Die Weihnachtstage zogen also vorüber, ohne exotische Vorkommnisse und in ungewohnter Harmonie. An die merkwürdigen Vorkommnisse in Saarlouis dachte ich bereits nicht mehr, vermutlich weil ich sie vergessen wollte. Ich ging immer schon lieber Problemen aus dem Weg, als mich mit ihnen auseinander zusetzen.
Das neue Jahr fing an, und ich nahm mir ernsthaft vor einige Dinge zu ändern. Wie sehr sich alles ändern sollte konnte ich ja noch nicht wissen. Kein Bühnenautor hätte sich die kommenden Ereignisse und Verwicklungen ausdenken und inszenieren können, und wenn doch, so wäre er gewiss fristlos gekündigt und augenblicklich in einer Zwangsjacke abgeführt worden.
Für das neue Jahr war ich voller Zuversicht und voller optimistischer Erwartungen, und mit einer Menge guter Vorsätze ausgestattet.
„Da staunst du was..?“ Stanley traute seinen Augen nicht, als er mich im Atelier arbeiten sah. Für gewöhnlich musste er mich erst aus dem Bett werfen und mich runter ins Atelier treiben. Aber an diesem Tag saß ich bereits seit neun Uhr morgens in der Werkhalle und übte mich im Modellieren. Frischen Kaffee hatte ich ebenfalls bereits gekocht. In meinem Mundwinkel baumelte eine Zigarette, der aufsteigende Dunst kroch geschmeidig an meiner Wange empor, trocknete und verkrustete die frischen Tonflecken mit denen mein Gesicht mittlerweile verschmiert war. Selbstverständlich hatte ich es fertig gebracht innerhalb kürzester Zeit eine riesige Sauerei anzustellen. Ich deutete dem sprachlosen Stan mit dem Kinn in Richtung der Kaffeemaschine. Die letzten Tropfen hatten ihren Weg durch den Filter soeben beendet und waren mit einem tollkühnen Sprung in der gläserne Kanne angekommen. Ich fühlte mich richtig gut und ausgesprochen nützlich. Ich wollte partout meinen Teil beitragen und mit etwas Glück ein richtiger Künstler werden. Dann bräuchte ich wenigstens nicht mehr so zu tun als ob, und ich wäre nur noch ein halber Betrüger gewesen, der sich für eine andere Person ausgibt. Die Lagerhalle hatten wir recht geschmackvoll eingerichtet, sie spiegelte durchaus auch einen Teil meiner eigenen Persönlichkeit wieder. Das tat sie jedenfalls nachdem ich darauf bestanden hatte, dass auch die alten, angerosteten Blechwerbeschilder mit klassischen Motorradmotiven aufgehängt wurden, die ich auf diversen Trödelmärkten aufgetrieben hatte. Außerdem waren mir der große rote Kühlschrank und die alte Wurlitzer Musikbox zu verdanken. Wenn ich es mir recht überlege flog hier eine Menge von dem Krempel umher, den ich überall aufgetrieben hatte. Der Raum war wirklich groß, und sehr geräumig und beherbergte auch mein altes Motorrad, meine gute alte Triumph Bonneville, die ich für ein kleines Vermögen professionell aufmöbeln ließ, nachdem ich selbstbewusst jahrelang an ihr geschraubt hatte, bis sie überhaupt nicht mehr lief. Das Gelächter in der Motorradwerkstatt beleidigte mich doch sehr, als die Monteure mein leicht antiquiertes Gefährt zu Gesicht bekamen. Viele meiner improvisiert durchgeführten Reparaturen fanden diese Leute offensichtlich nur halb so genial und einfallsreich wie ich es seinerzeit tat. Nun aber strahlte sie in voller Schönheit, stolz wie die Spanier, und sie fühlte sich sichtlich wohl in ihrer neuen Behausung. Wohl fühlte ich mich auch, und ich fragte mich ernsthaft warum ich nicht schon früher auf diese Idee gekommen war, mich mit dem Metier zu beschäftigen, dass ja nun irgendwie unserem Broterwerb diente.
„Was ist denn in dich gefahren? Arthur, bist du krank?“ Stanley traute dem Frieden nicht im Geringsten.
„Warum denn, ich will doch nur helfen? Hast du mir nicht immer gesagt ich sollte mich mehr mit diesen Dingen hier beschäftigen!“ Mit einer ausladenden Armbewegung zeigte ich auf Stans ganzes Zeug, das überall umherstand. Dabei sah es wohl eher danach aus, als würde ich es der phallusartigen Figur zeigen, die ich in meinen tonverschmierten Händen hielt.
