1 ...8 9 10 12 13 14 ...21 „Mach ich. Machs gut, Jakob“, verabschiede ich mich.
„Auf Wiedersehen, Kaja“, sagt er. Krass. Mein erstes Gespräch mit einer nicht-humanoiden Lebensform. Echt bahnbrechend.
Irgendwie hat mir diese Begegnung Kraft gegeben. Das wär doch gelacht.
Naja, dann auf Menschenart. Ich rufe nach meinem Vater und meiner Mutter, in der Hoffnung, jemand von ihnen zeigt mir mein Zimmer. Auf diese Art und Weise husche ich durch die kargen Gänge, denen ein freundlicherer Anstrich guttun würde.
Hier wirkt alles grau und nüchtern. Ja beinahe so fahl, wie ihre Haut.
An einer Biegung vernehme ich die Stimme meines Vaters. Ich will schon nach ihm rufen, da höre ich, dass er in ein Gespräch vertieft ist.
„Ihr verzeiht das Verhalten meiner Tochter. Sie ist schwer traumatisiert und der Verlust ihres Gedächtnisses ist wohl schwerwiegender als anfangs angenommen und betrifft auch tiefergehende Verhaltensweisen.“
Hey, jetzt fang du nicht auch noch an, mich für verrückt zu erklären. Ich spähe um die Ecke und erkenne Maxim, der neben meinem und seinem Vater steht. Mein Vater spricht aber mit einem mir unbekannten Byzantiner in festlicher Robe.
„Das ist verständlich. Immerhin wurde sie verschleppt und gefangen gehalten“, antwortet dieser andere Mann. Hey, ich wurde nicht gefangen gehalten. „Wo hat man sie gefunden?“
„Kopfgeldjäger haben sie auf einem Klasse-G-Planeten aufgelesen, sie erkannt und ausgeliefert“, antwortet mein Vater. Ihr Blick spricht Bände. G ist wohl die übelste Sorte von Planeten. Warte mal. Kopfgeldjäger?
„Weiß man schon Näheres zu ihrem Verschwinden?“, hakt der Unbekannte nach.
„Wir haben ihr die Strapazen einer Befragung noch nicht zugemutet, immerhin scheint sie sich an nichts erinnern zu können, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Vorerst möchte ich, dass sie sich so wenig wie möglich aufregt.“ Die Bekloppte soll wohl mit Samthandschuhen angefasst werden.
„Es gibt Wege, das Gedächtnis zu reaktivieren“, wendet der Typ ein.
„Das hat noch Zeit. Vorerst möchte ich ihr diese schmerzhafte Prozedur ersparen.“ Vorerst? Schmerzhafte Prozedur? Das sind ja rosige Aussichten.
„Womöglich war es das Werk der Separatisten“, mutmaßt der Mann. Separatisten? Klingt irgendwie gar nicht gut. „Der Beweis ihrer Schuld wäre sehr hilfreich im Kampf gegen sie. Die Kronprinzessin hat sich äußerster Beliebtheit erfreut.“ Ich war beliebt? „Einige Völker wären sicher bereit, sich mit Euch zu einem Vergeltungsschlag zu verbünden“, bietet er an. Vergeltungsschlag? Wie viele abartige Worte kann man eigentlich in ein Gespräch packen?
„Wir würden uns Euch selbstverständlich anschließen“, wendet Maxims Dad ein. „Nun, da beide Eurer Töchter wieder vereint sind, ist doch laut Byzantinischem Gesetz ihre Vermählung möglich – und wenn Ihr verzeiht, wohl längst überfällig.“ Was? Heiraten? Geht’s noch? Ich bin sechzehn. Scheiße, bin ja schon achtzehn. Trotzdem noch viel zu jung, um unter die Haube zu kommen. Wo sind wir hier? Im Mittelalter?
„Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Sie ist erst vor Kurzem zurückgekehrt“, erklärt mein Vater. „Ich befürchte, die Anwärter werden bei Kaja rar gesät sein.“ Was soll das denn heißen? Dass ich unvermittelbar bin? „Außerdem ist sie bereits verlobt.“ Was, ich bin verlobt? Im Traum.
„Nun, falls bei dem Zukünftigen, dessen Identität Ihr uns bis jetzt vorenthalten habt, nach solch langer Zeit gewisse Vorbehalte bestehen, Maxim hat Interesse“, hat Maxims Dad jetzt nicht tatsächlich gesagt.
Maxim vollkommen überzeichnetes „ Was? “ nimmt mir die Worte aus dem Munde. Oh, er wusste wohl selbst nichts von seinem „Interesse“.
