„ Ich wusste es “, prustet er stolz in die Kamera, wie nur Entdecker es draufhaben, und lächelt. Tränen schießen mir in die Augen. „John“, hauche ich und streiche über sein Gesicht.
Daraufhin schwenkt er die Kamera wieder in die Richtung der Aliens.
Man kann jemanden erkennen, der aussteigt und eine bewusstlose Frau im Arm hält, die am Kopf blutet. Hey, das bin ich, glaub ich. Das Video ist so verwackelt. Man kann kaum was erkennen.
Grandpa John hat echt meine Entführung mitsamt Aussetzung auf der Erde gefilmt. Also wusste er von Anfang an, was ich bin.
Der Wind weht dem Typen, der mich im Arm hält, den Kapuzenumhang untenrum weg und ich erkenne Roboterbeine. Meine Hand schießt automatisch zu Jakobs, die ich fest drücke.
Er umschließt die meine nur ganz leicht, ohne Druck auszuüben. Nun legt mich der Roboter im Film inmitten des Feldes ab, genau vor die riesige Erntemaschine.
Hätte mein Grandpa nicht auf Alienlauer gelegen, hätte er das Teil womöglich am nächsten Morgen gestartet und mich damit überrollt. Das macht mich grad dermaßen fertig, dass ich mir die Hand vor den Mund schlage.
Aber was ich jetzt sehe, als sich der Typ umdreht und zurück zum Schiff geht, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.
Da steht eine Frau und sieht dem Roboter dabei zu – hat es ihm scheinbar befohlen, mich dorthin zu legen.
Es ist meine Schwester Eleonike, was ich nie geglaubt hätte, hätte ich es nicht grad mit eigenen Augen gesehen. Sie hat mich entführt und ausgesetzt – hat sogar dabei zugesehen. Hat einen Ceflapoiden dafür benutzt, mich aus dem Weg zu räumen. Ohne Worte, echt.
Als das Raumschiff startet und in die Atmosphäre aufsteigt, ruckeln Johns Bilder und brechen abrupt ab.
Mein Atem geht stoßweise und Tränen schießen in meine Augen. „Neeeiinnnn“, hauche ich gequält.
„Kaja, beruhige dich. Dein Herz“, rät mir Jakob.
Ich knalle den Monitor auf den Tisch und laufe im Zimmer umher, um runterzukommen. Dabei stoße ich Keuchlaute aus, weil ich nur schwer Luft bekomme.
Jakobs Körper stoppt mich. „Ist schon gut, Kaja. Hab keine Angst. Du hast die Türe abgeschlossen.“
Aus einem Impuls heraus presse ich mich an ihn und heule mir die Seele aus dem Leib. Wie konnte sie das nur tun? Meine Zwillingsschwester wollte mich töten.
Das erklärt auch ihre unermessliche „Wiedersehensfreude“. Dass ich noch am Leben bin, hat ihr wohl einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Jakob drückt mich an sich, als meine Beine nachgeben.
Plötzlich erfüllt mich blanke Wut, die ich in die Welt hinausbrülle.
„Beruhige dich, Kaja“, flüstert mir Jakob ins Ohr.
„Ich muss zu meinem Vater. Bitte bring mich zu ihm“, verlange ich.
Im Raumschiff kauere ich mich zitternd in eine Ecke und drücke den Monitor an mich, als würde mein Leben davon abhängen. Tausend Gedanken schießen mir gleichzeitig durch den Kopf, dennoch vermag ich keinen einzigen davon zu erfassen, wippe nur stoisch vor und zurück.
„Dein Herz schlägt viel zu schnell, Kaja“, stellt Jakob fest.
Ich ignoriere ihn und sprinte aus dem Raumschiff, als wir in der Nähe des Parlaments landen. Ohne Rücksicht auf Verluste knalle ich in jeden, der nicht rechtzeitig ausweicht. Es ist mir sowas von scheißegal. Ich drücke mich an ein paar Aliens vorbei ins Innere des Parlamentsgebäudes. Der Portier grüßt mich freundlich von Weitem, doch ich bin zu aufgebracht, um etwas zu erwidern.
Beim Aufzug angekommen, nehme ich den heraustretenden Typen gleich wieder mit ins Innere, da ich ihm frontal reingeknallt bin.
„Kaja?“ Es ist Maxim. Verdammt, auch der noch.
„Aus dem Weg“, verlange ich schnappatmend, als er mich festhält, weil ich fast zu Boden gegangen wär.
„Was ist denn los? Hast du geweint?“, will er wissen, doch da drücke ich mich schon an ihm vorbei. Blöderweise steigt er nicht aus, aber dafür habe ich jetzt keine Zeit.
