Warte mal. Was tu ich hier eigentlich? Das ist voll der Wahnsinn. Er könnte meine Hand wie Knetmasse zerquetschen, wenn er wollte. Einfach so. Und eigentlich hätte ich ja dieses Stirnding mit ihm machen sollen. Händeschütteln macht man bei den Byzantinern nicht als Begrüßungsgeste.
Aber da war Johns Händedruck sogar fester als der seine, daher war meine Angst unbegründet. Ich weiß gar nicht, wie froh ich darüber bin.
Dieses unangenehme Schweigen breitet sich zwischen uns aus.
„Wollen wir tanzen?“, verlässt meine Kehle, bevor mir bewusst wird, was zum Teufel ich hier eigentlich tue. Naja, er wird mich ja nicht vor allen Leuten zerquetschen, oder ?
Dem Blick meines Vaters zufolge wohl eher doch, denn er zischt ein „ Kaja “, doch da ergreife ich schon die mir dargebotene Roboterhand.
„Nein, das erlaube ich nicht“, geht mein Vater dazwischen.
„Ist schon gut“, beschwichtige ich.
Ich weiß auch nicht, warum ich das tue. Meine Beine zittern sogar, weil ich mich vor ihm fürchte, aber die Neugierde siegt. Mich würde zu gerne interessieren, was er von dieser Sklavengeschichte hält, naja, er ist sicher angepisst. Aber was soll ich denn sagen? Tut mir leid, dass wir Sklaventreiber sind?
Die Musik erklingt eher zögerlich, nachdem die Leute beinahe panisch zurückgewichen sind und wir so reichlich Platz zum Tanzen haben.
Der König geht in Tanzposition, zieht mich an sicher heran und beginnt, sich zu bewegen. Es war vorher schon klar, wer hier führen wird.
„Ihr zittert am ganzen Körper“, stellt er fest. Verdammt, er spürt es. Naja Kunststück, ich könnte als Presslufthammer durchgehen.
„Ich habe Angst“, gebe ich zu.
„Warum habt Ihr darum gebeten, mit mir zu tanzen, wenn es Euch ängstigt?“
Man muss sich seinen Ängsten stellen, wiederhole ich Johns Worte in Gedanken.
„Ich habe zugesagt, mit allen zu tanzen, die hier sind und ich stehe zu meinem Wort“, antworte ich. „Aber das ist nicht der einzige Grund“, gebe ich zu und lächle scheu.
„Welche Gründe hattet Ihr noch?“, hinterfragt er meine Worte.
„Ich glaube, wir haben eine Gemeinsamkeit“, antworte ich, „Wir befinden uns inmitten einer Menge, aber sind dennoch total einsam. Jeder auf seine eigene Art und Weise.“
Der König stoppt synchron zur Musik. Dennoch löst er sich nicht von meinem Blick.
Es wäre einfach für ihn, mir den Gar auszumachen. Er könnte es tun und es wäre vermutlich vorbei, bevor ich es überhaupt mitbekomme. Womöglich steckt er sogar hinter meiner Entführung und hat den Roboter auf die Erde entsandt, aber ich würde mir eher den Arm abbeißen, als bei dem Gedanken schreiend zurückzuweichen.
Stattdessen lächle ich: „Danke für den Tanz.“
„Seht Euch vor, Prinzessin“, flüstert er und lässt mich los. War das eine Drohung? Obwohl es total irrational ist, lächle ich.
Es ist eher so eine Art gequältes Grinsen einer Alice im Wunderland, die alle Erinnerungen eingebüßt und grad in den Kaninchenbau gefallen ist.
Er nickt und verlässt die Party wieder auf demselben Weg, auf dem er reingekommen ist. Erst als er außer Sichtweite ist, entspannen sich die Leute fühlbar.
So viel zum hohen Gruselfaktor. Er könnte eine Menge Kohle machen, wenn er für Halloween-Partys buchbar wäre.
Am Frühstückstisch herrscht – passend zum Abschluss des Abends – Gruselstimmung. Okay, was hab ich jetzt schon wieder falsch gemacht?
„Es ist, weil ich mit dem Roboterkönig getanzt habe, oder? Ihr seid sauer“, mutmaße ich.
Mein Vater sieht zu mir auf und meint: „Nein. Du konntest nicht wissen, dass er unser Feind ist, obwohl du es ja an der Reaktion der Anwesenden hättest ablesen können. Und an meiner.“
„Du bist also sauer“, stelle ich fest.
