Bullen, verdammt.
Wie eine Bekloppte bahne ich mir einen Weg durch die Menge und remple jeden auch noch so schleimigen Alien an, der mir im Weg steht.
In meiner Verzweiflung klettere ich an einer wabenartigen Wand hoch, an der mir der Weg abgeschnitten wird.
Plötzlich spüre ich eine Art Tentakel, der sich um meinen Bauch windet. Bevor ich schreien kann, zieht mich das Teil ruckartig von der Wand, wirbelt mich durch die Luft, nur um mich unten wieder direkt vor sich auf die Füße zu stellen.
Der Alien, der erschreckenderweise totale Ähnlichkeit mit einer Riesenqualle hat, brüllt mich an, sodass meine Haare zurückfliegen. Das Teil hat sogar Mundgeruch.
Dass es das rosa Ding, also mich, gleich fressen könnte, nimmt mich gerade dermaßen mit, dass ein Pfeifen in meinen Ohren ertönt.
Im nächsten Moment werde ich so abrupt losgelassen, dass ich es erst Sekunden später realisiere.
Der nächste Alien – ein Mann mit quadratischem Kopf – kommt auf mich zu.
Das schnelle Pochen meines Herzens ist alles, woran ich mich grad klammere, bevor das Pfeifen in meinen Ohren lauter wird und mir schon die Beine wegknicken.
Ich spüre, wie mein Körper auf den Boden auftrifft, aber meine Glieder sind so taub, sodass es sich anfühlt, als würde ich in Watte fallen.
Der inbrünstig, qualvolle Laut einer Frau reißt mich so schlagartig aus meiner Ohnmacht, dass ich zusammenzucke.
Im nächsten Augenblick werde ich in die Arme eines Mannes übergeben, der mich so fest an sich drückt, dass mir die Luft wegbleibt. Daraufhin lässt er sich mit mir so fest auf seine Knie fallen, dass es meinen gesamten Körper erschüttert.
„Ich habe jeden Tag für diesen Moment gebetet“, haucht er mir ins Ohr.
Plötzlich brüllt er so laut, dass ich schreie und mich strampelnd aus seinem Griff befreie, um wankend Abstand zu gewinnen.
Eine Frau in den feinsten Kleidern, die ich je gesehen habe, läuft auf den Mann zu und kniet neben ihm nieder. Dabei weint sie sich die Seele aus dem Leib.
Die sehen aus, wie Menschen, aber ihre Haut ist so blass, dass sie fast durchsichtig wirken. Der Mann hat einen schwarzen Vollbart und gütige, graue Augen, während die Frau wunderschöne, in hunderte, feiner Zöpfe geflochtene Haare und ein makelloses Gesicht hat, als wäre sie ein Porzellanengel.
Neben ihnen steht der Quadratschädel, der mich am Raumschiffhafen aufgegabelt hat. Er ist groß, ziemlich kräftig und hat eine Angriffslust in den Augen, die seinesgleichen sucht.
„Wer sind Sie und was wollen Sie von mir?“, sind mal die drängendsten Fragen, die mir auf der Seele liegen.
Sie senden sich irritierte Blicke zu. Der Mann mit den gütigen Augen erhebt sich und zieht die Frau mit sich, bevor er mir mit einer Gegenfrage antwortet: „Erkennst du uns denn nicht, Kaja?“ Kaja? Okay, klassischer Fall von Verwechslung.
„Mein Name ist Texas“, erwidere ich, während ich mich fester an die Wand hinter mir drücke.
Die Frau bricht erneut in bittere Tränen aus und wirft sich ihrem Mann – zumindest denke ich, dass sie verheiratet sind – an den Hals. „Sie erkennt uns nicht. Wieso erkennt sie uns denn nicht?“, schluchzt sie.
„Dein Name ist Kaja“, erklärt der Quadratschädel. „Du wurdest als Fünfzehnjährige von uns unbekannten Tätern entführt. Dies sind deine Eltern.“ Er zeigt auf die sich erhebenden, bleichen Gestalten, die mich konzentriert mustern.
Ich schüttle energisch den Kopf. „Nein. Ich bin Texas von der Erde und wurde gerade von dort hierher entführt“, musste einfach mal gesagt werden.
„Die Queroxianer haben dich dort gefunden und nach Hause gebracht“, korrigiert mich der Quadratschädel. Tja, die Story hat vorhin schon keinen Sinn ergeben.
„Mein Zuhause ist die Erde“, stelle ich fest.
„Die Erde. Heißt so der Planet, wo du die ganze Zeit über warst?“, will die Frau, die mir als meine Mutter vorgestellt wurde, wissen.
„Ja“, antworte ich. „Aber ich bin dort geboren. Sie verwechseln mich mit jemandem.“
Ja gut, ich hab keine Erinnerungen an meine leiblichen Eltern und an das, was vor meinem Leben auf Johns Farm passiert ist, aber ich bin doch kein Alien. Ich meine, Hallooooo?
„Ich bin ein Mensch“, stelle ich klar.
Außerdem ist das sicher nur ein Wahnsinns-Zufall, dass das Mädchen auf dem Bildschirm so aussieht, wie ich. Hoffentlich. Eigenartig ist das schon.
„Du bist die Byzantinische Kronprinzessin. Eine von Zwillingstöchtern, die entzweit wurden. Daran besteht kein Zweifel“, knallt mir der Quadratschädel vor den Latz.
Ich lache belustigt auf. „Okay, selten so gelacht. Spaß beiseite, wo ist hier der Ausgang?“
„Hol den Arzt, schnell“, befiehlt ihm der mit dem Vollbart. Das Wort „Experimente“ schießt mir sofort durch den Kopf.
„Hiergeblieben, Quadratschädel“, fauche ich den Typen an, der gerade den Raum verlassen wollte. „Ich brauch keinen Arzt, ich brauch ein Raumschiff mit Nonstop-Ticket zurück auf die Erde – meinem Zuhause. Tut mir leid, was mit ihrer Tochter passiert ist, aber sie haben hier absolut die Falsche erwischt.“
„Dies ist dein Zuhause. Du bist zu uns zurückgekehrt, Tochter“, erklärt der Mann, der sich für meinen Vater hält, und stellt sich mir mit ausgestreckten Händen entgegen.
Ich will gerade anfangen, zu protestieren, da geht eine Schiebetür auf und im Türrahmen stehe – ich. Also jemand, der genauso aussieht wie ich, was mich grad etwas überfordert, um es gelinde auszudrücken.
Naja, genaugenommen kann ich mich nicht erinnern, jemals so böse gekuckt zu haben. Ich hab auch keine langen Haare – meine sind ziemlich kurz – und sowieso ist die Frau viel hübscher wie ich, aber die könnte definitiv als meine Doppelgängerin durchgehen.
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