„Hmmpf.....“, brachte ich wenigstens als Zeichen meiner Zustimmung zustande. Wirklich dialogfähig war ich erst einige Minuten später, als der Schmerz nachließ. Wie immer hastete Frank unverzüglich zum Kühlschrank und versorgte uns sofort mit Bier. Stanley winkte etwas gereizt ab, für seinen Geschmack waren eindeutig zu viele Spinner anwesend.
„Ich trinke nicht gerne Bier, Frank, das weißt du doch. Außerdem solltest du dir ein für allemal merken, dass es hier niemanden gibt der Johannes genannt wird. Arthur heißt dein Freund nun, Aaaarthur.“ Stan sagte das in einem sehr langsamen Ton, als würde er mit einem Bekloppten reden, und wahrscheinlich dachte er auch dass er das gerade tat.
„Reg dich ab Genie, und lass dich nicht von uns stören.“ Und schon hatte er Stanley wieder vergessen.
„Erzähle was es so Neues gibt, wie ist es dir inzwischen ergangen?“
„Nun, hier läuft alles wie gewohnt, außer dass ich jetzt auch ein richtiger Künstler werde.“ Dass ich mich nun offiziell zur künstlerisch tätigen Zunft zählte musste Frank ja mitgeteilt werden. Woraufhin, Frank anerkennend nickte und Stanley entsetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlug.
„Reden wir lieber über dich. Wo warst du noch mal auf Tournee, und wie lange bleibst du in der Stadt?“
„Wir waren drei Monate als Vorgruppe der Sphinx unterwegs, durch ganz Europa. Jetzt bleiben wir erst mal eine Zeit lang hier, dann geht es weiter über den Teich. Das Leben als Rockmusiker ist einfach klasse.“
„Wer sind denn die Sphinx?“ fragte ich leise, eher zu mir selbst, doch laut genug dass Frank es hören konnte.
„Was die kennst du nicht? Ja wo lebst du denn? Die sind zurzeit die angesagteste Band in Europa!!“ Frank fuhr fassungslos und empört auf. Wild gestikulierend zappelte er mit allen seinen eindeutig zu lang geratenen Gliedmaßen. Eine ähnliche Reaktion hatte ich leider erwartet. Na, wenigsten blieb festzustellen, dass Frank nichts von seiner Impulsivität und nichts von seiner aufbrausenden Art eingebüßt hatte. Und noch etwas hatte sich glücklicherweise nicht geändert. Da er schon mal stand, nutzte er auch prompt die Situation um weiteres Bier aus dem Kühlschrank zu holen, worauf er sich, ebenfalls erfahrungsgemäß, augenblicklich wieder beruhigte und das Thema wechselte.
„In Saarlouis war ich übrigens auch noch eine Weile gewesen. Aber da ist es ziemlich öde geworden seit unsere alte Clique nicht mehr existiert. Wir müssen uns nur knapp verpasst haben, ich hab gehört dass du auch dort gewesen bist.“
„Wie kommst du denn darauf, ich war eine Ewigkeit nicht mehr in Saarlouis. Wer hat denn so was gesagt?“
„Seltsam, ich hab ein paar Leute getroffen, und die haben mir davon berichtet. Du würdest wieder in Saarlouis leben, hieß es. Und im Rockcafe sollst du auch gesehen worden sein.“ Frank legte die Stirn in Falten und bemühte sich um einen ernsten, nachdenklichen Gesichtsausdruck. Einen Anblick den man nicht sehr oft zu sehen bekommt.