„Ja schon“, meine Stan, „Ich meinte damit jedoch eher, dass du dich mit den Plänen und unseren Ausführungen anfreunden und auseinandersetzen solltest. Aber das hat dich doch sonst nie interessiert.“
„Stimmt schon, aber nun will ich endlich nützlich sein, verstehst du? Ab sofort nehme ich unsere Aktivitäten ernst. Und helfen will ich dabei auch. Wie schwer kann das denn schon sein?“ Selbstbewusst und mit energischem, kreativem Elan knetete ich das Stück Ton in meinen Händen, ohne eine Ahnung zu haben was ich damit bezwecken wollte, geschweige denn was es überhaupt werden sollte.
„Es wäre schon nützlich und nett von dir, wenn du hier nicht alles durcheinander bringst. Und wenn du dir zukünftig besser einprägst woran wir arbeiten, und was wir mit unseren Plastiken auszudrücken gedenken. Meistens weißt du ja nie genau was wir angefertigt haben, und es ist immer sehr peinlich, wenn du bei den öffentlichen Präsentationen immer etwas vollkommen Falsches zeigst, als das was wir dir vorher gesagt haben. Du hört ja nie zu wenn du es sollst.“ Ich schien Stanleys Kreise zu stören, ich brach wie ein Barbar in sein Universum ein, besudelte seinen heiligen Tempel vollendeter Schönheit. Und das behagte unserem sensiblen Künstler überhaupt nicht.
„Stanley, stell dich nicht an wie ein kleines Mädchen, das niemanden in ihrer sauberen Küche spielen lässt. Außerdem ist das doch nie aufgefallen. Die Leute hielten das doch immer für einen guten Gag meinerseits. Na, was hältst du davon, ist doch nicht schlecht für den Anfang, oder?“ Stolz hielt ich mein erstes selbst geschaffenes Kunstwerk in die Höhe, wie eine erbeutete Trophäe.
„Sehr schön Arthur, du hast einen Penis kreiert, wie überaus tiefsinnig.“
„Pah, ich kann noch ganz andere Sachen machen, wirst schon sehen!“ Mit dieser ernstgemeinten Drohung machte ich mich gleich an das nächste Kunstwerk, und noch vor dem Mittagessen an das nächste. Stanley seufzte und fand sich vorübergehend mit seinem Schicksal ab. Innerlich hoffte er gewiss, dass ich über kurz oder lang das Interesse verlieren und mich meinen üblichen Betätigungen zuwenden würde.
Kurz nach Mittag erhielt ich unerwarteten Besuch. Frank war wieder in Berlin eingetroffen und sein erster Weg führte ihn wie immer zu mir. Kurz bevor ich mit dem Schaffen weiterer hochwertiger Produkte der Kunst beginnen konnte.
„Hey Alter!“ schrie er förmlich zur Begrüßung. Und wie üblich stürmte er im Eiltempo durch das Atelier auf mich zu, wobei seine mächtigen Stiefel einen schnellen Takt anschlugen. Dieser Klang war ganz eindeutig seine Erkennungsmelodie, der Titelsong und das Intro von Frank dem Energischen. Diese effektvollen Auftritte wären selbst eines Clint Eastwoods würdig gewesen. Sein langes dunkles Haar wehte. Meine Pupillen hatten größte Mühe den rasend schnell nähernden Frank in ordnungsgemäßer Schärfe zu zoomen, zu flink bewegte er sich, zu groß war der Schatten den er hinter sich warf. So kam es dann auch, dass wir unsanft aneinander prallten, weil ich keine Chance hatte seinen Abstand realistisch einzuschätzen, und weil Frank in seiner überschwänglichen Euphorie das Abbremsen vergessen hatte. Meine Nase erwies sich als unbrauchbare Stoßstange, wie sie gegen seine eisenharte Brust prallte. Dass der groß aufgeschossene Frank mich um mehr als eine Kopflänge überragte, hatte ich völlig verdrängt. Denn wir hatten uns ein halbes Jahr nicht mehr gesehen. Ich wäre rückwärts durch die ganze Halle geflogen, wenn mich Frank nicht noch zu packen bekommen hätte. Freudig klopfte er mir auf den Rücken und auf die Schultern und sorgte sehr gründlich dafür, dass sich auch alle noch unversehrten Körperteile auch in den nächsten Tagen an unser plötzliches Wiedersehen erinnern sollten.
„Mensch Johannes, dich hab ich ja lange nicht mehr gesehen. Freut mich echt dich wiederzusehen.“
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