Ich speie das Kommando, das mich in den obersten Stock gelangen lässt, förmlich aus mir heraus. Erneut reißt mich der Schub von den Füßen, aber diesmal war es Maxim, der mich vorher abgefangen hat.
Mein Atem ist nur noch ein asthmatisches Keuchen.
„Kaja, beruhige dich. Was ist denn geschehen?“, beschwört er mich, aber ich starre weiterhin geradeaus und stolpere im obersten Stockwerk aus dem Teil.
„VATER!“, brülle ich und peile den Sitzungssaal an, in den ich so richtig schön reinplatze.
Alle erheben sich synchron.
„Kaja, was ist denn passiert? Wieso bist du nicht Zuhause und erholst dich von dem Anschlag?“, ruft mein Vater aufgebracht. Mein Anblick scheint ihn zu beunruhigen. Dazu hat er auch allen Grund, wenn ich ihm gleich das Video zeige.
„Können wir mal reden – unter vier Augen“, hauche ich gequält, da knicken mir die Knie weg.
Maxim fängt mich ab, aber ich entreiße mich ihm gleich wieder, humple zu meinem Vater und gebe ihm den Monitor.
„Was soll ich damit?“, knallt er mir hin. „Kaja. Das hier ist eine wichtige Sitzung. Du unterbrichst uns.“
„Das ist also wichtiger als deine Tochter, die dich grad braucht“, knalle ich ihm hin. Er ist sichtlich in der Zwickmühle, ob er mir die Hölle heißmachen oder mich vor die Tür setzen soll.
„Das kann sicher warten“, versucht er mich eindringlich loszuwerden. Was ist das bloß für ein Vater? John hätte mich nie abgewiesen, wär ich so aufgebracht zu ihm gekommen. Diese ganze Familie ist doch ein einziger Witz.
„NEIN, KANN ES NICHT“, brülle ich. „Da ist meine Entführung drauf“, lässt ihn beinahe vom Glauben abfallen. „Die Aufzeichnung stammt von dem Mann, der mich gefunden hat. John. Ich hatte sie die ganze Zeit über an meiner Kette hängen. Er hat alles mitangesehen und gefilmt. Das ist das Abartigste, was ich jemals gesehen habe.“
Mein Vater reißt mir förmlich den Monitor aus den Händen. Als er die Aufzeichnung starten will, wende ich ihm den Rücken zu und verlasse den Raum, um bloß nichts davon nochmal mitansehen zu müssen.
Maxim, den ich ignoriere, stürmt mir nach. Ich suche das Weite, rutsche an der Flurwand entlang, vergrabe meinen Kopf in meinen angezogenen Knien und heule.
Wie konnte sie mir das nur antun? Was zum Teufel hab ich ihr getan?
Maxim lässt sich neben mir nieder und zieht mich fest an sich. Die Umarmung hat etwas Tröstliches, deshalb gebe ich mich ihr wehrlos hin und weine bittere Tränen in sein Hemd.
„Wer war es?“, haucht er.
Das Brüllen meines Vaters lässt mich zusammenzucken und mich fester in Maxims Hemd krallen. Es fühlt sich so an, als gelte die Wut meines Dads mir.
Sie hat keine Regung gezeigt, als sie meine Schwester abgeholt haben. Zumindest sieht es auf den Bildschirmen so aus, die ihre Festnahme immer und immer wieder zeigen. Es ist einfach überall zu sehen. Ihre Gefühlskälte lässt mir die Gänsehaut aufsteigen.
Das Schlimmste ist, irgendwie habe ich das Gefühl, ich sei an allem schuld, denn meine Eltern sind seit dem Vorfall noch verschlossener mir gegenüber als sonst.
Meine Mum ist ständig nur am Heulen und mein Dad ist fertig, weil er sie nicht beruhigt kriegt. Dann senden sie mir wieder Blicke zu, die so absolut vorwurfsvoll sind, dass es mich schaudert. In ihren Blicken liegt so ein Ausdruck, als hätte man die falsche Tochter eingesperrt. Eleonikes Freund hat denselben Blick drauf, wenn er mir vor der Schule begegnet.
Ich halt das nicht mehr aus, deshalb hab ich auch einen Brief hinterlassen, dass ich fortgehe. Mit dieser Schuld, die ich – zumindest aus meiner Sicht – nicht verdient habe, kann ich nicht leben.
Meinem ursprünglichen Plan folgend, hab ich Jakob darum gebeten, mich mit Maxims Raumschiff zur Erde zu bringen. Bis zuletzt wollte er es mir ausreden, aber mein Entschluss stand fest.
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