„So ein Quatsch, und überhaupt, was sollte ich denn noch in Saarlouis?“
„Keine Ahnung, einige haben sogar behauptet du würdest mit einer Violine umherlaufen. Die dachten wohl das sei eine deiner neusten Marotten, um die Leute zu ärgern. Geglaubt habe ich den ganzen Quatsch auch nicht, aber ich hielt es durchaus für wahrscheinlich, dass du eine Weile dort gewesen sein könntest. Meine Freundin Bea hat mir am Telefon davon erzählt, wie sie dich hier in Berlin gesehen hatte, und so kam ich zum Schluss du seiest nach einer kurzen Visite wieder zurückgeflogen. Ich hab mich nicht weiter bemüht nach dir zu fragen, oder dich in deiner alten Wohnung zu suchen.“ Frank schüttelte kurz den Kopf, als würde er sich diese Erinnerung einfach aus dem Schädel schleudern und maß der ganzen Sache keine weitere Bedeutung bei. Wohl aber seiner Flasche Bier, deren Inhalt er in einem einzigen Zug nieder machte.
Dies war bereits das nächste Indiz für die seltsamen Dinge, die sich im fernen Saarlouis zutrugen. Aber ich freute mich zu sehr darüber den guten alten Frank wieder zu sehen. Und die Tatsache, dass ich bereits ebenfalls einige Biere intus hatte, tat den Rest. Wir redeten noch eine Weile weiter und tauschen Neuigkeiten aus. Dann verabredeten wir uns noch für das kommende Wochenende zum Bier trinken, und leicht benebelt und leicht schwankend verließ Frank bei weitem nicht mehr so agil und geschwind das Atelier, wie er es betreten hatte. Auf dem Weg nach draußen machte er am Tor halt und drehte sich für einige Worte des Abschieds an Stanley um.
„Hey Stan, du solltest dir endlich eine Freundin suchen, so langsam wirst du echt komisch.“
„Was meinst du denn damit.“ Stanley wirkte irritiert und unsicher. Seine weit aufgerissenen Augen erschienen durch die dicken Brillengläser noch viel größer, Stan mutierte zu einem facettenartigen Insekt.
„Guck doch, da, scheinbar hast du den ganzen Tag nix anderes fertig gebracht als massenweise Schwänze zu modellieren. Mach dir mal Gedanken darüber.“
„Aber, aber, ...he..,“ Stan wechselte die Gesichtsfarbe und sah sich außer Standes eine brauchbare Erklärung abzugeben. Und ich tat einen Teufel das für ihn zu tun.
„Genau Stan, mach dir mal ein paar Gedanken!“ sagte ich grinsend. „Pfui, Stan, pfui, schäm dich! Wie unartig du doch bist“, fügte ich noch als Gipfel der Frechheit und zur Abrundung hinzu. Ich zog Stan eine schnippische Grimasse und drückte Frank zum Tor hinaus. Draußen konnte ich Frank ordnungsgemäß verabschieden, und ich lieferte Stan keine Möglichkeit, die gänzlich verloren gegangene Fassung wieder zurückzugewinnen, die er für eine Richtigstellung der Tatsachen hätte missbrauchen können.
In dieser Nacht schlief ich ausgesprochen schlecht. Aus der Ferne hörte ich ein bedrohliches Pochen und Poltern, als würde ein Wahnsinniger mit einem mächtigen Hammer pausenlos auf ein großes, massives Holztor einschlagen, um sich gewaltsam Eintritt zu verschaffen. Leuchtende Fackeln säumten verwunschene Pfade auf dem Weg in die Dunkelheit in Richtung woher das gruselige Lärmen zu hören war. Und dann sah ich im Traum noch mysteriöse Gestalten in schwarzen Kutten, die diese Pfade wie auf einer Prozession in Reih und Glied folgten. Ich wachte erschrocken und schweißgebadet auf, als sich einer von ihnen zu mir umdrehte und ich sein Gesicht sehen konnte. Es war zu meinem Entsetzen mein eigenes Gesicht das ich sah, nur irgendwie seltsam gezeichnet, entstellt und verzerrt mit funkelnden roten Augen. Es grinste mich dämlich an und winkte mir zu, ich sollte ihm folgen. Nix dergleichen tat ich und war heil froh wieder wach zu sein. In meiner Wohnung war alles still und friedlich. Stanley war bereits seit Stunden gegangen und James vor Tagen bereits wieder nach England zurückgekehrt. Von dort aus organisierte er die Reise nach San Diego. Ich schaute aus dem Fenster hinaus in die dunkle Nacht, doch konnte ich keine unheilbringenden Boten darin ausmachen. Keine satanischen Fratzen nahmen Kontur an. Vereinzelte Sterne funkelten unschuldig und ein gelangweilt wirkender Halbmond drehte routiniert seine Bahn, als wollte er mir sagen, dass er mit alledem nichts zu tun hatte. Unüblicherweise ging ich runter in das Atelier. So etwas tat ich sonst nie, auch wenn ich gar nicht oder nur schlecht schlafen konnte. Ich machte das Licht an und dimmte es unverzüglich runter, nachdem ich beinahe von einem gigantischen Scheinwerfer rückwärts hinausgeflutet worden wäre.