„Also gut, ich bin etwas … erbost“, beginnt mein Vater, aber ich unterbreche ihn. „Du sagtest, du bist nicht sauer.“ Er sieht aus, als würde er mich gleich durch Sonne Mond und Sterne schießen, da knurrt er: „Du hast ihn angelächelt.“
„Wen denn?“, frage ich.
„Den Ceflapoiden-Herrscher.“
„Oh, wie konnte ich nur“, spotte ich theatralisch. „Was ist denn daran bitte verkehrt?“
Mein Vater schnaubt abfällig.
„Liebling“, versucht es meine Mum. „Wir zeigen unsere Emotionen nicht so freizügig. Die Kontrolle unseres Geistes ist eine hohe Kunst, die die Byzantiner ausmacht.“
Mein Vater schaltet sich erneut ein: „Kannst du mir verraten, warum du unserem Feind ein Lächeln schenkst und unsere Verbündeten von dir stößt. Ich war außer mir, als ich sah, wie du Maxim angegriffen hast.“ Er wird’s überleben. Hey, steh ich etwa unter Beobachtung?
Ich zucke mit den Schultern. „Ich entscheide selbst, wer Freund oder Feind ist.“
„ Das tust du nicht. Ich sage dir, was du zu denken hast “, herrscht mich mein Vater an. Wow.
„Ich darf also keine Emotionen zeigen, nur in Begleitung nach draußen, soll nichts anfassen, brav gehorchen, mir ist es nicht erlaubt, etwas dazuzulernen und selbstständig denken darf ich auch nicht. Erklärt mir mal was, denn das würde mich brennend interessieren: Was genau ist jetzt der Unterschied zwischen mir und einem Ceflapoiden-Sklaven?“ Auf die Frage waren sie wohl nicht gefasst.
Meine Mutter tauscht Blicke mit meinem Vater aus, die ich nicht deuten kann und antwortet: „Weißt du was, ich nehme dich heute mit in die Schule.“
„Echt?“, frage ich wie ein Honigkuchenpferd strahlend. Sie teilen meine Freude nicht so ganz – sehen eher gequält aus.
Dass ich mich zu früh gefreut habe, merke ich spätestens, als ich das Klassenzimmer betrete, in dem lauter Siebenjährige sitzen. Erste Klasse – wow – auf zum Mond.
Ich komm mir vor wie eine Zurückgebliebene, die auf das geistige Niveau eines Schulanfängers eingestuft worden ist.
Dementsprechend verblüfft sehen die Kleinen auch aus.
„Setz dich, Kaja“, bietet meine Mum an und zeigt auf einen der freien Plätze mit den Ministühlen, auf denen wohl kaum mein Hintern passen wird. Das ist jetzt nicht ihr Ernst.
Die Beine muss ich wahrscheinlich ganz durchstrecken, sonst haben die unter dem Tisch gar nicht Platz.
Ich will sie nicht vor ihrer Klasse bloßstellen, also tue ich, wonach sie verlangt.
Der Sessel knarrt unter mir, was einige Kinder lachen lässt. Okay, ich bin wohl ganz unten angekommen.
Ich weiß ja, dass ich mit dem Stoff zurückliege, aber ich dachte ehrlich gesagt an High-School oder College – nicht an Kindergarten. Meine Mum hat mich sogar in die Schuluniform – ein schlichtes, graues Kleid – gesteckt. Die gabs aber glücklicherweise in meiner Größe.
Sie beginnt, die Schriftzeichen zu erklären, die echt Ähnlichkeit mit Chinesisch haben und auch genauso schwer sind.
Das kleine Mädchen neben mir kichert, als sie die krakeligen Zeichen, mit denen ich meinen Namen geschrieben habe, sieht. Mann, kümmer dich um deinen Scheiß.
In der Mittagspause schleiche ich mich davon und mache mich auf den Weg zum Parlament, das nur durch einen riesigen Steingarten von der Schule getrennt liegt, um meinen Dad bei der Arbeit zu besuchen.
Ich weiß, dass ihn das ärgern wird, aber ich machs trotzdem. Irgendwie haben wir doch ein recht eigenartiges Vater-Tochter-Verhältnis. Vielleicht sollten wir uns einfach besser kennenlernen – Zeit miteinander verbringen.
Ich frage mich, ob mir noch Gefahr droht, wieder entführt zu werden, aber mein Vater sagte mir, ich sei in der Hauptstadt sicher, da hier überall Überwachungskameras wären. Er hat die Metallkugeln aber Cybots genannt.
Viele Passanten bleiben stehen und glotzen mich an. Ein paar trauen sich sogar an mich heran, drücken meine Hand, wünschen mir alles Gute und andere nette Sachen – dass alles wieder gut wird zum Beispiel.
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