„Wie gesagt, meine Tochter ist bereits verlobt“, stellt mein Dad klar. „Ich gehe nicht davon aus, dass drei Eonen etwas daran geändert haben.“ Moment, also ich heirate doch nicht jemanden, den ich nicht kenne. Oder den ich vergessen habe. Meine Schwester sagte doch, ich hätte keine Freunde – also auch keinen Freund. Dann ist das hier eine arrangierte Ehe, oder was?
Mein Vater ist sichtlich angepisst, während Maxim seinen Dad mit Blicken tötet und verlangt: „Kann ich dich kurz sprechen?“
Sie lösen sich von der Gruppe und kommen gefährlich nahe an mich heran. Im letzten Moment zwänge ich mich in den Schatten eines Seitenganges.
„ Was soll das, Vater? “, zischt Maxim aufgebracht.
„Das ist die erneute Chance auf ein Bündnis mit den Byzantinern. Wir müssen sie ergreifen. Hast du dir das Mädchen angesehen? Für sie wird sich niemand mehr aus ihren Reihen oder aus den Reihen anderer interessieren. Du hast keine Nebenbuhler.“ Das ist ja ein teuflischer Plan.
Maxim ist sichtlich sprachlos und rauft sich die Haare. Scheiße, selbst das sieht an ihm gut aus. „ Nein “, erklärt er forsch. „Ich will sie nicht.“ Autsch.
„Warum denn nicht?“, hinterfragt sein Vater.
„Weil sie … hässlich ist und scheinbar total verrückt“, hat echt gesessen.
Sein Vater zieht die Augenbrauen hoch. „Du wirst tun, was ich dir sage und um sie buhlen, Sohn. Enttäusche mich nicht noch einmal“, hat er so autoritär ausgestoßen, dass Widerstand zwecklos ist. Das weiß Maxim auch, der die Zähne aufeinander malmt und lahm nickt.
Wunderbar. Der erste Tag im Weltraum und schon das Herz rausgerissen.
Schnell suche ich das Weite und knalle zwei Gänge weiter in meine Mutter, die mir gnädigerweise mein Zimmer zeigt.
Bei ihr öffnet sich die Tür, ohne dass sie was machen musste. Irgendwas kapier ich hier nicht.
„ Das ist mein Zimmer?“, frage ich skeptisch.
„Ja“, bestätigt sie.
Es ist total langweilig eingerichtet, ohne Spielsachen aus meiner Kindheit oder irgendetwas, das dieses Zimmer als meins kennzeichnet oder von all den anderen unterscheidet.
Ich hatte wohl keine persönlichen Gegenstände. Komisch. Also keine Freunde und auch keine Sachen. Was bin ich denn bloß für ein absoluter Langweiler?
Sie küsst mich auf die Stirn, bevor sie geht. Ich dachte, sie bleibt noch, damit wir darüber quatschen können, was ich alles verpasst habe, aber ich trau mich nicht, sie danach zu fragen.
Also lasse ich mich in die harte Nackenrolle fallen und weine stille Tränen. Um Grandpa John, vor Sehnsucht nach meinem Zuhause, um mein scheinbar hässliches Äußeres und um die Tatsache, dass ich hier als Klasse „G“ wie „gestört“ abgestempelt werde.
„Können wir heute mal was gemeinsam unternehmen?“, frage ich in die illustre Frühstücksrunde.
Sie sehen aus, als hätte ich sie gefragt, ob ich nackt durch den Regen flitzen darf.
„Wie meinst du das?“, hinterfragt meine Mutter. Was war denn daran unmissverständlich?
„Na, einen Ausflug als Familie. Spazieren gehen oder Eisessen, in den Zoo. Keine Ahnung, was man hier so macht. Ich muss mal hier raus, bevor ich durchdrehe“, gebe ich zu. Ich glaube, sie stellen sich gerade lebhaft vor, wie ich zombiemäßig sabbernd durchs Haus laufe, denn ihre Züge schweifen ins Abartige ab.
„Dein Vater muss ins Parlament, ich bin Lehrerin an der Schule in der Hauptstadt und deine Schwester muss zum Unterricht“, informiert mich meine Mutter.
Ich fasse es nicht, dass ich das jetzt frage: „Kann ich auch zum Unterricht?“ Immerhin hab ich einiges nachzuholen und alles ist besser, als bei dem Wetter drinzuhocken. Schlägt irgendwie aufs Gemüt.
Betretenes Schweigen ist ausgebrochen, das mein Vater mit den Worten: „Du bist in aller Munde. Da wir eonenlang dein Bild ausgestrahlt haben, macht dich das zum bekanntesten Gesicht der Galaxie. Wir hatten vor, dich zu Hause unterrichten zu lassen. Zumindest bis sich das Interesse um deine Person gelegt hat“ unterbricht. Ja klar.
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