„Der verdammte Megaspot, den hab ich doch glatt vergessen“, murmelte ich noch halb benommen und torkelte etwas ziellos und verloren in dem Atelier umher, ehe ich mir ein Bier holte und die Ruhe und Einsamkeit auf der Ledercouch genoss. Ich betrachtete mir die Halle und versuchte abzuschätzen wie hoch sie eigentlich war. Fünf, sechs vielleicht sogar sieben Meter könnten es bestimmt sein, dachte ich, aber genaues schätzen war nie so meine Stärke. Die Wände ringsum waren in unterschiedlichen Farben gestrichen und in ziemlich miesem Zustand. James und Stanley konnten nicht verstehen warum ich mich so vehement gegen einen neuen Anstrich zur Wehr gesetzt hatte. Das mit dem gewissen Charme hatten sie mir nicht wirklich abgekauft. Eine genauere Erklärung konnte ich aber wirklich nicht liefern, ich denke aber ich mochte die leicht abgefuckte Atmosphäre, da sie mich ein wenig an mein früheres Leben erinnerte. Als Öffnungen bot der Raum eigentlich nur das schwere und massive Eingangstor mit der integrierten Haustür, und da waren ja noch die Fensterreihen mit denen sich der Raum zur Decke hin abgrenzte. So fiel tagsüber zu Stanleys Leidwesen, ein seiner Meinung nach unbrauchbares, diffuses Licht in die Halle ein. Und nachts leuchtete ein bizarrer, unwirklich anmutender, diamantener Glanz der Sterne und des Mondes. Ich versuchte den Traum zu vergessen und schrieb diese paranoiden Visionen den Auswirkungen auf zu viel Alkohol zu. Jedenfalls wollte ich das so interpretieren. Ich denke, mein Unterbewusstsein wollte mir schon damals etwas anderes sagen. Aber wie immer hörte ich nicht zu und stellte mich taub. Ich war nicht nur bei anderen Leuten ein schlechter Zuhörer, nein, offensichtlich war ich es auch bei mir selbst. Dabei hatte ich oft genug Gelegenheit dazu bekommen. Meine innere Stimme hatte sich ja schon in der Vergangenheit häufig zu Wort gemeldet, und jedes Mal hab ich sie ignoriert, und jedes Mal ist dann was ganz Schlimmes oder Komisches passiert. Oft genug beides zusammen. Natürlich sollte es auch hier nicht anders sein. Offensichtlich habe ich ein internes Kommunikationsproblem mit mir selbst. Es gelingt mir einfach nicht mir selbst etwas mitzuteilen. Vielleicht redet mein inneres „Ich“ in einer mir nicht geläufigen Sprache. Ich verstehe jedenfalls kein einziges Wort von dem was ich mir unterbewusst sagen will. Ich brauche einen internen Übersetzer, oder Compiler, wenn mein Unterbewusstsein auf einem anderen, nicht kompatiblen, Betriebssystem laufen sollte.
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